Fortbildung in Zeiten der Pandemie
Im Frühjahr 2020 waren wir, die Dozenten und Dozentinnen der Fortbildungs-Akademie des Deutschen Caritasverbandes, alle zunächst etwas ratlos, wie sich unsere Arbeit unter Pandemiebedingungen entwickeln würde. Es wurde aber schnell deutlich, dass Bedarfe und Nachfrage nach Fortbildungen nicht - wie zunächst befürchtet - einbrachen, sondern explodierten.
Einige Kurse sind für Teilnehmende und Träger formal unmittelbar notwendig (bestimmte Qualifikationen sind Refinanzierungsbedingung). Also mussten ganze Kurswochen digital umgewandelt werden - mit neuen Anforderungen an die Qualität der Fortbildungstätigkeit. Wie aber gestaltet man Online-Kurstage interessant, aktivierend und partizipativ, so dass sie einen nachhaltigen Lehrerfolg erzeugen?
Aus der Pandemie selbst und den mit ihr einhergehenden veränderten Arbeitsbedingungen entstanden jedoch auch dringende neue Bedarfe:
◆ Eine hohe Nachfrage erlebte Fortbildung zur Online-Beratung. Hierfür wurden eine Lernplattform und virtuelle Live-Sessions bereitgehalten, die derzeit einen Weiterentwicklungsschub erfahren
◆ Teilnehmende fanden den Weg in neu aufgelegte digitale Angebote zum Beispiel zu Online-Moderationskompetenz oder Online-Gesprächsführung.
◆ Beratungskompetenzen in diversen Einzelfragen weiterzuentwickeln blieb aktuell, und so wurden auch hier Seminare ins Netz verlegt.
◆ Führungskräfte sahen sich beim Führen auf Distanz vor neuen Herausforderungen. Neben der Umstellung bereits geplanter Kurse auf Online-Durchführung wurde hier mit einem zusätzlichen spezifischen Kursangebot reagiert.
◆ Auch Blended-Learning-Angebote, also Kombinationen aus Präsenz- und digitalen Elementen, wurden etabliert.
◆ Die Teilnehmenden erweiterten en passant ihre digitalen Kompetenzen: Kenntnis diverser Plattformen, Kollaborationstools und der Umgang damit.
Es geht erstaunlich viel
Die Fortbildungs-Akademie wie auch die Teilnehmenden, welche die veränderten Angebote angenommen haben, erwiesen sich als enorm reaktionsfähig. Nach einem Jahr mit vermehrt digitalen Veranstaltungen werden hier die Erfahrungen der Dozierenden und die Rückmeldungen der Teilnehmenden als erste Bilanz zusammengetragen
Teilnehmende wie Dozierende sind gleichermaßen positiv angetan von den Möglichkeiten digitalen Lernens. Es geht erstaunlich viel: Persönliche Nähe ist (eingeschränkt) möglich, ebenso Selbsterfahrung oder Beziehungsgestaltung.
Der Aufwand auf Veranstalterseite ist dem von Präsenzveranstaltungen vergleichbar und damit sind auch die Kurskosten unverändert. Für die Teilnehmenden reduziert sich der Kostenaufwand, da Reise- und Hotelkosten entfallen. Dadurch haben manche Träger ihren Mitarbeitenden, insbesondere auch aus schlecht refinanzierten Tätigkeitsfeldern, vermehrt Weiterbildungen ermöglicht.
Es gab aber auch einige Schwierigkeiten: Teilnehmende fanden in ihren Einrichtungen für die Kurszeit zum Teil keinen Raum mit stabilem Internet, in dem sie ungestört waren. Manche hatten kein geeignetes technisches Gerät zur Verfügung oder keine personalisierte E-Mail-Adresse, um Kursmaterialien während der Veranstaltung auszutauschen. Sicherheitsbedenken gegenüber den Anwendungstools sind berechtigt und der rasante Fortschritt in diesem Bereich ist von den EDV-Fachleuten kaum zu bewältigen. Datenschutzfragen und IT-Berechtigungen sind daher bis heute vielerorts nicht ausreichend geklärt.
Im Online-Format ist der für personales Lernen notwendige geschützte Lernraum nicht immer gewährleistet: Man sieht zum Beispiel Kolleg(inn)en oder Familienmitglieder im Hintergrund. Dies hemmt manche, sich voll auf das Kursgeschehen einzulassen. Bei Blended-Learning-Angeboten wird bisweilen die Arbeitszeit unterschätzt beziehungsweise nicht in dem Maß reserviert, das nötig ist, um sich das Selbstlernmaterial anzueignen. In der Präsenzveranstaltung dagegen sorgt die Fortbildungs-Akademie für Lernumgebung und Timing. Bei Online-Fortbildungen liegt das in der Verantwortung des Trägers oder der Teilnehmenden selbst.
Online-Veranstaltungen verführen zu Individualismus und einer Konsumhaltung. Deshalb erfordert die Teilnahme eine gute Selbstführung (Motivation, Arbeitshaltung, Verbindlichkeit). So melden Teilnehmende zurück, sie seien zwar grundsätzlich zufrieden, aber über ihre eigene Konzentration oder Mitarbeit nicht glücklich - eine Rückmeldung, die aus Präsenzveranstaltungen so kaum gegeben wird. In Präsenz sind Ablenkungen minimiert, ist für Verpflegung gesorgt und die Lerngruppe lädt auch in Pausenzeiten zur Beschäftigung mit dem Kursthema und der beruflichen Praxis ein (informelles Lernen). Die Kraft der Gruppe, das Lernen voneinander, wird im digitalen Format weniger wirksam.
Welche digitalen Angebote funktionieren wie gut?
Wissensorientierte Lernangebote gelingen am einfachsten: Präsentationen, Lernmaterial und Übungen, die im Live-Videoformat vermittelt und ausgetauscht werden, werden auch in Zukunft teilweise online angeboten.
Kompetenzorientierte Angebote haben sich ebenfalls als durchaus robust erwiesen. Selbst Veranstaltungen mit Impulsen zu personaler Entwicklung, mit Selbsterfahrungselementen und spirituellem Inhalt können online gelingen. Die Wahrnehmung der ganzen Person ist für Dozierende wie für Teilnehmende jedoch reduziert. Lernen heißt, Routinen und bisher Gelerntes infrage zu stellen und neue Erkenntnisse und Handlungsoptionen zu gewinnen. Dabei müssen dem Ver[1]trauten starke neue Erfahrungen mit verschieden Sinnen durch Aktivitäten mit emotionalem Involvement entgegengesetzt werden. Nur so werden nachhaltige Lernentwicklungen angestoßen, zum Beispiel von der Fach- zur Führungskraft, oder in einer Beratungsausbildung. Ein Embodiment im Sinne der körperlichen und sinnlichen Verankerung einer Lernerfahrung findet online aber weniger statt. Diesen Anforderungen an das Lernen von Erwachsenen, auch online, noch besser zu entsprechen ist für Dozent(inne)n der Fortbildungs-Akademie eine Lernaufgabe.
Keine Kamingespräche, kein Nachdenken beim Kaffee
Ein wesentlicher Mehrwert von Präsenzveranstaltungen ist der kollegiale Austausch und der Aufbau eine eigenen beruflichen Netzwerkes, ebenso das organisationale Lernen mit dem Blick von einem vorübergehenden "Außen" auf die eigene Organisation. Beides ist im virtuellen Raum reduziert: kein Kamingespräch, kein gemeinsames Nachdenken beim Kaffee oder Feierabendspaziergang, kein Einzelgespräch mit der Kursleitung am Rande. Diese informelle Seite ist jedoch eine wesentliche Qualität einer verbandseigenen Fortbildung: Der Verband bringt all diejenigen zusammen, die sich gemeinsam als Solidaritätsstifter(innen) verstehen.
Was bleibt vom Digitalisierungsschub 2020?
Die Fortbildungs-Akademie wird auch nach der Pandemie-Zeit weiterhin Onlineangebote machen. Sie nimmt damit veränderte Arbeitsformen aus der Praxis auf, kann einzelne Zielgruppen besser erreichen und reduziert den Aufwand für die Teilnahme. Hybride Veranstaltungen, bei denen die eine Teilnehmendengruppe in Präsenz und die andere online dabei ist, bedeuten nach den bisherigen Erfahrungen eine große Herausforderung für die Veranstalter und Teilnehmenden, was die Partizipation beider Teilgruppen betrifft.
Um das digitale Lernangebot gut zu gestalten bedient sich die Fortbildungs-Akademie bereits jetzt digitalisierter Lösungen und entwickelt diese weiter (Lernplattformen, Carinet, Befragungen, unterschiedliche Meeting-Tools usw.). Dies geschieht im Austausch mit den anderen Akademien der Caritasfamilie sowie mit Anbietern aus dem diakonischen Bereich.
Eine Kombination von Präsenz- und Online-Meetings sowie von Elementen asynchronen Lernens (Blended Learning) wird ein zukünftiges Modell bei längerfristigen Fortbildungen. Das digitale Bereitstellen von vorgefertigtem Lernmaterial ohne (virtuelle) Interaktion, ohne Lerngruppe und Kursleitung (klassisches E-Learning) entspricht nicht dem Konzept der Fortbildungs-Akademie und wird eher kein Handlungsstrang der Fortbildungsarbeit werden.
Viele Teilnehmende melden nach einem Jahr des "digital overload" das Interesse, wieder in Präsenz zu lernen. Im Kern bleibt der Auftrag unverändert: Menschen in der sozialen Arbeit der Caritas Entwicklungsimpulse für ihr berufliches Handeln zu geben, Wissen und Kompetenzen zu erweitern, Theorie und Praxis eng zu verbinden und auch organisationales Lernen zu ermöglichen: analog und digital.
Reformwerkstatt Pflege
Flüchtlingsdienste in Zahlen
Stiftungen im Wandel der Zeit
Stiftungsrechtsreform in greifbarer Nähe
Stifter(innen) finden und binden
Dringend: Computer für Schüler
Qualität mit Brief und Siegel
Qualität entwickeln, Qualität anerkennen
Die Geduld ist zu Ende
Kostendeckend arbeiten in der ambulanten Pflege
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}