Ist die Finanzierung sozialer Dienstleistungen im Wandel?
Erst seit der Vergaberechtsreform 2016, die durch die Erneuerung der EU-Vergaberichtlinie notwendig geworden ist, sind Ausschreibungen im Sozialbereich zu einem breit diskutierten Thema geworden. Dabei werden öffentliche Aufträge im Sozialbereich schon seit den Nullerjahren vergeben. Bei Arbeitsmarktdienstleistungen wurden sie 2009 gesetzlich eingeführt (Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente) und sind seitdem übliche Praxis. Auch wenn durch die Reform der Begriff des "öffentlichen Auftrags" per definitionem nicht erweitert wurde, haben Kommunen, auch unter dem Druck haushalterischer Zwänge, in immer stärkerem Maße und in zunehmend mehr Bereichen soziale Dienstleistungen über öffentliche Ausschreibungen vergeben. Das hat wiederum zu mehr Rechtsstreitigkeiten geführt, die teilweise erst vom Europäischen Gerichtshof geklärt werden konnten.
Ein Grundproblem bei den Auseinandersetzungen schwingt immer mit: Das Sozialrecht will den Leistungsberechtigten qualitativ hochwertige und vielfältige Leistungen, teilweise zur freien Auswahl, zur Verfügung stellen. Die öffentliche Hand kooperiert hierfür mit den Trägern der freien Wohlfahrt (Subsidiaritätsprinzip), die ihren eigenen gemeinnützigen Auftrag erfüllen. Das Vergaberecht ist dagegen primär darauf ausgerichtet, dass die Steuerungshoheit über den Inhalt der Leistungen bei den Kommunen liegt und diese die Leistungen zu einem möglichst günstigen Preis bei ausgewählten Anbietern einkaufen. Trägervielfalt und -mitgestaltung sind hier nicht vorgesehen.
Dieses Dilemma, das sich auch in der Frage der Zuständigkeit der Gerichte in streitigen Verfahren (Vergabekammer, Sozial- oder Verwaltungsgericht) widerspiegelt, ist durch einen Weg der Annäherung inzwischen im Begriff, sich zu lösen. Ein wegweisendes Urteil des OLG Düsseldorf zur Hilfsmittelversorgung im Jahr 2018 hat zumindest geklärt, dass das Sozialrecht die Frage beantwortet, ob die Kommune Vergaberecht anwenden darf oder nicht.
Sozialrechtliches Dreiecksverhältnis ist geschützt
Die Vergaberichtlinie selbst zieht ebenfalls klare Grenzen. Vergaberecht ist dort nicht anwendbar, wo ein Leistungsträger eine Tätigkeit "bloß finanziert" und regelt, dass Beiträge bei nicht bestimmungsgemäßer Verwendung zurückzuzahlen sind. Auch das sozialrechtliche Dreiecksverhältnis ist als "einfaches Zulassungssystem", in dem alle hierfür qualifizierten Anbieter zur Wahrnehmung einer bestimmten Aufgabe berechtigt sind, vor Vergaberecht geschützt.
Der dritte Bereich, in dem Vergaberecht als Option zur Verfügung steht, berührt die Selbstverwaltungsgarantie der Kommunen. Sie können autonom entscheiden, wie sie freiwillige Aufgaben, aber auch Pflichtaufgaben, auf die kein Rechtsanspruch besteht, finanzieren und organisieren. Ein Beispiel: Die Schuldnerberatung wurde bisher über Leistungsvereinbarungen organisiert, das heißt, jeder Anbieter wurde zugelassen. Einige Kommunen sind inzwischen dazu übergegangen, solche Beratungsleistungen auszuschreiben. Andere wiederum haben sich für das Modell der Förderungsfinanzierung entschieden. Alle drei Modalitäten sind rechtlich mögliche Optionen, wenn die Grundsätze der Transparenz und Nichtdiskriminierung eingehalten werden.
Wo wird Vergaberecht angewandt?
Der Deutsche Städtetag hat unter Kommunen eine Umfrage durchgeführt, bei welchen Leistungen sie meistens Vergaberecht anwenden. Folgendes wurde festgestellt: Es gibt Bau-, Dienst- und Lieferleistungen, die nach den Bestimmungen des Vergabe- und des Sozialrechts vergeben werden. Hierzu zählen der Bau von Einrichtungen wie etwa Kitas, die Mittagsverpflegung zum Beispiel in Schulen, Fahrdienste für Kinder mit Behinderung. Dies sind Pflichtleistungen der Kommune.
Bei der Erbringung freiwilliger Leistungen wie etwa Jugendtreffs wird von den Städten ebenfalls das Vergaberecht angewandt.
Auch die Bewirtschaftung und Bewachung von Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete sowie die soziale Betreuung der untergebrachten Geflüchteten werden häufig ausgeschrieben. Da diesbezüglich die Angebote seit dem Jahr 2014 massiv ausgebaut werden mussten, entstand dadurch auch keine (zunächst befürchtete) Verdrängungssituation, sondern die Zahl der Leistungsanbieter auf dem wachsenden Sektor wurde größer. Asylberatungsleistungen werden teilweise aber auch über Subventionen finanziert.
Anspruchsgestützte Jugendhilfeleistungen und Pflegedienstleistungen werden - und nur so ist es rechtlich zulässig - im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis über Leistungsvereinbarungen finanziert.
Strittig ist nach wie vor, ob eine "Poollösung" für die Integrationshilfe an Schulen rechtmäßig ist. Die Landeshauptstadt Düsseldorf hatte diese Leistung ausgeschrieben; die Liga der freien Wohlfahrtspflege ist gerichtlich dagegen vorgegangen, weil sie die Auffassung vertritt, das Poolen der Leistung führe zu einer rechtswidrigen Beschneidung des Wunsch- und Wahlrechts. Das Urteil ist noch nicht letztinstanzlich gesprochen. Gleichzeitig jedoch versucht die Stadt Düsseldorf, Integrationshelferleistungen zu einem infrastrukturellen am Bedarf ausgerichteten Angebot "umzudeuten".
Man ist im Gespräch miteinander
Insgesamt ist zu beobachten, dass die gegenseitige Scheu und das Unwissen über die jeweils andere Rechtsmaterie bei Sozial- und Vergaberechtlern und den jeweils zuständigen Behörden deutlich abgenommen haben. Die Intensivierung des Dialogs zwischen Leistungsträgern und -erbringern auf Landes- und Ortsebene, die Initiativen und die Lobbyarbeit auf Bundesebene tragen Früchte. Ebenfalls macht Mut, dass die Wohlfahrtsverbände, zusammen mit dem Deutschen Verein, erfolgreich einen Dialog zwischen den involvierten Vertretern aus Gerichten, Kommunen, Anwält(inn)en und Sozialverbänden angestoßen haben. Bei einem Fachtag in Berlin wurde zuletzt deutlich, dass die Kommunen keinesfalls unbedingt den Weg in das Vergaberecht suchen, sondern bevorzugt Zuwendungen an die Leistungserbringer vergeben.
Wo gibt es Vorteile, wo gibt es Nachteile?
Denn es entstehen Effekte, die politisch kaum gewollt sind: Wird eine Leistung nur noch von einem oder wenigen Anbietern erfüllt, werden andere Träger verdrängt, die eventuell über langjährige Erfahrungen und fachlich hoch qualifiziertes Personal verfügen. Aufgrund des Fachkräftemangels finden Beschäftigte zwar schnell neue Arbeitsstellen, wenn der Arbeitgeber kündigen muss, weil er mehrmals erfolglos bei Ausschreibungen geboten hat. Sie arbeiten dort aber häufig zu schlechteren Arbeitsbedingungen. Wird die Leistung an einen völlig unbekannten neuen Anbieter vergeben, ist es möglich, dass er diese schlecht erfüllt, bis zum Ende der Laufzeit die anderen Anbieter jedoch bereits ihre Strukturen abgebaut haben und nicht plötzlich "einspringen" können; das zeigen Erfahrungsberichte.
In der Hilfsmittelversorgung hat der Bundesgesetzgeber unlängst die Vergabeoption gestrichen, weil sich die Verbesserung der Versorgungsqualität nicht eingestellt hat.
Andererseits werden positive Erfahrungen vor allem dort gemacht, wo das Vergabeverfahren so ausgewählt und ausgestaltet wird, dass die Anbieter über den Inhalt der Leistungen mitbestimmen können und Qualitätskriterien ein stärkeres Gewicht eingeräumt wird. Es gilt: Der Weg in das Vergaberecht sollte nur so oft wie nötig, aber dennoch so sinnvoll wie möglich eingesetzt werden.
Keine subsidiäre Rollenverteilung
Soziale Dienste suchen ihren Platz in der Arbeitswelt 4.0
Die Gründung einer Familie ist vielen jungen Menschen in Deutschland wichtig.
Auswirkungen des Brexit auf das Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}