Die Gründung einer Familie ist vielen jungen Menschen in Deutschland wichtig.
Die Gründung einer Familie hat weiterhin für junge Menschen in Deutschland hohe Priorität.1 Dieses Ergebnis der jüngst veröffentlichten Shell-Jugendstudie deckt sich mit den Erfahrungen der Katholischen Schwangerschaftsberatung in Trägerschaft von Caritas und Sozialdienst katholischer Frauen (SkF). Über 113.000 Ratsuchende haben im Jahr 2018 Beratung in den katholischen Schwangerschaftsberatungsstellen in Anspruch genommen. Nach wie vor sind die katholischen Schwangerschaftsberatungsstellen gefragt, auch wenn sich der Ansturm der letzten Jahre auf die Beratungsstellen - bedingt durch den Zuzug von Ratsuchenden mit Flucht- und Migrationshintergrund - gelegt hat. In der Schwangerschaftsberatung zeigen sich aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen, die die Lebenssituation von Frauen, Paaren und Familien prägen, belasten und unter Umständen nachhaltig beeinträchtigen. Im Verlauf der Familiengründungsphase entstehen viele Fragen, Unsicherheiten, Entscheidungssituationen und Krisen. Gleichzeitig ist diese Lebensphase eine Zeit, in der die werdenden Mütter und Väter oftmals offen dafür sind, sich bestmöglich auf die Geburt ihres Kindes vorzubereiten und bei Bedarf Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Schwangerschaftsberatung hat die Aufgabe, beratend und begleitend psychosoziale Themen und Anliegen der Ratsuchenden aufzugreifen, Ratsuchende mit Informationen und Hilfen zu versorgen, passgenaue unterstützende Angebote zu entwickeln und türöffnend die Wege in die kommunalen Hilfesysteme zu ebnen.
Fehlende Sprachkenntnisse sind ein Problem
Wie bereits in den letzten Jahren ist die Katholische Schwangerschaftsberatung stark in der Beratung von Frauen mit Flucht- und Migrationserfahrung engagiert. Knapp 54 Prozent aller Ratsuchenden haben eine ausländische Staatsangehörigkeit (60.213 Ratsuchende). 51,3 Prozent der Ratsuchenden mit ausländischer Staatsangehörigkeit verfügen über eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Dieser Wert ist im Vergleich zu 2017 um 4,8 Prozentpunkte gestiegen. 31,6 Prozent aller Ratsuchenden kommen aus dem nichteuropäischen Ausland. Mehr als jede dritte Ratsuchende hat eine muslimische Religionszugehörigkeit. In mehr als jedem fünften Beratungsfall werden fehlende Sprachkenntnisse von den Beraterinnen als besondere Herausforderung benannt. Die Beraterinnen sind mit Migrant(inn)en aus sehr vielen unterschiedlichen Nationen und kulturellen Hintergründen in Kontakt. Die Themen in der Beratung haben sich in den letzten drei Jahren verändert: Während es in den Jahren 2015-2017 um Krisenintervention und das "Ankommen" in Deutschland ging, geht es inzwischen in weit größerem Maße um die Sicherung und Konsolidierung des Lebens.
Jenseits beobachtbarer äußerer Stabilität leidet ein erheblicher Teil der Frauen mit Fluchthintergrund an den Folgen sexueller Gewalt und an posttraumatischen Belastungsstörungen, die sich negativ auf Schwangerschaft und Geburt auswirken. Krisenhafte und traumatische Erlebnisse können dazu führen, dass sich Ratsuchende nur eingeschränkt auf die Bedürfnisse eines Babys einlassen können. Dies wiederum erschwert den Aufbau einer sicheren Bindung zum Kind. In vielen Schwangerschaftsberatungsstellen wurden Gruppenangebote etabliert, in denen Ratsuchende sich zu Erziehungs-, Bindungsund Gesundheitsthemen austauschen können. Fragen, was beispielsweise ein gesundes Aufwachsen von Kindern ausmacht und welchen Rahmen zur Förderung Eltern geben können, werden aufgegriffen und situationsgerecht beantwortet.
Genitalverstümmelung ist zunehmend ein Thema
Durch den Zuzug von Frauen mit Flucht- und Migrationshintergrund gewinnt das Thema weibliche Genitalverstümmelung/ Beschneidung (FGM/C) zunehmend an Bedeutung in der Schwangerschaftsberatung - gerade auch wegen der gravierenden Folgen für den Schwangerschaftsverlauf und die Geburt. Für die Beraterinnen ist es wichtig, sich Wissen über FGM/C anzueignen, vorhandene Netzwerkstrukturen vor Ort zu kennen oder mitaufzubauen und diese zu nutzen. Dem Qualifizierungsbedarf der Fachkräfte entsprechend hat im Oktober 2019 eine große Kooperationstagung von Deutschem Caritasverband (DCV), SkF Gesamtverein und IN VIA Katholischer Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit in Frankfurt stattgefunden. Die Veranstaltung ist auf große Resonanz gestoßen und hat viele Impulse für die weitere Befassung im Rahmen der Schwangerschaftsberatung gesetzt.2
Kostenübernahme für Verhütungsmittel als staatliche Leistung?
Die Kostenübernahme für Verhütungsmittel als staatliche Leistung ist für viele Ratsuchende eine wichtige Fragestellung in der Beratung. Eine Kostenübernahme im SGB II ist bislang nicht gegeben. In vielen Kommunen gibt es sogenannte Verhütungsmittelfonds. Für die katholischen Schwangerschaftsberatungsstellen stellt sich die Frage, ob und wenn ja, in welcher Form sie sich an diesem Fonds beteiligen können. In einzelnen Diözesen hat es eine Verständigung darüber gegeben, dass eine Beteiligung der Beratungsstellen von Caritas und SkF möglich ist.
Unabhängig von einzelnen kommunalen Lösungen sollte die Übernahme der Kosten für Verhütungsmittel im sozialen Sicherungssystem bundesweit geregelt werden. Kommunale Fonds sind immer nur eine Notlösung für eine Situation, die gesetzlich nicht ausreichend geregelt ist.
Die Zahl alleinerziehender Frauen in der Beratung steigt
Die Zahl der alleinerziehenden Frauen in der Katholischen Schwangerschaftsberatung ist in den letzten drei Jahren kontinuierlich gestiegen und lag 2018 bei 14,4 Prozent. Der Anteil der alleinerziehenden Ratsuchenden mit Migrationshintergrund ist ebenfalls gestiegen. Diese Entwicklung wird durch die Erfahrungen der Beratungsstellen gestützt, dass Themen zu Partnerschaftskonflikten und Trennung gerade bei den Ratsuchenden mit Migrations- und Fluchthintergrund häufiger angesprochen werden.
Der Hebammenmangel hat gravierende Auswirkungen
In vielen Regionen in Deutschland besteht ein gravierender Hebammenmangel, der nicht nur Auswirkungen auf Schwangere und Wöchnerinnen, sondern auch auf die Schwangerschaftsberatungsstellen hat. Die Situation spitzt sich durch Schließung von geburtshilflichen Abteilungen und Kreißsälen zu. Wegen der drastisch gestiegenen Prämien für die Berufshaftpflichtversicherung haben seit 2006 viele freiberuflich tätige Hebammen ihren Beruf aufgegeben oder arbeiten nicht mehr in der eigentlichen Geburtshilfe, sondern nur noch in der Vor- und Nachsorge. Auch wenn seit 2015 nach einer Einigung mit den Krankenkassen diese auf Antrag einen Teil der Kosten der Haftpflichtversicherung übernehmen, nimmt die Zahl der Hebammen nur langsam wieder zu. Schwangere sind mit ihrer Suche nach einer Hebamme mit freien Kapazitäten oder nach einem Platz in einem Geburtsvorbereitungskurs oft alleingelassen. Noch schwieriger kann sich die Suche nach einer Hebamme für die Nachsorge gestalten. Dies betrifft vor allem Frauen mit besonderen Unterstützungsbedarfen, die sich oftmals nicht sofort im ersten Drittel der Schwangerschaft um geburtsvorbereitende und nachbereitende Hilfen kümmern. Viele Schwangerschaftsberatungsstellen haben inzwischen auf den Hebammenmangel reagiert, indem sie mit freiberuflichen Hebammen kooperieren und eine regelmäßige und offene Hebammensprechstunde in den Räumen der Beratungsstelle anbieten. Andere organisieren in ihren Räumen zielgruppenspezifische Geburtsvorbereitungskurse beispielsweise für "bildungsferne" oder sehr junge Schwangere. Allerdings hängen diese Angebote auch von der Finanzierung ab, müssen meist aus Eigen- oder Projektmitteln der Träger finanziert werden. Manchmal gibt es kommunale Zuschüsse. Auch wenn in den letzten Jahren gesetzliche Maßnahmen zur Sicherung und Aufwertung des Hebammenstandes getroffen wurden, müssten diese um weitere strukturelle Maßnahmen ergänzt werden.
Um den Mangel zu beheben, müssten die Arbeitsbedingungen von Hebammen beispielsweise durch niedrigere Betreuungsschlüssel oder eine höhere Vergütung verbessert werden. Schwangere Frauen und Wöchnerinnen müssten gerade in ländlichen Gebieten Versorgungsstrukturen und -angebote vorfinden, ohne viele Kilometer fahren zu müssen. Zielführend wäre, offene Hebammensprechstunden als niedrigschwelliges Angebot in den Schwangerschaftsberatungsstellen durch eine geregelte Finanzierung zu ermöglichen.3
Anmerkungen
1. Hurrelmann, A.; Quenzel, G.: Jugend 2019 - 18. Shell Jugendstudie.
2. Im Rahmen der Fachtagung wurden mit einzelnen Referent(inn)en Videos gedreht, die in aufbereiteter Form als Erklärvideos auf www.caritas.de zu finden sind. Die Dokumentation der Fachtagung, Erklärvideos und weitere Informationen zu FGM/C sind zu finden auf: www.caritas.de/weibliche-genitalbeschneidung
3. Im Jahresbericht der Katholischen Schwangerschaftsberatung 2018 werden vielfältige aktuelle Entwicklungen aufgegriffen. Der Jahresbericht steht als Download zur Verfügung unter: www.caritas. de/ksb-bericht-2018.
Keine subsidiäre Rollenverteilung
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