Einfache Arbeit wird billiger, global und besser kontrollierbar
In der Geschichte der Technisierung von Arbeit haben sogenannte Einfacharbeitsplätze meist zu den großen Verlierern gezählt. Rationalisierungsstrategien im industriellen Sektor setzten schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem auf die Intensivierung einzelner Arbeitsschritte - etwa im Fließbandsystem. Waren Tätigkeiten einmal in das Korsett der technischen Kontrolle eingebunden, wurde Stück für Stück an ihrer Automatisierung gearbeitet. Dies inspirierte schon damals zahlreiche Autoren zu Spekulationen über das Ende der Arbeit. Dass technologisch hochgerüsteten Gesellschaften die Arbeit ausgehen könne, ist seither ein in 20-Jahres-Zyklen wiederkehrendes Thema.
Heute stehen die neueren Digitaltechnologien, insbesondere Anwendungen sogenannter künstlicher Intelligenz (KI), im Verdacht, der Arbeitsgesellschaft in naher Zukunft den Garaus zu machen. Die Durchsetzung und Verbreitung neuerer Informations- und Kommunikationstechnologien, der Aufstieg des Internets zur Basisinfrastruktur der globalen Kommunikation und das Raumgreifen digitaler Technologien in immer mehr Arbeitsfeldern bilden demnach die Basis eines Automatisierungsschubs, der dieses Mal nicht nur die Industriearbeit betreffen soll. Gerade bei den einfachen Dienstleistungen bestehe erhebliches Automatisierungspotenzial. Sorgearbeit, Säubern und Service würden also in naher Zukunft Roboter übernehmen, die Verwaltung erledigen smarte Algorithmen (KI). Daraus ergeben sich zwei Fragen: Stimmt das eigentlich? Und: Was würde es für die Struktur beispielsweise des deutschen Arbeitsmarktes bedeuten?
"Pepper ist ein bewegungsfähiges Smartphone auf Rädern"
Was den Arbeitsmarkt angeht, würde mit der erfolgreichen Automatisierung am unteren Rand der Dienstleistungsgesellschaft tatsächlich ein Bereich mit hoher struktureller Bedeutung getroffen. Man vergisst bei der Kritik an Niedriglöhnen und ausbeuterischen Arbeitsbedingungen im Dienstleistungssektor schnell, dass das Wachstum dieses Feldes ein spezifisches Problem lösen sollte: Wie in allen hochentwickelten Ökonomien wurde auch für Deutschland ab Mitte der 1980er-Jahre die Frage immer dringlicher, was genau an die Stelle der industriellen Einfacharbeit treten sollte. Man setzte in der Folge bewusst auf das Wachstum der einfachen Dienste, die die Verlierer des industriellen Strukturwandels aufnehmen sollten und auch taten. Stünde nun gerade dieser Bereich vor einer Welle der Automatisierung, so wäre das Schreckgespenst der 1990er-Jahre, die strukturelle Arbeitslosigkeit, zurück auf der Tagesordnung.
Vom Ende der Arbeit noch weit entfernt
Stellt man die reale Größe der Einfacharbeit in Deutschland in Rechnung, verliert dieses Horrorszenario schnell einen Teil seines Schreckens: Von den rund 43 Millionen Beschäftigten in Deutschland arbeiten nur gut sieben Millionen (rund 16 Prozent) in der Einfacharbeit, davon fünf Millionen (rund zwölf Prozent) in den Dienstleistungen. Das ist ein beachtlicher Teil, aber selbst wenn man ein Viertel dieser Stellen (drei Prozent der Beschäftigung) einsparen könnte, wäre dies noch weit entfernt vom Ende der Arbeit.
Dies bringt uns zur zweiten Frage, ob eigentlich mit schneller digitaler Automatisierung bei den einfachen Dienstleistungen zu rechnen ist. Wer sich mit dem Feld auskennt, dem kommen hier schnell Zweifel. Zum einen haben wir es mit einem Arbeitsmarktsegment zu tun, das seit Jahrzehnten auf ganz andere Strategien setzt: Lohndruck wird hier weniger durch Technologie als durch schnöde Maßnahmen wie die informelle Verlängerung unbezahlter Arbeitszeit und die Nichtakzeptanz tariflicher Eingruppierungen durchgesetzt. Auch gibt es eher wenig Erfahrungen mit technischer Rationalisierung und es fehlt bei den Unternehmen häufig an Geld, um langfristig in arbeitssparende Technologien zu investieren.
Die Kontrolle wird lückenlos und die Arbeit intensiver
Zudem sind die arbeitssparenden Effekte der neuen Technik gerade im Bereich interaktiver Arbeit stark begrenzt: Die Kuschelrobbe Paro beispielsweise, die Demenzkranken das Gefühl sozialer Wärme vermitteln soll, wird zwar immer wieder als Beispiel gelungener Automatisierung angeführt. Wer die Situation in der Pflege kennt, dem fällt freilich kein bezahlter Arbeitsplatz ein, den Paro ersetzt hätte. Die reine Fürsorge ist im Zeichen des Kostendrucks schon lange eher ein Bereich der Freiwilligenarbeit. Von der jüngsten Generation von Pflegerobotern - etwa dem niedlichen Pepper, hinter dem der weltweit größte Risikokapitalgeber, Softbank, steht - wird vor allem berichtet, dass sich menschliche Pflegekräfte irritiert zeigen, dass Peppers Arme nur dazu dienen, ihn vor dem Umfallen zu bewahren. Im Grunde ist Pepper, der ein Tablet vor sich herträgt, ein begrenzt bewegungsfähiges Smartphone auf Rädern. Nett. Aber wessen Job soll Pepper übernehmen? Wo es ans Eingemachte geht - ans Heben, Wenden und die körpernahe Pflege -, da versagen die neuen Robotergenerationen trotz Milliardeninvestitionen nach wie vor kläglich.
Plattformen können eine Branche schnell verändern
Die kurzfristig weit größere Gefahr für die Beschäftigten der einfachen Dienste verbirgt sich in neuen Organisationsformen der Arbeit im Kontext digitaler Arbeitskraftplattformen. Bisher sind Erfolge beim Aufbau neuer digitaler Geschäftsmodelle, etwa in der ambulanten Pflege, zwar begrenzt. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass sich Plattformunternehmen langfristig von einem für alternde Gesellschaften so einträglichen Geschäftsfeld wie der Pflege fernhalten werden. Eine Firma wie Softbank, die gerade den zweiten 100 Milliarden Dollar schweren Digitalfonds auflegt und Milliarde um Milliarde in anderen Arbeitskraftplattformen, etwa Uber, verbrennt, kann die Verhältnisse in jeder Branche schnell ändern. Das Vorgehen dabei ist in anderen Feldern erprobt: Durch Risikokapital werden die Löhne zeitweise hoch und die Kosten für Kund(inn)en niedrig gehalten. So werden andere Unternehmen aus dem Markt gedrängt. Später kann die Plattform dann die Preise bestimmen.
Von den Plattformen des kommerziellen Internets kann man zudem lernen, welche neuen Strategien der Arbeitskontrolle mit dem Aufstieg digitaler Technologien verbunden sind - unabhängig von der Frage, ob eine oder mehrere Plattformen eine bestimmte Branche übernehmen oder nicht. Zunächst bei Chauffeuren und Lieferdiensten erprobt, streuen Technologien zur Überwachung und Bewertung von Arbeitskräften seit geraumer Zeit in immer weitere Teile der Arbeitswelt. Wenn der Algorithmus die Anweisungen für praktisch jeden Arbeitsschritt gibt und das Smartphone jede Pause automatisch aufzeichnet, schwinden Autonomiespielräume, die Kontrolle wird lückenlos und Arbeit immer intensiver.
Global führt KI-Industrie zu neuen Einfacharbeitsplätzen
All dies spricht gegen ein sukzessives Verschwinden von Arbeit und für eine Intensivierung von Konkurrenz und Ausbeutung in der Einfacharbeit. Auch der Aufstieg von Technologien, die unter dem Label von KI laufen, weisen in diese Richtung. Der Hype, der sich um den Begriff der KI entfaltet, ist an sich schon aussagekräftig: Nachdem Paro und Pepper sich als nette Spielzeuge und nicht als produktivitätssteigernde Allzweckwaffen entpuppt haben, sind sie zunehmend aus der öffentlichen Diskussion verschwunden. Ihren Platz in der Hype-Maschine hat die mysteriöse KI eingenommen, die zwar niemand definieren kann, an die findige Beratungsinstitute aber längst präzise Gewinn- beziehungsweise Verlustprognosen knüpfen. Je unklarer wird, worüber man eigentlich spricht, so könnte man die Situation zusammenfassen, desto besser lässt sich offenbar darstellen, dass etwas sehr Großes in Gang ist.
Während hierzulande eifrig diskutiert wird, welche Einsatzgebiete smarter Algorithmen betriebswirtschaftlich am vielversprechendsten seien, schießen in der globalen KI-Industrie anderswo neue Einfacharbeitsplätze wie Pilze aus dem Boden. Überall in Entwicklungsländern sitzen Abertausende Menschen vor Rechnern und klassifizieren Bilder von menschlichen Gesichtern, Stoppschildern oder Hunden, um die Bilderkennungssoftware der deutschen Automobilunternehmen zu verbessern. Arbeitskraftplattformen vermitteln die Aufträge stets in Richtung der niedrigsten Arbeitskosten. Gestern Rumänien, heute Venezuela. Die Einfacharbeit verschwindet nicht. Aber sie verändert sich.
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