Eine europäische Partnerschaft für mehr Bildung und weniger Armut
Anders als in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik ist die Zusammenarbeit von Fachkräften in der sozialen Arbeit auf europäischer Ebene immer noch eine Ausnahme. Das soll sich künftig ändern: Ein wichtiger Schritt dazu ist das Projekt "Bildungsarbeit mit benachteiligten Familien in Europa“ im Rahmen des EU-Programms „Erasmus+“. Ziel des Projekts ist, die Bildungsangebote zu verbessern und die Bildungsbeteiligung armer und benachteiligter Familien zu steigern. Gleichzeitig soll es den europäischen Austausch von Fachleuten fördern, eine gemeinsame Wissensbasis schaffen und Beispiele guter Praxis liefern, die einen Beitrag leisten zur persönlichen Entwicklung von Eltern und Alleinerziehenden aus benachteiligten Familien sowie für deren soziale Inklusion.
Internationale Studien zeigen: Armut ist auch ein europäisches Phänomen – die Beteiligung benachteiligter Familien an Bildungsangeboten ist in allen europäischen Ländern überproportional gering. Bildung gilt aber als Schlüssel, um Armut zu beseitigen. Erasmus+ liegt daher ein erweiterter Bildungsbegriff zugrunde, der nicht nur die universitäre, schulische oder berufliche Bildung umfasst, sondern beispielsweise auch die Förderung von Erziehungskompetenz, Wissen über Kindergesundheit sowie Schulden- oder Suchtberatung als Bestandteile der Erwachsenenbildung beinhalten kann. Etwa auch für Nordrhein-Westfalen hat es Priorität, Familienarmut zu bekämpfen und soziale Teilhabe zu fördern. So beteiligen sich Mitarbeitende des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales aktiv am Projekt.
Verbesserungen im Handlungsfeld „Bildung und Armut“ lassen sich am besten in Zusammenarbeit mit transnationalen Partnern realisieren. Das hat schon ein europäisches Vorgängerprojekt der Caritas zum Thema Kinderarmut gezeigt. Auch im Projekt „Bildungsarbeit mit benachteiligten Familien in Europa“ steht der Erfahrungsaustausch über die Ländergrenzen hinweg im Zentrum. Die Projektpartner diskutieren hier mit Fachkräften aus der Praxis und lernen erfolgreiche Beispiele aus den Mitgliedstaaten kennen. Das zeigt: Die internationale Kooperation ist kein Selbstzweck, sondern dient der Entwicklung von Lösungsansätzen und Methoden der Bildung für und mit benachteiligte(n) Familien.
Ein Angebot, das in Italien genauso passt wie in Litauen
So haben die sieben europäischen Partnerorganisationen, darunter vier Caritasverbände, aus sechs EU-Mitgliedstaaten an ihren Standorten lokale Familienforen als ein neues Instrument der Bildungsarbeit initiiert. Diese bieten armen Familien in benachteiligten Stadtteilen von Triest in Italien genauso wie von Kaunas in Litauen oder Langenfeld in Deutschland ein praktisches Angebot zum Austausch, zur Information wie auch zur Beratung. Die Idee der Familienforen haben die Projektpartner als neue Angebotsform miteinander entwickelt. Hier wurden innovative sozialarbeiterische Strategien nicht mehr nur nationalstaatlich, sondern direkt europäisch „erfunden“ und implementiert. Auch das ist ein Beitrag der Caritas zur Förderung des Zusammenwachsens eines sozialen Europa.
Im rumänischen Alba Iulia zum Beispiel hat die Caritas unter Berücksichtigung der heterogenen Zielgruppe gleich 17 verschiedene Familienforen mit mehr als 100 Teilnehmenden organisiert, darunter eines für Familien mit Kindern bis drei Jahre. Dabei geht es um die Bedeutung von Märchen für die kindliche Entwicklung oder Erste Hilfe im Krankheitsfall. Bei einem anderen Forum, das sich an Familien mit Kindern mit Behinderung richtet, wird über mangelnde Akzeptanz in der Gesellschaft beraten, aber auch über musikalische Angebote oder eine mögliche Finanzierung orthopädischer Hilfsmittel informiert.
Erstmals selbst öffentlich zu Wort kommen
Ein weiteres Forum wendet sich an Roma-Familien. In vielen rumänischen Städten gibt es Roma-Ghettos, in denen Menschen ohne adäquate Strom- und Wasserversorgung leben. Gesprochen wird in den Foren über Diskriminierungserfahrungen genauso wie über die Bedeutung des Schulbesuchs oder das Erlernen eines Berufs. Als Anbieter von Kinderbetreuung hat die Caritas einen Vorteil bei der Ansprache der Familien, die auch deshalb oft mündlich erfolgt, weil viele der Roma Analphabeten sind. Ein Problem ist zudem, dass viele Roma im Sommer ins Ausland reisen, um dort mit oft unterbezahlter Arbeit Geld zu verdienen – in dieser Zeit werden weder die Kinder betreut noch findet ein Austausch mit den Mitarbeitenden der Caritas statt.
Moderiert werden die Foren durch eine Fachkraft der Caritas, bei Bedarf kommen externe Expert(inn)en wie Ärztinnen und Ärzte, Psycholog(inn)en oder Therapeut(inn)en hinzu.
Familienforen bieten armen Familien indes nicht nur Information und Beratung, sondern zugleich die Chance, erstmals selbst öffentlich zu Wort zu kommen und zum Beispiel in Briefen an die Stadtverwaltung selbstbewusst bezahlbaren Wohnraum einzufordern.
Damit ihre Interessen zukünftig stärker als bisher in kommunale Entscheidungsprozesse und die konkrete Gestaltung von Bildungsangeboten und Sozialpolitik einfließen können, wollen die europäischen Partner ergänzend zu den Familienforen regionale oder lokale Gesprächsrunden mit Verantwortlichen aus Politik, Verwaltung und Bildung etablieren. In der Metropolregion Sandwell nahe Birmingham, wo ein Drittel aller Familien in Armut lebt, äußerten kommunale Verantwortliche bereits Interesse an der Idee.
Das finanziell von der EU unterstützte Projekt „Bildungsarbeit mit benachteiligten Familien in Europa“ hat verdeutlicht, dass persönliche Gespräche und die Kenntnis der Verhältnisse vor Ort unverzichtbar sind. Nur so kann die Situation fundiert analysiert werden, um daraus gemeinsam wirksame Maßnahmen abzuleiten, die die Bildung fördern und die Armut verringern. Das strategische Vorgehen ist nicht nur ein Gewinn für die benachteiligten Familien und die professionelle Bildungs- und Sozialarbeit der beteiligten Partner. Es hat zudem eine politische Dimension, gerade weil Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Projekt von den transnationalen Partnern an die EU-Kommission gespiegelt werden können – mit der Folge einer möglichen Neujustierung von Programmen.
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