Ein Menschenrecht drängt zur Umsetzung
Als Menschenrecht ist Wohnen im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ebenso verankert wie in der Europäischen Sozialcharta, in der es wörtlich heißt: "Um die wirksame Ausübung des Rechts auf Wohnung zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien, Maßnahmen zu ergreifen, die darauf gerichtet sind: 1. den Zugang zu Wohnraum mit ausreichendem Standard zu fördern; 2. der Obdachlosigkeit vorzubeugen und sie mit dem Ziel der schrittweisen Beseitigung abzubauen; 3. die Wohnkosten für Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, so zu gestalten, dass sie tragbar sind."2 Das Grundgesetz sichert die Voraussetzungen für die Umsetzung dieses Menschenrechts zu: durch das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip. Das Einlösen des Rechts auf Wohnen für alle ist dennoch nicht selbstverständlich: Beratungsstellen der Caritas erfahren zunehmend, dass Menschen der Zugang zu bedarfsgerechtem Wohnraum erschwert oder verwehrt wurde und wird.
Die Kirche und ihre Caritas haben eine lange Tradition beim Realisieren dieses Menschenrechts: Das Arbeiter(wohn)elend des 19. Jahrhunderts mit seinen "Mietskasernen" war ein Ausgangspunkt der sozial-caritativen Bewegung im Vorfeld der verbandlichen Caritas. Gegen die krasse Wohnungsnot nach dem Zweiten Weltkrieg gründeten die Bistümer viele katholische Siedlungswerke und Wohnungsunternehmen. Heute stehen das Mehrgenerationen-Wohnen und viele weitere Innovationen auf der Agenda.
Ursachen und Folgen steigender Wohnkosten
Entgegen früheren Prognosen ist die Wohnbevölkerung in Deutschland seit einigen Jahren gewachsen, von 80 Millionen Menschen 2011 auf 82,5 Millionen Ende 2016.
Diese Bevölkerungszunahme konzentriert sich auf prosperierende Regionen. Denn dort entstanden viele neue Arbeitsplätze, zudem ziehen junge Menschen für Studium oder Ausbildung in die Großstädte. Hier gibt es eine Familien und Geburten begünstigende Infrastruktur. Kurze Wege, bessere Daseinsvorsorge und mehr sozial-kulturelle Kontakte veranlassen aber auch Senior(in-
n)en zur "Landflucht".
Gesellschaftliche Veränderungen kommen hinzu: zum Beispiel die stetig steigende Zahl beruflich bedingter Zweitwohnsitze und von Einpersonenhaushalten, die im Schnitt bereits 44 Prozent der bundesdeutschen Haushalte ausmachen. Die durchschnittliche Wohnfläche pro Person verdreifachte sich seit der Nachkriegszeit auf knapp 45 Quadratmeter. Dabei wird seit Jahren zu wenig gebaut: Von 140.000 Mietwohnungen, die jährlich entstehen müssten, wurde 2015 lediglich ein Drittel fertiggestellt. Die prozentual größte Lücke: Nur 24.550 Sozialwohnungen wurden 2016 gebaut, aber 80.000 benötigt.
Die Folgen des engen Wohnungsmarktes: In den 77 deutschen Großstädten müssen zwei von fünf Haushalten bereits mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens für ihre Kaltmiete ausgeben. Bei kleinen Einkommen droht über dieser Schwelle Verschuldung, etwa in Form unbezahlter Stromrechnungen. Die steigenden Mieten sind gleichzeitig Ausdruck und Motor städtischer Gentrifizierung, eines Prozesses, der einkommensschwächere Gruppen aus aufgewerteten Quartieren verdrängt. Eine hohe Dichte sozialer Problemlagen in unattraktiven Quartieren ist die Folge: Gift für den Zusammenhalt der Gesellschaft.
In demografisch schrumpfenden Regionen stellen sich die Probleme anders dar, aber ebenso konfliktträchtig: Dort sind die Mieten moderat, die Wohnimmobilien - teils als Altersvorsorge gedacht - aber oft unverkäuflich.
Kommunen in der Verantwortung
Der soziale Wohnungsbau muss deutlich gefördert werden. Hierfür ist das Bauplanungsrecht ein starkes Instrument der Kommunen: Sie bestimmen, wo und wie sozial ausgewogen gebaut wird. Die Nachverdichtung auf kommunalen Flächen sollte umsichtig forciert werden und beispielsweise innerstädtische Grünflächen schonen. Reicht dieses Entwicklungspotenzial nicht, gilt es, neue Stadtteile zu bauen. Und es braucht eine ausreichende finanzielle Ausstattung der Kommunen, damit sie Grundstücke nicht an den Meistbietenden, sondern nach Konzeptqualität vergeben und dabei soziale Aspekte berücksichtigen, etwa einen festen Anteil an gefördertem Wohnungsbau. Eine Vergabe kommunalen Baugrunds in Erbpacht kann besonders sinnvoll sein, um sich langfristigen Gestaltungsspielraum zu erhalten.
Vor der Vergabe an private Investoren sollten Kommunen mittels städtebaulicher Verträge Bedingungen vereinbaren und umsetzen, darunter eine Quote zur Errichtung von Mietwohnungen, vor allem im preisgedämpften Segment. Zudem können Kommunen bei Grundstücksverkäufen ihr Vorkaufsrecht nutzen, um selbst zu bauen oder diese Grundstücke ihren Wohnungsgesellschaften mit der Vorgabe zu geben, günstigen Wohnraum zu errichten.
Sozialer Wohnungsbau
Als Gegenleistung für vergünstigte Darlehen oder Grundstücke, Zuschüsse oder Bürgschaften vom Land oder der Kommune an private oder öffentliche Investoren unterliegen geförderte Wohnungen für bestimmte Zeit sozialen Bindungen. Diese beziehen sich auf den Kreis der Wohnberechtigten sowie auf die Miethöhe. Häufig sind die Fristen zu kurz - 25, besser 30 Jahre gilt es durchzusetzen. Hinzu kommen Steuerungsmöglichkeiten durch mittelbare Belegungsbindung, die Neubauten sozialverträglich fördert, indem sie soziale Bindungen von dort auf Bestandswohnungen überträgt.
Erfüllen Mieter(innen) die Voraussetzungen für den Bezug einer Sozialwohnung nicht mehr, weil ihr Einkommen zwischenzeitlich stieg, kommt eine Fehlbelegungsabgabe in Betracht: So können sie in ihrer Wohnung bleiben und weiter zur sozialen Stabilität des Quartiers beitragen.
Innovative Vernetzungen
Die Caritas vor Ort kann in Zusammenarbeit mit Pfarrgemeinden die (Um-)Nutzung kirchlicher oder verbandlicher Immobilien zugunsten des Wohnens fördern. Zahlreiche Beispiele aus der Praxis zeigen, wie sich innovative Lösungen der Wohnraumversorgung mit sozialen Dienstleistungsangeboten verbinden lassen.3 Denn neben ausreichendem Wohnraum ist das Wohnumfeld entscheidend für Lebensqualität, Sicherheit und Teilhabe und den Zusammenhalt unterschiedlicher Nachbarschaftsgruppen. Insbesondere in Sozialräumen mit starken sozialen und städtebaulichen Problemlagen ist Quartiersarbeit unverzichtbar. Viele Caritasgliederungen gestalten Gemeinwesen- und Beteiligungsprozesse vor Ort mit und achten darauf, dass nicht nur artikulationsstarke Gruppen Gehör finden.
Bessere Infrastrukturplanungen etwa zu Bildung und Gesundheitsversorgung oder zum Wechselspiel von Wohnen und Mobilität - mittels verstärkter Kooperation von Zentren und ihrem Umland - können die Bundesländer initiieren und begleiten. In ihrer exklusiven gesetzlichen Verantwortung wird ab 2020 die Förderung des sozialen Wohnungsbaus liegen.
Verantwortung der Bundespolitik
Der Bund bleibt gefordert, steuernd und preisdämpfend auf den Wohnungsmarkt einzuwirken: durch Ausgestaltung des Mietrechts und eines Wohnungs-Gemeinnützigkeitsrechts, das Initiativen und Organisationen des sozialen Wohnungsbaus fördert. An die vom Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen entwickelten Maßnahmen gilt es anzuknüpfen. Aufgestockt werden sollte das stark nachgefragte bisherige KfW-Förderprogramm "Altersgerecht umbauen". Zur Verbreitung vielfältiger Caritas-Modellprojekte, die generationenübergreifendes Wohnen mit ambulanter Unterstützung verbinden, fehlt noch die nötige Förderung.
Familien mit Kindern sollten durch Zuschüsse sowie lange Zinsbindungsfristen beim Kauf selbst genutzten Wohnraums unterstützt werden. Die Einkommensgrenzen dürfen dabei nicht zu niedrig, aber auch nicht zu hoch liegen.
Wohngeld hilft zu verhindern, dass Menschen in regional angespannten Wohnungsmärkten ihre Wohnung, ihr Umfeld verlassen müssen. Eine regelmäßige Anpassung der Miethöchstbeträge, Einkommensgrenzen und der Höhe des Wohngeldes kann den "Drehtüreffekt" zwischen dem Bezug von Wohngeld und von SGB-II-Leistungen reduzieren.
Bei den Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) nach SGB II und SGB XII ist das Prinzip der "Angemessenheit" sinnvoll, um auf die tatsächlichen lokalen Mietverhältnisse zu reagieren. In der Praxis geht es aber mit erheblicher Rechtsunsicherheit einher. Hier braucht es ein vom Gesetzgeber vorzugebendes Verfahren einschließlich Klauseln für mehr (lokal nötige) Flexibilität.
Kirche und ihre Caritas in der Pflicht
Angesichts der aktuellen Wohnungsnot müssen sich kirchliche Liegenschaftsverwaltungen und Wohnungsunternehmen sowie die Caritas und ihre Fachverbände neu fragen, was sie selbst zum bezahlbaren Wohnen beitragen können: Welche ihrer unbebauten Flächen sind "aktivierbar", um sie in Eigenregie zu bebauen oder in Erbpacht zu vergeben? Wo sind An-, Aus- oder Umbauten möglich? Dabei sollte sozialer Wohnungsbau grundsätzlich Teil der Neubauvorhaben sein. Die Kirche und ihre Caritas können sich zudem mit ihrem Wissen in kommunale Planungsprozesse und städtebauliche Entwicklungen einbringen und darauf hinwirken, dass Wohnraum auch im günstigen Segment geschaffen wird und somit das Menschenrecht auf Wohnen wieder für alle Menschen gilt (s. dazu auch die Beiträge in neue caritas Heft 22/2017, S. 9ff.).
Anmerkungen
1. Deutscher Caritasverband (DCV): Jeder Mensch braucht ein Zuhause. Positionen zur Jahreskampagne des DCV 2018. In dem unter www.zuhause-fuer-jeden.de/sozialpolitische-positionen/, verfügbaren Dokument sind auch die Quellen zu Fakten in diesem Übersichtsartikel zu finden.
2. Teil I Art. 31 der 1996 revidierten Europäischen Sozialcharta.
3. www.zuhause-für-jeden.de; www.caritas.de/initiative (Good Practice 2018).
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