Wir müssen den Betreuungsverein neu erfinden
Die Qualität in der rechtlichen Betreuung ist gut. Die Stundensätze für die beruflich geführte Betreuung sind jedoch zu niedrig und entsprechen nicht der tatsächlich geleisteten Arbeit eines Betreuers. Bei der ehrenamtlichen Betreuung gibt es qualitatives Verbesserungspotenzial. Soweit in Kürze die wichtigsten Erkenntnisse der vom Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik - ISG im Auftrag des Bundesjustizministeriums durchgeführten Studie zur Qualität in der rechtlichen Betreuung, die im Dezember 2017 vorgestellt wurde.
Für die Betreuungsvereine geht es finanziell um ihre Existenz. Hier muss schnellstens eine Lösung gefunden werden, sonst werden die Vereine die Erkenntnisse aus der Studie und notwendige Umsetzungserfordernisse nicht mehr mitdiskutieren können. Erforderlich ist eine schnellstmögliche Umsetzung des Bundestagsbeschlusses vom 18. Mai 2017, der eine Erhöhung der Vergütung auch für unsere Vereinsbetreuer um 15 Prozent vorsieht. Hierbei handelt es sich ausschließlich um allgemeine Kostensteigerungen seit 2005, der letzten Vergütungsanpassung. Seither gab es keine Vergütungsanpassung mehr. Bisher haben die Länder im Bundesrat die notwendige Zustimmung verweigert. Erst wenn diese erfolgt ist, kann es für uns um eine qualitative Weiterentwicklung des Betreuungsrechtes gehen.
Schwerpunkt einer Reform wird sein, dass eine "unterstützte Entscheidungsfindung" für betreute Menschen tatsächlich gesichert ist. Dafür muss Be-
treuerinnen und Betreuern mehr Beratungszeit zugestanden werden. Die Studie hat ermittelt, dass Betreuer schon jetzt 4,1 Stunden monatlich pro Betreuungsfall arbeiten, aber lediglich 3,3 Stunden vergütet bekommen. Aber auch die Höhe der Vergütung für berufliche Betreuer muss leistungsgerecht angepasst werden.
Die Qualität im Ehrenamt kann verbessert werden
Qualitative Unterschiede zwischen Berufsbetreuern und Vereinsbetreuern bei der Betreuungsführung sind in der Studie wenig sichtbar geworden. Das wirft die Frage auf, ob wir uns wieder mehr auf unsere Kernkompetenz, die Unterstützung der ehrenamtlichen Betreuung, fokussieren sollten. Die Qualität bei der ehrenamtlichen Betreuung ist nämlich durchaus verbesserungswürdig. Ehrenamtliche Betreuer und besonders familienangehörige Betreuer haben deutliche Defizite gegenüber Berufsbetreuern hinsichtlich ihrer Kenntnisse in den Bereichen: Rechte der Betreuten, Methoden zur unterstützten Entscheidungsfindung, Rolle des Betreuers, Unterscheidung zwischen eigenen Interessen und denen des Betreuten. Eine Erkenntnis der Studie, die mit den Erfahrungen in den Betreuungsvereinen übereinstimmt. Die Unterstützungsangebote der Vereine für Familienangehörige und Ehrenamtliche sind allerdings bisher freiwillig und müssen von Gerichten und Behörden auch tatsächlich vermittelt werden.
Das ISG gibt zahlreiche Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Qualität der ehrenamtlichen Betreuung.
Beispielhaft seien hier genannt:
- Ehrenamt/Familienangehörige flächendeckender schulen;
- über die Rolle des rechtlichen Betreuers in Abgrenzung zu anderen Hilfen aufklären;
- die unterstützte Entscheidungsfindung sicherstellen;
- Schulungskonzepte erweitern;
- Möglichkeit der Tandem-Betreuung besser ausbauen.
Viele dieser Vorschläge werden in den Vereinen bereits umgesetzt, kommen aber beim Ehrenamtlichen/Familienangehörigen aus verschiedenen Gründen nicht an.
Weil …
- … die Angebote nicht bekannt sind (werden durch Gerichte/Behörden nicht vermittelt;
- … die Notwendigkeit einer Schulung und Unterstützung von der Zielgruppe nicht gesehen wird (eine Pflicht gibt es nicht);
- … die Angebote nicht zielgruppenorientiert sind;
- …die Kooperation zwischen Verein/Behörde/Ge- richt optimierbar ist.
Konzepte für die Verbesserung und den Ausbau der Querschnittsarbeit sind bei den Vereinen schon jetzt vorhanden. Allerdings bedarf es vielleicht einer inhaltlichen Neuausrichtung der Vereine und vor allem einer neuen Finanzierungsstruktur. Denn die Studie brachte auch zutage: Das Verhältnis einer öffentlich geförderten Querschnittsstelle zur Zahl der ehrenamtlich geführten Betreuungen beträgt in Deutschland 1:4000! Da darf man sich über qualitative Mängel bei einer ehrenamtlich geführten Betreuung nicht wundern.
Für die Caritas geht es um Grundsätzliches
Was heißt das für die Betreuungsvereine der Caritas und ihrer Fachverbände? Sicher können wir die eine oder andere Handlungsempfehlung sofort prüfen und gegebenenfalls anpassen. Aber danach geht es ans Grundsätzliche. Wo sehen wir uns zukünftig im Betreuungswesen? Welche Rolle wollen wir da übernehmen? Wie richten wir uns neu aus und entwickeln unser Profil weiter?
Betreuungsvereine müssen sich neu erfinden und anders ausrichten. Betreuungsvereine sollten Kompetenzzentren im Bereich Vorsorge und rechtlicher Betreuung im Sozialraum sein und Ansprechpartner für Bürger, Betroffene, Angehörige, Freiwillige, Einrichtungen usw. Das würde auch eine neue Finanzierungsstruktur bedeuten, die Vereine mit ihrem gesamten Angebot fördert und die Veränderungen im Ehrenamt der letzten Jahrzehnte berücksichtigt. Das derzeitige Ehrenamt im Betreuungswesen basiert auf einem Ehrenamtsverständnis der 50er/60er-Jahre.
Reiner Adler, Professor an der Hochschule Jena, spricht bei den Betreuungsvereinen von einer Sinnkrise, weil sie dem Betreuungswesen derzeit keinen unersetzlichen Sinn, keine einzigartige Interpretation anbieten. Nach seiner Vorstellung stellen Betreuungsvereine die vergessene zivilgesellschaftliche Mitte des Betreuungswesens dar. Daher müsse sich das Betreuungswesen konsequent auf die zivilgesellschaftliche Positionierung der Betreuungsvereine ausrichten. Die Vereine müssten sich neben Markt und Staat als dritter Akteur, als Dritter Sektor im Betreuungswesen neben Berufsbetreuern einerseits und Betreuungsbehörden und -gerichten andererseits positionieren.
Hier geht es ums Ehrenamt
Als Vertreter der Zivilgesellschaft könnte der Verein auch Repräsentant der Lebenswelt im Betreuungs-
wesen sein. Dazu gehört auch, dass er die private Vorsorge durch Vollmacht und die Vermeidung eines staatlichen Eingriffs zu seinem Anliegen macht. Reiner Adler identifiziert verschiedene Aufgaben, die seiner Ansicht nach in das Aufgabenprofil eines Betreuungsvereins als Vertreter der Bürgerrechte gehören: die Übernahme von Verfahrenspflegschaften und Kontrollbetreuungen, Sachverständigentätigkeiten, Gegenbetreuungen und die Übernahme von vorläufigen Betreuungen.
Voraussetzung all dieser Überlegungen ist ein Betreuungsverein, der mit seinen Mitgliedern und Ehrenamtlichen im Sozialraum aktiv ist und sich als Vertreter der Bürger vor Ort versteht. Sind unsere Betreuungsvereine so aufgestellt? Hat sich das Betreuungsrecht mit seinen Anforderungen an ehrenamtlich tätige Betreuer mit dem Ehrenamt weiterentwickelt? Das Verständnis von ehrenamtlicher Tätigkeit im Betreuungsgesetz ist veraltet.
Paul-Stefan Roß, Professor der Dualen Hochschule Stuttgart, hat die Entwicklung des Ehrenamtes untersucht und verschiedene Projekte hierzu wissenschaftlich begleitet. Ehrenamtliches Engagement hat sich seiner Einschätzung nach vom klassischen Ehrenamt über das freiwillige und das bürgerschaftliche Engagement bis hin zu einem sehr bunten und vielfältigen Engagement entwickelt. Heute verbinden sich klassische Elemente mit freiwilligem Engagement, Bürgerinitiativen, Selbsthilfe, Vereinswesen, Nachbarschaftshilfe, Bürgerbeteiligung, Bürgerbewegungen, Parteien und die besonders durch Zuwanderung neu geprägte Familienhilfe. Die Vielfalt der Formen, in denen Menschen sich engagieren, nimmt kontinuierlich zu. Es gibt eine Vielzahl organisierter Formen von Engagement, aber eben auch mehr und mehr informelle Netzwerke.
Die Bedeutung von Engagement wird zunehmend erkannt. Dabei wird zunehmend versucht, Engagement systematisch in staatliche Leistungsketten einzubinden. Paul-Stefan Roß wagt einen Blick in die Zukunft und stellt fest, dass das zukünftige Ehrenamt ein Engagement sein wird, das auf Selbstbestimmung pocht und sich einer "Verplanung" entziehen wird. Es wird in vielfältiger Weise mit professionellen Tätigkeiten verknüpft sein, und es wird seinen zentralen Wert haben in der "Teilhabe am Leben in der Gesellschaft".
Für die rechtliche Betreuung bedeutet das:
Wir müssen einen realistischen Blick auf die Möglichkeiten und Grenzen haben, um Menschen für die rechtliche Betreuung zu gewinnen. Wir müssen anschlussfähig sein für vielfältige Formen von Engagement und neue Gruppen von Engagierten. Wir müssen kreative und flexible Formen des Engagements entwickeln, die "Arbeitsteilungen" zwischen Inhabern von Vorsorgevollmachten, Familienbetreuern, ehrenamtlichen Betreuern und Berufsbetreuern ermöglichen. Und mit "wir" sind nicht nur die Betreuungsvereine gemeint, sondern eben das gesamte Betreuungswesen.
Die Zivilgesellschaft ist angesprochen
Hier können Betreuungsvereine anknüpfen. Der Betreuungsverein als Vertreter der Zivilgesellschaft könnte eine Fülle neuer, anderer Aufgaben übernehmen:
- vorläufige Betreuungen;
- Kontrollbetreuungen;
- Verfahrenspflegschaften;
- Verhinderungsbetreuungen;
- Beratung und Begleitung im Bereich Betreuungsvermeidung zu Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung, Patientenverfügung;
- Vermittlung anderer Hilfen;
- Initiierung von Projekten und Federführung im Sozialraum.
Die Arbeitsstelle Rechtliche Betreuung DCV, SkF, SKM wird sich diesen Fragen mit den beteiligten Trägern und Gremien (Bundeskonferenz) und im Rahmen einer seit November 2017 tätigen Arbeitsgruppe widmen. Wir sind da - bereit für die Zukunft!
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