Auch auf dem Land ist Wohnen für viele zu teuer geworden
Der Einzugsbereich der Caritas Biberach-Saulgau bildet den gesamten Landkreis Biberach, ein Drittel des Landkreises Sigmaringen und eine Seelsorgeeinheit im Landkreis Ravensburg ab. Die Wirtschaftsregion prosperiert, die größeren Städte in diesem ländlich geprägten Raum ebenfalls.
Die Wohlfahrtsverbände der Liga der freien Wohlfahrtspflege beobachten auch hier, dass bezahlbarer Wohnraum für unterschiedliche Zielgruppen immer schwieriger zu finden ist. Ein Grund dafür ist, dass sozialer Wohnungsbau nicht mehr stattgefunden hat und der Wohnungsbau in den letzten Jahren nur renditeorientiert war. Denn es gibt in der Region neben einkommensschwachen auch einkommensstarke Bevölkerungsgruppen. Insgesamt nahm der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum für Menschen mit geringem Einkommen (insbesondere ALG-II-Empfänger(innen)), psychisch kranke Menschen, wohnsitzlose Menschen, ältere Menschen im Bereich der Grundsicherung, kinderreiche Familien, Alleinerziehende kontinuierlich zu. Dazugekommen ist eine deutlich gestiegene Zahl von EU-Bürger(inne)n und seit 2015 auch geflüchtete Menschen.
Die Caritas startet Initiative
Auf diese Situation reagiert die Caritas Biberach-Saulgau. Sie initiierte ein Bündnis mit dem Ziel, das Angebot an bezahlbarem Wohnraum zu verbessern und entsprechende Aktivitäten zu starten.
Der erste Schritt bestand in einer Bedarfsanalyse, um mit konkreten Zahlen in Gespräche eintreten zu können. Zum Zweiten wurden wichtige Schlüsselpersonen identifiziert, auf die man zugehen konnte. Zudem stand am Anfang die Frage, welche Instrumente geeignet sind, um eine möglichst große Wirkung und eine langfristige Perspektive zu erzielen. Am Ende dieses Prozesses stand im Jahr 2013 der Zusammenschluss verschiedener Wohlfahrtsverbände zu einem "Aktionsbündnis für bezahlbaren Wohnraum", organisiert von der Caritas Biberach-Saulgau.
Auf vier Ebenen ist das Bündnis tätig:
Erstens: die sozialpolitische Lobbyarbeit. Diese hat das Ziel, in den Städten, insbesondere der Kreisstadt Biberach, sowohl die Verwaltung als auch die Stadt- und Gemeinderäte von der Notwendigkeit der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum zu überzeugen und entsprechende kommunalpolitische Entscheidungen zu treffen.
Am Beispiel der Stadt Biberach sei dies kurz skizziert. Zum einen gab es Gespräche mit dem Oberbürgermeister, um ihm die Dimension des Bedarfes an bezahlbarem Wohnraum deutlich zu machen. Daraus entstand ein Arbeitskreis "bezahlbarer Wohnraum" bei der Stadt sowie ein Planungskreis, um konkrete Maßnahmen zu überlegen. Zu diesem gehörten der Oberbürgermeister, der Bau- und Finanzbürgermeister, ein Vertreter des Stadtrates und ein Vertreter der Liga der freien Wohlfahrtspflege. Gleichzeitig wurden Gespräche mit den Stadtratsfraktionen geführt. Bei allen Gesprächen ging es darum, auf die Wohnungsproblematik hinzuweisen und die Bereitschaft zu fördern, seitens der Stadt bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Dieser Meinungsbildungsprozess dauerte ein Jahr. Gründe dafür waren unterschiedliche Auffassungen über den Bedarf an bezahlbarem Wohnraum und unterschiedliche Auffassungen über die Rolle der Stadt. Mit anderen Worten die Gegensätze: "Der Markt richtet es" versus "Haben wir eine soziale Verantwortung, als Stadt für entsprechenden Wohnraum zu sorgen?"
Und sie bewegten sich doch
Letztendlich gab es einen konstruktiven Meinungsbildungsprozess innerhalb der Stadtverwaltung sowie die große Bereitschaft aller Stadtratsfraktionen, folgende Entscheidungen zu treffen:
- In jedem neu geplanten Wohnquartier wird eine entsprechende Anzahl von eingestreutem bezahlbarem Wohnraum eingeplant und geschaffen.
- Derzeit ist dieser Wohnraum in drei Baugebieten ausgewiesen.
- Diese Vorgabe gilt auch für die weiteren Planungen.
Die Wohlfahrtsverbände begleiten bei Bedarf die Mieter in diesen neu entstandenen Wohnungen.
Als Zweites wurde zu den Baugenossenschaften in der Region Kontakt aufgenommen. Auch hier die Zielsetzung, Baugenossenschaften dafür zu gewinnen, dafür Sorge zu tragen, in ihrem Bestand eine ausreichende Zahl an bezahlbaren Wohnungen vorzuhalten oder neu zu bauen. Die Gespräche waren nur zum Teil zielführend, weil das Anliegen zwar verstanden wurde, die Baugenossenschaften aber einen engen Handlungsrahmen haben, der auch an Renditevorgaben gebunden ist.
Insgesamt ist es in diesem Bereich zumindest gelungen, dass verschiedene Baugenossenschaften nun aus ihrem Wohnraumbestand für die genannten Zielgruppen eine entsprechende Anzahl von Wohnraum zur Verfügung stellen. Das Bündnis ist die Verpflichtung eingegangen, die soziale Betreuung der Mieter bei Bedarf sicherzustellen. Außerdem wurde gemeinsam mit den Wohnbaugenossenschaften ein Informations- und Begleitkonzept entwickelt, das alle Mieter(innen) dieser Baugenossenschaften im Falle einer Notlage nutzen können. Als sinnvoller "Nebeneffekt" der Gespräche hat sich zwischenzeitlich eine feste Struktur entwickelt. Jeder neue Mieter der Biberacher Baugenossenschaft erhält bei Einzug eine entsprechende Information, an wen er sich in einer Notlage oder im Beratungsfalle wenden kann.
Außerdem tritt das Bündnis bei Bedarf als Mieter im Bereich der Wohnversorgung psychisch kranker Menschen gegenüber der Baugenossenschaft auf.
Als dritter Punkt stand die Initiative zur Gründung einer Bürgerbaugenossenschaft auf der Agenda. Gemeinsam mit engagierten Ehrenamtlichen, allen voran einem ehemaligen Direktor einer Volksbank, wurden die Voraussetzungen dafür geschaffen. Im Jahr 2015 kam es zur Gründung dieser Baugenossenschaft Biberach mit dem Ziel, bezahlbaren Wohnraum vor allem für ältere Mitbürger(innen) zu schaffen. Derzeit läuft die Planung für ein erstes Projekt. Die Möglichkeit von Erbbau soll die Kosten senken. Handlungsleitend war die Erkenntnis, dass in den nächsten Jahren die Zahl älterer Menschen mit geringer Rente deutlich zunehmen und damit der Bedarf für diese Zielgruppe nach bezahlbarem Wohnraum noch einmal steigen wird.
Alle diese Maßnahmen bezogen sich auf die Schaffung von neuem Wohnraum. Der vierte Handlungsstrang bezieht sich auf die Nutzung bestehenden Wohnraums.
Wohnraum der Kirchen kann einbezogen werden
Vierter Punkt auf der Agenda: Auf Ebene der beiden Dekanate Biberach und Saulgau wurde zum einen über die aktuelle Situation auf dem Wohnungsmarkt informiert, zum anderen eine Anfrage gestartet, ob nicht kirchliches Wohneigentum entsprechenden Zielgruppen zur Verfügung gestellt werden könnte. Eine zentrale Rolle haben dabei die kirchlichen Verwaltungszentren/Kirchenpflegen gespielt, da diese einen guten Überblick über die kirchlichen Immobilien und eine gute Einschätzung über realistische Möglichkeiten der Nutzung haben. Auf diesem Wege wurden Wohnungen gefunden.
Der Blick nach Stuttgart
Zwischenzeitlich gibt es weitere Initiativen der Caritas in der Diözese Rottenburg-Stuttgart, bestehenden Wohnraum für die genannten Zielgruppen zur Verfügung zu stellen. In unserer Nachbarregion, der Caritas Bodensee-Oberschwaben, gibt es dazu ein Modellprojekt. In einer Kooperation von Dekanaten, Kommunen und der Caritas wird auf potenzielle Vermieter(innen) zugegangen, um Vermietung geworben. Es gibt die Zusage von sozialer Begleitung der Mieter(innen) und eine Mietgarantie. Dazu soll ein Risikofonds für mögliche Mietausfälle eingerichtet werden, gespeist von Dekanaten und Kommunen. Der Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart beschäftigt sich intensiv mit diesem Thema, hat dazu eine Projektgruppe eingerichtet und einen thematischen strategischen Schwerpunkt gebildet. Die Diözese Rottenburg-Stuttgart unterstützt Bemühungen, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
Insgesamt greift die Erkenntnis, dass der ländliche Raum ebenfalls mit der Problematik zu kämpfen hat und der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat - es aber oft großer Anstrengungen bedarf, um Gremien und Verantwortliche davon zu überzeugen, dass diese Problematik vorhanden ist und Handlungsbedarf besteht.
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