Wohnen – ein Pfeiler der Daseinsvorsorge
Unsere Stadtgesellschaft droht weiter auseinanderzufallen in Arm und Reich, in Einheimische und Menschen ausländischer Herkunft. Das ist nicht hinnehmbar und gefährlich. Die Versorgung mit Wohnraum für die Ärmeren in der Gesellschaft wird gegenwärtig mit eher konventionellen Lösungsansätzen, weniger zukunftsorientiert und planungssicher gehandhabt. Mal mehr, mal weniger mangelt es an dem Bewusstsein, es mit einer kontinuierlichen gesellschaftlichen Aufgabe zu tun zu haben.
Der Anteil an preiswerten Wohnungen ist in fast allen Kommunen Deutschlands zu gering. Die Anzahl von Belegrechtswohnungen sinkt kontinuierlich. Die Erfahrung zeigt, dass der Markt allein es nicht regelt. Das Wohnen für Geringverdienende ist spätestens seit dem Ende der 80er-Jahre mit der Aufhebung der Gemeinnützigkeit aus dem Blickfeld der Politik geraten. Das Angebot an kostengünstigem Wohnraum schien ausreichend, die Bevölkerungsprognosen (Deutschland schrumpft) haben das allgemeine Desinteresse gefördert. Die gegenwärtige Situation am Wohnungsmarkt hat zwar die Aufmerksamkeit von Politik, Verbänden und Immobilienwirtschaft geweckt (siehe "Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen"). Es fehlt jedoch in weiten Kreisen der Bevölkerung an öffentlichem Bewusstsein einmal für die Notwendigkeit der gesellschaftlichen Aufgabe der sozialen Wohnungsversorgung grundsätzlich und darüber hinaus dafür, dass es sich hierbei um eine kontinuierliche Aufgabe handelt.
Lösung der Wohnungsfrage wahrt den sozialen Frieden
Bereits jetzt ist, vor allem angesichts des Migrationsdrucks, in der Gesellschaft die Befürchtung wahrzunehmen, dass es unabwendbar zu Segregationserscheinungen - hier "Gated Communities" (geschlossene Wohnsiedlungen), dort soziale Brennpunkte mit allen Randerscheinungen wie No-go-Areas und Parallelgesellschaften - kommen wird. Dies darf nicht eintreten. Dringend muss öffentliches Bewusstsein dafür hergestellt werden, dass die Lösung der Wohnungsfrage ein zentraler Beitrag zur Wahrung des sozialen Friedens in der Bundesrepublik ist. Die Frage ist, ob es der Bedeutung dieser kontinuierlich präsenten Aufgabe nicht besser entsprechen würde, einen Teil der Steuereinnahmen - politisch abgesichert und zumindest mittelfristig zweckgebunden - für diese Aufgabe bereitzustellen. Dies könnte in Form einer staatlichen Wohnbausteuer geschehen (analog zum Solidarfonds).
Die Steuer wäre von jedem Steuerpflichtigen zu entrichten - ohne Erhöhung der allgemeinen Steuerquote. Damit stünden, für jedermann sichtbar und nachvollziehbar, Mittel für die soziale Wohnraumversorgung zur Verfügung. Das Bewusstsein für diese dauerhafte Aufgabe würde in der allgemeinen Öffentlichkeit und bei den politischen Akteuren deutlich geschärft. Für jedermann würde sichtbar, dass er für die Wahrung des sozialen Friedens Mitverantwortung übernimmt und seinen Beitrag leistet.
Die öffentlichen Hände sollten sich immer wieder vergegenwärtigen, dass sich die Gesellschaft dauerhaft mit eher wachsender Armut auseinandersetzen muss und sicherlich eine Zahl von durchschnittlich 20 bis 25 Prozent aller Wohnungen für Bedürftige verfügbar sein müssen (mehr als zwei Prozent für schwer Vermittelbare).
Räumliche Integration ist auch soziale Integration
Es ist nicht hinnehmbar, die Konzentration von Armut in innenstadtfernen Quartieren zuzulassen, während sich das Innere der Stadt zu einem Ort des Wohlbefindens und des Wohlstands entwickelt. Soziale Segregation schafft Verwerfungen mit gesellschaftlich verheerenden Folgen.
Das Innere der Stadt hat sich als beispielgebender Ort der Integration von Arm und Reich zu erweisen. Das Innere der Stadt ist der Ort, der die Stadtgesellschaft zusammenhält. Es ist die Zentralität des Inneren mit Strahlkraft auf die ganze Stadt, die in besonderer Weise dazu geeignet ist, gleichzeitig die räumliche wie die soziale Integration zu fördern und zu sichern.
Zukünftige Wohnkonzepte sollten durch die Mischung von hochpreisigem Wohnraum mit bezahlbarem Wohnraum für einkommensschwache Bevölkerungsschichten Akzente für Integration setzen. Dies muss für die innerstädtische Quartiersentwicklung genauso gelten wie für Einzelprojekte. Es geht darum, bezahlbaren Wohnraum in einer wie auch immer gearteten Mischung mit höherwertigen Wohnungen auf Dauer zu platzieren.
Das ist nur zu erreichen, wenn die Sozialbindung von Wohnraum an den betreffenden Orten dauerhaft erhalten bleibt. Es fehlt ein Konzept, Wohnungen mit Sozialbindung im Eigentum von Privaten, von Genossenschaften und der gesamten Wohnungswirtschaft dauerhaft zu sichern, etwa durch Verlängerung von Belegrechten durch öffentliche Nachfinanzierung oder Ähnliches. Es fehlen Konzepte, private Wohnungen durch den befristeten oder auch unbefristeten Erwerb von Belegrechten durch die öffentliche Hand für die soziale Vorsorge zu erschließen.
Soziale Integration durch Mitverantwortung
Es fehlt ein Konzept, den Status des Sozialmieters als dem/der "Mieter(in) ohne Verantwortung" für die Mietsache zu verändern. Im engen Zusammenhang mit der Standortfrage steht das Selbstverständnis, mit dem sich Mieter(innen) ihrer Wohnung zuwenden, beziehungsweise die Frage, in welchem Verhältnis Mieter(innen) zu ihrer Wohnung oder zu der Immobilie stehen, in der sie leben. Ein wichtiger Effekt sozialer Wohnungsvorsorge sollte es sein, dem/der Sozialmieter(in) die Anregung zu geben und die Chance zu eröffnen, sich mit allen Aspekten seines/ihres Daseins in die Gesellschaft zu integrieren.
Wege dahin können sein: die Übernahme von mehr Verantwortung für die Wohnung und das Umfeld (Mieterbeiräte oder Ähnliches), oder gar der Erwerb von Wohnungseigentum (Eigenkapitalersatz durch Selbsthilfe und/oder Wohngeld), gegebenenfalls durch Wahrnehmung von Vorkaufsrechten beim Erwerb öffentlich geförderter Wohnungen. Eine hohe Verantwortung für die eigene Wohnung ist umso eher zu erwarten, als die Möglichkeit des Miteigentums im Rahmen einer Eigentümergemeinschaft beziehungsweise Genossenschaft gegeben ist. Bei dergleichen Privatisierungsmodellen ist die dauerhafte Sozialbindung des Wohneigentums zu sichern.
Das Bewusstsein, es mit Eigentum zu tun zu haben, aus dem man nicht ohne Weiteres vertrieben werden kann, die Tatsache, ohne die Androhung von unerwarteten Mieterhöhungen wohnen zu können, nimmt soziale Unsicherheit.
Diskutiert werden sollten Möglichkeiten zum öffentlich geförderten Eigentumserwerb.
Flächenstandards hinterfragen
Grundsätzlich gehören die allgemein üblichen Flächenstandards auf den Prüfstand. Die Stadt Wien als Vorreiterin in Sachen Wohnungsversorgung fördert seit Jahren den Bau von Wohnungen mit geringeren Flächenstandards. Sogenannte Smart-Wohnungen - auch in höheren Häusern - bieten der öffentlichen Hand, den Bauherren und den Nutzer(inne)n die Möglichkeit, Erschwingliches zu realisieren und zu gestalten. Konzepte für das Leben in Kleinwohnungen sollten Kompensationselemente enthalten, die die Qualität des Wohnens nicht nur in der eigenen Wohnung, sondern in der näheren Nachbarschaft beziehungsweise im Quartier zum Gegenstand haben.
Öffentliche Förderung als Darlehen
Öffentliche Fördermittel sollten grundsätzlich als Darlehen gegeben werden. Die Rückflüsse könnten in einen der Förderung des sozialen Wohnungsbaus vorbehaltenen Wohnraumförderfonds fließen. Dieser in Zusammenwirken mit kontinuierlich verfügbaren Steuereinnahmen dürfte die Gesellschaft konditionieren, Antworten auf die dauerhaft bestehende Wohnungsfrage zur Versorgung der Ärmeren geben zu können.
Anmerkung
Der Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung entnommen aus: Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung: Vorbereitender Bericht zur gemeinsamen Jahrestagung der DASL und ARL 2016. Daseinsvorsorge und Zusammenhalt.
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