Auf Dauer in Beziehung treten
Die große Zahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge (umF), die seit Sommer 2015 - somit in einem sehr kurzen Zeitraum - nach Deutschland eingereist sind, hat die Kinder- und Jugendhilfe vor erhebliche neue Herausforderungen gestellt. Junge Geflüchtete sind besonders vulnerabel, denn ihre Flucht hat sie von Eltern und Verwandten, von Gleichaltrigen und ihren vertrauten Netzwerken getrennt. In der sensiblen Lebensphase der Adoleszenz können Beziehungsabbrüche wie diese schwerwiegende Folgen für die individuelle Entwicklung und die Gesundheit mit sich bringen.2 Eines der notwendigen Ziele bei der ganzheitlichen Betreuung der ankommenden jungen Menschen ist daher der Aufbau von neuen Beziehungen und Netzwerken. Das Projekt "Volunteer Solinet" des Christophorus Jugendwerks in Freiburg setzt an diesem Punkt an: Es initiiert Patenschaften zwischen engagierten Freiburger(inne)n und umF, um ihnen so den Zugang in die hiesige Kultur zu erleichtern und Netzwerke aufzubauen, die Unterstützung in ihrer Lebenssituation und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen.
Eine Besonderheit dieses Ehrenamtsprojekts ist der Gedanke der Nachhaltigkeit. Es werden Patenschaften angestrebt, die über einen längeren Zeitraum existieren. Vorliegende Untersuchungen von ähnlichen Patenschafts- beziehungsweise Mentoringprojekten zeigen, dass der Aufbau von Beziehung und Vertrauen elementares Kriterium für eine erfolgreiche Unterstützung ist.3
Ziel der empirischen Auseinandersetzung mit der Arbeit von Volunteer Solinet - zunächst "nur" aus Sicht der beteiligten Ehrenamtlichen - war es deshalb, Informationen über den Beziehungsaufbau zwischen den ehrenamtlichen Helfer(inne)n und den umF zu erheben und zu analysieren. Für die Erhebung wurde ein Fragebogen an alle 15 Ehrenamtlichen gesandt, der neben persönlichen Angaben, betroffenen Lebensbereichen hinsichtlich des Beziehungsaufbaus sowie unterstützenden und hemmenden Faktoren auch eine Einschätzung über die Art der Beziehung zum jeweiligen umF-Tandempartner erbat. Die Endpunkte der verwendeten Skalen basierten auf vier Grunddimensionen von Beziehungen, die von Myron Wish et al. 1976 herausgearbeitet wurden:4
- gleich versus ungleich;
- kooperativ-freundlich versus kompetitiv-feindselig;
- sozio-emotional-informell versus aufgabenorientiert-formell;
- oberflächlich versus intensiv/tief.
Die Ergebnisse zeigen, dass beim Großteil der Patenschaften von "Volunteer Solinet" eine Beziehung entstanden ist. Diese ist hochgradig freundschaftlich, gleich und eher intensiv.
In den meisten Fällen erfolgt die Unterstützung in Form von Lerntreffen. In einigen Patenschaften besteht zudem Unterstützung in Form von Ratschlägen und Austauschmöglichkeiten. Über Indikatoren zu Einflüssen auf die Art der Beziehung können nur schwer Aussagen getroffen werden, da die Ergebnisse keine eindeutigen Tendenzen aufzeigen. Anzunehmen ist, dass sich Aktivitäten außerhalb der Lerntreffen begünstigend auf die Intensität und den informellen Charakter der Beziehung auswirken. Weitere begünstigende Faktoren für einen Beziehungsaufbau zwischen den jeweils zwei Tandempartnern sind die professionelle Unterstützung der Ehrenamtlichen durch das Christophorus Jugendwerk und die Mitarbeitenden der jeweiligen Wohngruppe. Die sprachliche Barriere und mangelnde Zeitressourcen können als hemmende Faktoren identifiziert werden.
Anmerkungen
1. Vgl. www.cjw.eu/ehrenamt/index.html; Korrektur-Hinweis: Aufgrund einer Verwechslung zeigt das Foto in neue caritas Heft 20/2018, S. 24 nicht Ehrenamts-Koordinator Manfred Emiér, sondern einen ehrenamtlichen Tandempartner des Projekts Volunteer SOLINET. Auch war die Wippe nicht selbst gebaut.
2. Kleefeldt, E.; Meyeringh, J.: Flucht und Migration in der Adoleszenz. In: PiD - Psychotherapie im Dialog 18 (02), 2017, S. 46-50.
3. DuBois, D. L.; Portillo, N. et al.: How Effective Are Mentoring Programs for Youth? A Systematic Assessment of the Evidence. In: Psychological science in the public interest: a journal of the American Psychological Society 12 (2), 2011, S. 57-91.
4. Wish, M.; Deutsch, M.; Kaplan, S. J.: Perceived Dimensions of Interpersonal Relations. In: Journal of Personality and Social Psychology 33/1976, S. 400-420.
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