Ethische Konflikte gemeinsam klären
Frau Maurer1, die im Heim lebt, verweigert seit einigen Tagen die Nahrungsaufnahme. Sie spuckt ihr Essen immer wieder aus und erhält Antidepressiva, da sie manisch-depressiv ist. Ein Teil des Pflegepersonals akzeptiert ihren Willen zur Nahrungsverweigerung. Andere Pflegekräfte und ihre Tochter, die auch die rechtliche Betreuung innehat, bestehen auf der regelmäßigen Nahrungszufuhr. Sie meinen, gegebenenfalls müsse sie künstlich ernährt werden. Der Hausarzt äußert sich nicht dazu und verweist stattdessen auf seine Fachkollegin aus der Gerontopsychiatrie. So bleibt der Konflikt: Wie geht es mit Frau Maurer weiter? Wer trifft nun welche Entscheidung?
Mitarbeiter(innen) von Pflegeeinrichtungen, ob ambulant, teilstationär oder stationär, sind heute oft mit spezifischen Herausforderungen im Pflegealltag konfrontiert. Sie benötigen Hilfen und Unterstützung, besonders in Situationen, in denen es immer wieder zu Konflikten innerhalb des Teams und mit Angehörigen, Betreuern oder Ärzten kommt.
Die Verantwortlichen von Altenpflegeeinrichtungen der Caritas in der Diözese Würzburg signalisierten bei einer Befragung im Jahr 2012 ihren spezifischen Bedarf an Unterstützung bei der Ethikberatung. Sie äußerten ihr Interesse, sich hier weiterzuqualifizieren. Außerdem sprachen sie sich dafür aus, das Instrument der ethischen Fallbesprechungen - dessen Einsatz sich in vielen Krankenhäusern in der Praxis bewährt hat - auch für den Bereich der Altenhilfe näher kennenzulernen und zu erproben.
Die Caritas Würzburg griff dieses zentrale Anliegen auf: Gemeinsam mit der Altenheimseelsorge hat sie ein Rahmenkonzept zur Implementierung ethischer Beratung/ethischer Fallbesprechungen in der Altenhilfe der Diözese Würzburg erarbeitet. Im nächsten Schritt stellte man das Anliegen auf verschiedenen Ebenen bei der Caritas und im Bereich der Seelsorge vor. Man warb für ein diözesanweites Projekt. Die Entscheidung fiel positiv aus, als sich der Vorstand des Diözesan-Caritasverbandes einstimmig dafür aussprach und zusagte, sich über seine Caritas-Stiftung auch finanziell zu beteiligen. Als auch noch der Finanzdirektor der Diözese Mittel aus einem Sonderfonds dafür freigab, stand der Realisierung nichts mehr im Wege. Im Herbst 2014 ging es los.
Ein Kooperationsprojekt von Caritas und Seelsorge
Neben der Projektleitung sorgte ein Projektbeirat für eine entsprechende Vernetzung. Für den ersten Durchlauf in der Modellphase wurden zwölf Einrichtungen ausgewählt: acht stationäre Einrichtungen der Caritas in Unterfranken, zwei davon mit angeschlossener Tagespflege, und vier Caritas-Sozialstationen, wovon zwei gleichzeitig eine Tagespflege betreiben.
Ziel dieser einrichtungsübergreifenden Auswahl war es, Erfahrungen auch im Bereich der ambulanten Pflege und in Tagespflegeeinrichtungen zu sammeln. An ethischen Fragen interessierte Mitarbeitende aus den ausgewählten Einrichtungen wurden angesprochen, um sie als Ethikbeauftragte zu gewinnen und zu schulen. Gleichzeitig wurden Personen als externe Moderatoren für die ethischen Fallbesprechungen gesucht. Daraus entstand die Projekt-Kooperation zwischen der Caritas Würzburg und der Altenheimseelsorge der Diözese Würzburg. Neben einer Caritas-Mitarbeiterin und einem freien Mitarbeiter absolvierten insgesamt neun Altenheimseelsorger(innen) die Ausbildung zum Moderator für ethische Fallbesprechungen.
Die katholische Akademie für Berufe im Gesundheits- und Sozialwesen in Bayern e.?V. aus Regensburg als externe Kooperationspartnerin empfahl eine strukturiert-systemische Vorgehensweise mit einem Analyseteil zu Beginn, einem "Strategietag" unter Einbeziehung der Träger, einem zentralen mehrtägigen Schulungsblock, einer mehrmonatigen Implementierungsphase in den Einrichtungen und einem Projektabschluss. Dafür wurden insgesamt zehn Tage im Zeitraum von Oktober 2014 bis Dezember 2015 geplant.
Zeitlicher Aufwand nicht einfach zu meistern
In den Einrichtungen wurde mit vielfältigen Maßnahmen eine Bewusstseinsbildung bei Mitarbeitenden, Angehörigen und Hausärzten angestoßen. Bausteine dafür waren unter anderem ein Informations-Flyer und die Vorstellung des Modellprojekts, um Anlässe und Ziele von Ethikberatung zu verdeutlichen. Moderierte ethische Fallbesprechungen wurden während der Modellprojekt-Phase unterschiedlich stark in Anspruch genommen, im Schnitt drei im Jahr. Bei Konfliktsituationen wurden diese auch aufgrund der externen Moderation als hilfreich und klärend erlebt. Selbst in Fällen ohne großen Dissens dienten Fallbesprechungen der ethischen Selbstvergewisserung für den eingeschlagenen Weg. Eine Herausforderung stellt im Arbeitsalltag der zeitliche und organisatorische Aufwand für eine gelingende Fallbesprechung dar. Besonders die angedachte Teilnahme des Hausarztes an einer Fallbesprechung ließ sich meist nicht realisieren.
In den Sozialstationen zeigte sich, dass die Ziele des Projekts in diesem Feld schwieriger erreichbar sind. Sozialstationen führen auftragsgebunden klar umgrenzte Pflegeleistungen durch, während die generelle Fürsorgepflicht bei Angehörigen oder Betreuern bleibt. Die "Einrichtung", in die die Ethikberatung implementiert werden müsste, ist gewissermaßen die Familie mit ihrer häuslichen Pflegesituation. Wie Ethikberatung auch hier als Unterstützungsangebot greifen kann, braucht modifizierte Überlegungen und Konzepte.
Ein langfristiger Prozess
Auch fast zwei Jahre nach Abschluss des Modellprojekts bestätigt sich, dass die Sensibilisierung von Mitarbeiter(inne)n und die Etablierung ethischer Fallbesprechungen ein langfristiger Prozess ist. Dabei kommt neben den Ethikbeauftragten den Einrichtungsleitungen eine entscheidende Rolle zu. Unterstützt wird dieser Prozess durch halbjährliche Fortbildungstage für Ethikbeauftragte und Moderatoren. Bei diesen Treffen wird die Umsetzung in den Einrichtungen weiter verfolgt und Themen werden vertieft wie beispielsweise Patientenverfügung, Ernährung am Lebensende, Autonomie und Demenz.
Ab Herbst 2017 wird es eine Neuauflage des Projektes geben. Neben weiteren Pflegeheimen werden dann auch Einrichtungen der Behindertenhilfe einbezogen.
Bei Fragen zum Projekt wenden Sie sich gerne an die Fachberaterin für die Altenhilfe im Diözesan-Caritasverband Würzburg, Sybille Zink, E-Mail: sybille.zink@caritas-wuerzburg.de
Anmerkung
1. Name von der Redaktion geändert.
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