Wie viel Wasser steckt in einem T-Shirt?
Weltweit haben 663 Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Jeder Dritte - 2,4 Milliarden Menschen - hat keinen adäquaten Zugang zu Latrinen oder Toiletten. Wenn die Weltbevölkerung bis 2050 voraussichtlich um 33 Prozent auf neun Milliarden Menschen wachsen wird, wird der Bedarf an Wasser und Nahrung weiter ansteigen - um wahrscheinlich 70 Prozent. Der Zugang zu sauberem Wasser und Sanitärversorgung ist seit 2010 ein von der UN-Generalversammlung und dem UN-Menschenrechtsrat anerkanntes Menschenrecht.
Der Mangel an Wasser ist längst nicht nur auf klimatische Ursachen zurückzuführen. Der Blick auf den weltweiten Wasserverbrauch - jährlich circa 4000 Kubikkilometer (km3), Tendenz weiter steigend - macht dies sehr deutlich: Schon jetzt werden 70 Prozent aller Wasservorräte durch die Landwirtschaft verbraucht, 20 Prozent des Wassers fließen in die Industrie; und nur zehn Prozent entfallen auf den häuslichen Bereich.
Um den Wassermangel zu analysieren und um Wege zu finden, ihn zu beheben, bedarf es also einer Ursachenforschung des Verbrauchs und der Verschwendung von Wasser. Warum verbraucht die Landwirtschaft so viel Wasser und warum immer mehr? In welchen Bereichen der Industrie wird viel Wasser genutzt? Und was bedeutet in diesem Zusammenhang das "virtuelle Wasser"?
Verbrauch von Landwirtschaft und Industrie
Die Landwirtschaft verbraucht heute dreimal mehr Wasser als noch vor 50 Jahren, bis 2050 soll ihr Bedarf um weitere 19 Prozent wachsen.1 Die Gründe für diesen rasanten Anstieg liegen auf der Hand: Mehr als 40 Prozent aller Lebensmittel werden weltweit auf künstlich bewässerten Flächen angebaut. Dies hat viele positive Effekte: Insbesondere in den bevölkerungsreichen Ländern Südostasiens half der Bau von Bewässerungsanlagen seit den 1960er-Jahren, die landwirtschaftlichen Erträge zu steigern und die Lebensbedingungen für Millionen Menschen zu verbessern. Doch die Globalisierung der Agrarwirtschaft hat zu weitreichenden Veränderungen von Anbauprodukten und -methoden geführt. Mais, Baumwolle oder Zuckerrohr und Palmöl dienen nicht der menschlichen Ernährungssicherung, sondern als Futtermittel, als Rohstoffe für die Textilindustrie oder als Agrartreibstoff. Der Anbau dieser Pflanzen aber braucht besonders viel Wasser - und wird damit zu einer teilweise lebensbedrohlichen Konkurrenz für Bauern in der Nähe der Großplantagen, wenn durch übermäßige Wasserentnahmen das Grundwasser sinkt, Brunnen versiegen und Flüsse und Seen kaum noch Wasser führen.
Neben der Übernutzung von Wasservorräten führen besonders ihre Verschmutzung und Vergiftung zum Verlust an Trinkwasser. Der übermäßige Einsatz von Pestiziden und Düngern in der Landwirtschaft, das Einleiten von ungeklärten Abwässern in Flüsse, Seen und Grundwasser beispielsweise durch die Textil- und chemische Industrie oder der Eintrag von Giftstoffen durch den Bergbau können die Wasservorräte ganzer Regionen ungenießbar machen.
In Kenia, das ohnehin immer wieder unter Dürren zu leiden hat, konkurrieren die industrialisierte Landwirtschaft auf der einen und Bauern und Nomaden auf der anderen Seite um das knappe Gut Wasser. Blumenfarmen, die fast ausschließlich für den Export produzieren, leiten mit weit verzweigten Pipeline-Systemen Wasser auf ihre Felder, das den Menschen in diesem Einzugsbereich fehlt: 40 Prozent der Menschen in Kenia haben keinen Zugang zu Trinkwasser.
Auch das Nachbarland Äthiopien hat bereits große Ländereien an ausländische Investoren verpachtet, die dort mit Hilfe intensiver Bewässerung Exportprodukte anbauen, beispielsweise Kaffee, Früchte oder - auch hier - Schnittblumen. Der hohe Wasserverbrauch dieser Plantagenwirtschaft verschärft nicht nur die bestehenden Wasserkonflikte mit und zwischen lokalen Kleinbauern und Nomaden, sondern führt auch zu zwischenstaatlichen Spannungen. Denn das Wasser, das am Oberlauf des Nils abgeleitet wird, fehlt den Menschen in Anrainerstaaten wie zum Beispiel dem Südsudan oder Ägypten.
"Virtuelles Wasser" zeigt Ursachen auf
Wer aber verursacht diese Art der Konflikte? Wer ist verantwortlich? Neben den Staaten und Unternehmen, die Staudämme bauen oder aus ihren Werken schmutziges Abwasser in Flüsse und Seen leiten, lassen sich meist auch indirekte Verursacher finden. Denn für jedes Metall, das in Bergwerken gefördert und aufwendig weiterverarbeitet wird, und für jede Schnittblume und jedes Pfund Kaffee, die produziert werden, wird auch Wasser verbraucht, das möglicherweise Bauern oder Slumbewohnern nicht zur Verfügung steht. Das Konzept des virtuellen Wassers, das der britische Wissenschaftler John Anthony Allan entwickelt hat, will diesen indirekten Wasserverbrauch in Zahlen fassen.
So errechnet das Konzept des virtuellen Wassers beispielsweise für die Herstellung eines Baumwoll-T-Shirts einen durchschnittlichen Wasserverbrauch von 4100 Litern. Mehr als 40 Prozent davon ist Regenwasser, das von den Baumwollpflanzen aufgenommen wird. Neben diesem "grünen virtuellen Wasser" gibt es auch "blaues", das den Verbrauch durch künstliche Bewässerung bezeichnet. Beim Baumwollanbau sind das 42 Prozent der gesamten Wassermenge. In der Industrie umfasst "blaues virtuelles" Wasser die Wassermenge, die zur Herstellung eines Produktes verbraucht wird, ohne in den Wasserkreislauf zurückzugelangen. Das "graue virtuelle" Wasser schließlich umfasst die Wassermenge, die durch die Düngung der Baumwollfelder oder durch Bleichen und Färben der Baumwolle verschmutzt und unbrauchbar wird. Bei der T-Shirt-Produktion sind das 14 Prozent.2
Wie kann man das Recht auf Wasser durchsetzen?
Um weltweit das Recht auf Wasser durchzusetzen, gilt es nicht zuletzt die Ursachen für den übermäßigen Wasserverbrauch, die Wasserverschmutzung und den Klimawandel zu bekämpfen. Wie das Modell des virtuellen Wassers deutlich macht, sind die Verbraucher in den Industriestaaten weitaus mehr für den zunehmenden Wasserverbrauch verantwortlich als die Menschen in den Entwicklungsländern: "Der weltweite Durchschnittswert liegt bei 1240 m3 pro Kopf und Jahr. In Deutschland beträgt der Wasserfußabdruck 1545 m3 pro Kopf und Jahr - das sind pro Tag 4230 Liter."?3
Ähnlich verhält es sich bei der Verursachung des globalen Klimawandels: "Die deutschen Pro-Kopf-CO2-Emissionen liegen mit rund 9,6 Tonnen nach wie vor weit über dem internationalen Durchschnitt von 4,9 Tonnen pro Kopf (2015). Wenn man zusätzlich berücksichtigt, dass ein nicht unerheblicher Teil der CO2-Emissionen in Schwellenländern auf die Produktion von Exportgütern für den Konsum in Industrieländern zurückzuführen ist, liegen die konsumbasierten Emissionen in Deutschland sogar weitere elf Prozent über dem genannten Pro-Kopf-Ausstoß."4 Das bedeutet, dass sowohl CO2-Anstieg und Klimawandel als auch Wassermangel nicht zuletzt auf den hohen Konsum in Industrie- und Schwellenländern zurückzuführen sind. Nicht wenige Branchen und Produkte sind gar für beide Problemfelder verantwortlich: Schon bei der Herstellung eines Autos beispielsweise werden von der Rohstoffgewinnung - Aluminium und andere Metalle, hochwertige Kunststoffe und anderes - bis zur Endmontage sowohl große Wassermengen benötigt als auch viel CO2 verbraucht. Der Betrieb eines Fahrzeugs durch Verbrennungsmotoren vergrößert sowohl den CO2- als auch den Wasser-Fußabdruck weiter. Wer die Ursachen des Klimawandels und des weltweiten Wassermangels bekämpfen will, muss also immer auch den Konsum von Industrie- und landwirtschaftlichen Produkten im Blick haben. Konsumverzicht und innovative Ansätze zum Einsparen von Wasser und Energie sind Voraussetzung für nachhaltigen Klima- und Wasserschutz.
Anmerkungen
1. International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Development: Weltagrarbericht (Synthesebericht in deutscher Sprache). Hamburg, University Press, 2009. www.weltagrarbericht.de
2. www.wasserraub.de/virtuelles-wasser/
3. http://virtuelles-wasser.de/wasserfussabdruck.html
4. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB): Klimaschutz in Zahlen. Fakten, Trends und Impulse deutscher Klimapolitik. Ausgabe 2017.
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