Das Menschenrecht auf Wasser wirkt sich auf alle Lebensbereiche aus
Wer täglich Stunden braucht, um Trinkwasser zu beschaffen, hat keine Zeit für den Schulbesuch. Wer nur verunreinigtes Wasser zur Verfügung hat, kann nicht gesund bleiben - und wird früh sterben. Wer in der Schule keine akzeptable Toilette hat, wird die Schule nicht regelmäßig besuchen. Wer für sicheres Trinkwasser ein Drittel des Einkommens aufbringen muss, kann nicht auch noch angemessene Unterkunft und Ernährung finanzieren.
Wenn also das Menschenrecht auf Wasser nicht verwirklicht ist, können auch das Menschenrecht auf Leben und Gesundheit, auf Bildung und Wohnung und damit auf demokratische Teilhabe nicht verwirklicht werden. Das gilt nicht nur für Entwicklungsländer. Denn auch in der EU und sogar in Deutschland gibt es Menschen, die nicht jederzeit Zugang zu sauberem Trinkwasser und Toiletten haben. Das sind besonders nichtsesshafte und wohnungslose Menschen. Aber selbst Mietern einer Wohnung kann die Wasserversorgung abgesperrt werden, wie kürzlich in Delmenhorst.1 Auch wenn der Zugang zu vorhandenen Versorgungseinrichtungen durch eine finanzielle Schwelle verhindert wird, ist das Menschenrecht verletzt.
Seit wann gibt es das Menschenrecht auf Wasser? Erst 2010 erkannte die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Recht auf einwandfreies und sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung als ein Menschen- recht mit Resolution 64/2922 an. Das ist schwer verständlich angesichts der großen Bedeutung des Wassers - aber selbst hier haben sich 41 Länder der Stimme enthalten. Entweder, weil ihnen die Regelung nicht klar genug war oder weil sie die daraus folgenden Kosten fürchteten.
Einen politischen Anspruch formuliert
Und tatsächlich hat die Resolution zwar endlich einen politischen Anspruch formuliert, der nicht überschätzt werden kann. Aber das allein bedeutet keinen Tropfen Wasser mehr. Denn für die Verwirklichung des Menschenrechts müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Vielerorts müssen Rechtsfragen geklärt (wem gehört das Wasser?), Gesetze verabschiedet, die Finanzierung von Investitionen gesichert und Menschen für die Wasserwirtschaft ausgebildet werden. Ein Teil dieser Herausforderungen findet sich in den Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goal, SDG)3 und hier besonders im Ziel 6 wieder.
Wessen Aufgabe ist es eigentlich, dieses Menschenrecht zu verwirklichen, und wie kann das gewährleistet werden? In Deutschland ist diese Frage beantwortet. Denn unsere Gesetze übertragen den Kommunen die Aufgabe, ihre Bürgerinnen und Bürger mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen. Sie müssen die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung gewährleisten. Die gewählten Politikerinnen und Politiker können sich dafür entscheiden, die Aufgabe der eigenen Verwaltung, einem Eigenbetrieb, einem Zweckverband, einem Stadtwerk oder einem privaten Dienstleister zu übertragen. Die überwältigende Mehrheit der Kommunen erbringt diese Dienstleistungen der Daseinsvorsorge aus öffentlicher Hand. Denn so behält die Kommune Kontrolle und Einfluss über eine Aufgabe, für die sie in jedem Fall die Verantwortung trägt.
In Österreich gibt es seit 2013 ein Bundesverfassungsgesetz, das die öffentliche Daseinsvorsorge schützt, in Slowenien seit 2016 einen Artikel in der Verfassung, der das Menschenrecht auf Wasser regelt. Solch eine Regelung wäre zur Absicherung auch in Deutschland wünschenswert.
Gewinnmaximierung contra Menschenrecht
Auch die Vereinten Nationen fordern die Staaten auf, "die Anstrengungen zur Bereitstellung von einwandfreiem, sauberem, zugänglichem und erschwinglichem Trinkwasser und zur Sanitärversorgung für alle zu verstärken"4. Denn auch wenn multinationale Konzerne über Erfahrung beim Bau und Betrieb entsprechender Infrastruktur verfügen - ihre Aufgabe ist es, ihren Anteilseignern mit diesem Know-how Gewinne zu erarbeiten, nicht, ein Menschenrecht zu verwirklichen. Und dass sie das auch nicht als ihre Aufgabe ansehen, kann man beispielsweise in Nairobi (Kenia), Cochabamba (Bolivien) und Manila (Philippinen) sehen. Die Wasserversorgung wurde nicht besser, die Kosten stiegen allerdings erheblich, was vielfach zu noch schlechterer Versorgung besonders der Armen führte.
Wer soll das bezahlen? Alleine in Deutschland werden jährlich über sieben Milliarden Euro in die Infrastruktur für Trinkwasser und Abwasser investiert - und das bei einem gut ausgebauten Netz. Dieser erhebliche Betrag wird beinahe ausschließlich durch Gebühren und Beiträge, also durch die Nutzerinnen und Nutzer finanziert. Sofern die nötigen Mittel noch nicht zurückgestellt werden konnten, bekommen Kommunen und öffentliche Unternehmen Kredite zu sehr günstigen Konditionen. Einige Bundesländer unterstützen bestimmte Investitionen aus Steuermitteln. So wird eine höchst zuverlässige, sichere, faire und bezahlbare Versorgung sichergestellt.
Dieses Konzept könnte auch in anderen Ländern zum Tragen kommen, wenn der politische Wille vor- handen ist. Allerdings erschwert dies die Weltbank, indem sie die Vergabe von Krediten für Infrastrukturinvestitionen mit der Verpflichtung verknüpft, öffentlich-private Partnerschaften (PPP) einzubeziehen. Dass dies hochproblematische Konstrukte sind, hat sich gerade wieder bei der Autobahn A1 in Deutschland mit der PPP MobilA1 gezeigt, wo die privaten Betreiber die Bundesrepublik auf Schadenersatz verklagt haben, weil die Mauteinnahmen nicht so hoch sind wie erhofft. Wie viel gefährlicher ist eine solche Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der Verluste erst für Entwicklungsländer?
Die Europäische Bürgerinitiative (EBI) "Wasser ist Menschenrecht", kurz "EBI Right2water", engagiert sich deshalb dafür, das Menschenrecht auf Wasser in der EU und global zu verwirklichen. Zwingende Voraussetzung dafür ist, Wasser als öffentliches Gut zu betrachten, nicht als Ware, und die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung als Bestandteil der Daseinsvorsorge zu führen, nicht als Markt. Das heißt, die EU-Kommission sollte ihre Liberalisierungsbestrebungen unterlassen, die perspektivisch zu Privatisierungen in großem Stil führen würden.
Fast zwei Millionen unterstützten die Bürgerinitiative
"Right2water" war die erste erfolgreiche EBI überhaupt mit fast 1,9 Millionen Unterstützerinnen und Unterstützer EU-weit. Bereits während ihrer Laufzeit hat sie den größten Erfolg erreicht, indem sie den Rechtssetzungsprozess zur EU-Konzessions-Richtlinie beeinflusst und so die Liberalisierung der Wasserwirtschaft verhindert hat.5
Nach Abschluss der Unterschriftensammlung wurde die EBI von der Europäischen Kommission und vom Europäischen Parlament angehört. Im März 2014 antwortete die Kommission mit ihrer Mitteilung offiziell auf "Right2water". Leider enthielt die Antwort - neben viel Lob für das demokratische Engagement der EBI - kaum Zusagen für Aktivitäten der Kommission, die die Verwirklichung des Menschenrechts voranbringen könnten. Immerhin werden nun endlich auch Partnerschaften unterstützt, wobei öffentliche Unternehmen öffentliche Unternehmen in anderen Ländern beim Aufbau von Infrastruktur solidarisch und ohne Gewinnerzielungsabsicht unterstützen. Die EBI arbeitet deshalb bis heute weiter mit politischer Lobbyarbeit an den Zielen, die so viele Menschen unterstützen.
Was ist eigentlich diese EBI? Seit 2011 gibt es für alle Bürgerinnen und Bürger der EU die Möglichkeit, sich mit Anliegen direkt an die Europäische Kommission zu wenden. Die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, um von Kommission und Parlament angehört zu werden, sind in der Verordnung zur EBI niedergelegt.6 Sie sind so anspruchsvoll, dass bislang nur vier EBI die Hürden übersprungen haben. Die fünfte, "Stopp TTIP", wurde von der Kommission nicht zugelassen. Zu Unrecht, wie das Gericht der EU feststellte. Nun muss die Kommission darlegen, wie sie den 3,5 Millionen Unterstützerinnen und Unterstützern dennoch angemessen antwortet.
Gegen eine Liberalisierung der Daseinsvorsorge
Wer steht hinter "Right2water"? Die Europäischen Gewerkschaften für den öffentlichen Dienst (EPSU) kämpfen schon seit Jahrzehnten in der EU gegen die Liberalisierung - nicht nur der Wasserwirtschaft. Als 2009 absehbar war, dass die Kommission mit der Konzessions-Richtlinie einen neuen Anlauf startet, hat EPSU beschlossen, die Unterstützung der Bürger zu suchen. Das Wissen, dass Liberalisierung nicht nur zu schlechteren oder teureren Dienstleistungen, sondern auch zu schlechteren Arbeitsbedingungen führen kann, wollte EPSU mit den Menschen teilen und ihnen so die Chance auf demokratische Einflussnahme geben. Das ist geglückt.
Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Verdi vertritt die Beschäftigten in der deutschen Wasserwirtschaft. Sie hat die EBI maßgeblich angeschoben und in Deutschland koordiniert. Die EBI war hier - mit fast 1,4 Millionen Unterschriften - besonders erfolgreich, weil mit vielen anderen Organisationen zusammengearbeitet wurde.
Die Liberalisierung verhindert und damit die Verwirklichung des Menschenrechts auf Wasser etwas wahrscheinlicher gemacht zu haben, ist ein fragiler Erfolg. Denn zum einen steht die Ausnahme der Wasserwirtschaft aus der Konzessions-Richtlinie unter einem Revisionsvorbehalt. Dieser Vorbehalt orien- tiert sich aber nicht am Menschenrecht, sondern am Funktionieren des Binnenmarkts. Das prüft die Kommission gerade. Zum anderen bergen die diversen Freihandelsabkommen, die die EU-Kommission verhandelt, große Risiken für die Daseinsvorsorge.
Ob CETA, TTIP, TiSA oder JEFTA: In all diesen Abkommen gibt es keine klare Ausnahme für die Daseinsvorsorge. In Kombination mit den Investitionsschutzregeln kann rechtlich einwandfreies Handeln von Kommunen Anlass zu hohen Schadenersatzklagen vor Schiedsgerichten geben. Das ist inakzeptabel und kann sowohl in der EU als auch in den Vertragspartnerländern zur Gefährdung des öffentlichen Guts Wasser und des Menschenrechts auf Wasser führen. Verdi kämpft deshalb weiterhin gemeinsam mit vielen Nichtregierungsorganisationen für faire Handelsabkommen und das Menschenrecht auf Wasser.
Anmerkungen
1. Wollepark: Stadtwerke dürfen Wasser abstellen. http://bit.ly/2xyuG0a
2. Beschluss der UN-Generalversammlung, www.un.org/depts/german/gv-64/band3/ar64292.pdf
3. Infos zu SDG unter: https://sustainabledevelopment.un.org/sdg6
4. ebd. Beschluss UN-Generalversammlung
5. Mitteilung der Europäischen Kommission zur Europäischen Bürgerinitiative right2water: http://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2014/DE/1-2014-177-DE-F1-1.pdf
6. Alles über das Instrument "Europäische Bürgerinitiative": http://ec. europa.eu/citizens-initiative/public/welcome
Wie viel Wasser steckt in einem T-Shirt?
Zugang zu Wasser – für alle!
Luther blinzelte über die Schultern
Caritas setzt auf Elektroautos für die ambulante Pflege
Unter Dreijährige auch nachts in die Kita?
Ethische Konflikte gemeinsam klären
Väter für Vereinbarkeit gewinnen
Zwei Konfessionen – ein Ziel
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}