Sterblichkeit als Qualitätsindikator im Krankenhaus?
Das Ziel ist klar: Laut Eckpunktepapier des Bundesgesundheitsministeriums zur geplanten Krankenhausreform 2015 sollen Krankenhäuser zukünftig nach Leistungsqualität verglichen und den Patient(inn)en diese Qualitätsinformationen in verständlicher Weise zugänglich gemacht werden. Auch die Vergütung der Kliniken soll künftig stärker vom Nachweis ihrer Qualität abhängen.
Die Fragen, die daher nun alle umtreiben, lauten: Welches sind die guten und welches die schlechten Krankenhäuser? Und wie stellt man dies fest? Die Antwort: ganz klar mittels Qualitätsindikatoren!
Die bessere Frage wäre allerdings: Welche Qualitätsindikatoren, also Kennzahlen, sind die guten oder schlechten bezüglich ihrer Aussagefähigkeit, die Leistungsqualität der Krankenhäuser objektiv miteinander zu vergleichen?
Ganz schnell schweift das Auge mancher Gesundheitspolitiker(innen) da in europäische Nachbarländer, wie etwa nach Großbritannien oder in die Niederlande. Denn hier werden Krankenhauskennzahlen, gewonnen aus Routinedaten, zur Information der Patient(inn)en bereits im Internet veröffentlicht. Die Kennzahl, die hier am stärksten greift und die die Patient(inn)en am vermeintlich einfachsten verstehen, ist die HSMR (Hospital Standardized Mortality Ratio) - die Kennzahl zur risikoadjustierten Gesamtsterblichkeit in einem Krankenhaus (siehe hierzu auch Beitrag von Professor Jürgen Stausberg et al. in diesem Heft, S. 26ff.). Auch der AOK-Krankenhausnavigator vergibt beispielsweise für diese Kennzahl grüne Lebensbäumchen im Rahmen seines Klinikvergleichs. Aber kann aus dieser Kennzahl zur Krankenhaussterblichkeit wirklich auf die Behandlungsqualität einer Einrichtung geschlossen werden?
Über diese Frage wurde in einer wissenschaftlichen Fachtagung der Initiative Christliche Krankenhäuser in Deutschland (CKiD)1 und des Vereins Qualitätsindikatoren für Kirchliche Krankenhäuser (QKK) im Februar 2015 in Berlin sehr lebhaft und kontrovers diskutiert.
Knapp drei Prozent aller Behandelten sterben
Nach wie vor sterben in Deutschland ungefähr 46 Prozent aller Menschen in Krankenhäusern. Bezogen auf alle in Krankenhäusern stationär behandelten Fälle sind dies weniger als drei Prozent aller Patient(inn)en. Bei diesen knapp drei Prozent sind unter Qualitätsgesichtspunkten zwei Aspekte von Bedeutung. Erstens geht es darum zu bewerten, wie gut die medizinisch-pflegerische Versorgung und seelsorgliche Begleitung im Laufe des Sterbeprozesses war. Die Ergebnisqualität wird über sogenannte Qualitätsindikatoren bewertet, die ein Vergleich beziehungsweise Benchmarking mit anderen Krankenhäusern ermöglicht.
Zweitens gilt es zu analysieren, ob es während des Krankenhausaufenthaltes zu sogenannten Ereignissen kam, wie beispielsweise Komplikationen, zusätzlich auftretende Nebendiagnosen, Ansteckung mit multiresistenten Keimen oder eventuelle Behandlungsfehler, denen im Rahmen des Qualitäts- und Risikomanagements nachzugehen wäre. In diesem Kontext
werden als Qualitätsindikatoren spezifische Sterblichkeitsindizes diskutiert. Diese sollen Aufschluss darüber geben, ob einzelne Krankenhäuser in dieser Hinsicht auffallen.
Differenzierte Diskussion um die Kennzahl HSMR
Vor diesem Hintergrund diskutierten die Wissenschaftler(innen) und Expert(inn)en auf der Tagung sehr differenziert, ob die HSMR als Kennzahl zur risikoadjustierten Gesamtsterblichkeit in einem Krankenhaus als geeignete Benchmarkgröße dienen kann oder sogar als einziger, allumfassender Globalindikator für die Messung von Ergebnisqualität tauglich sein könnte. Das Diskussionsergebnis war deutlich: Wird die Behandlungsqualität von Krankenhäusern mit einer einzigen Kennzahl zur Sterblichkeit verglichen, sollten Unterschiede zwischen den Krankenhäusern auf die aktive Gestaltung von Strukturen und Prozessen durch die Krankenhäuser zurückzuführen sein. Andere Einflussfaktoren auf die Sterblichkeit wie zum Beispiel das Vorhalten einer Palliativstation, einer Schlaganfallstation (Stroke Unit) oder die Anfahrtsdauer des Rettungswagens zur Notaufnahme sollten sich ebenso wenig in dieser Zahl wiederfinden wie besonders komplexe Behandlungssituationen. Andernfalls wird die Qualitätsaussage verfälscht, weil die Krankenhäuser hier unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen (siehe hierzu auch konkret den Beitrag Stausberg, S. 26ff.).
"HSMR ist nicht gleich HSMR - die Berechnungsmethoden und zugrundeliegenden Risikomodelle unterscheiden sich derzeit noch sehr, sowohl in ihren Aussagen zur Qualität einer Einrichtung sowie in ihrer Güte", sagte der QKK-Vorsitzende Christoph Scheu. Aus der Klinikperspektive versuche die HSMR, patientenbezogene Kriterien zu erkennen, die einen Einfluss auf das Ergebnis haben könnten. Auf diese Weise komme eine Risikoadjustierung der Mortalitätsdaten eines ganzen Krankenhauses zustande. Aktuelle HSMR-Modelle seien aber bestenfalls in der Lage, etwa 35 Prozent der Todesfälle durch patientenbezogene Kriterien aus Routinedaten zu erklären, stellte Scheu fest und erklärte: "Rund 65 Prozent der beobachteten Todesfälle haben andere Ursachen wie bisher nicht erfasste Patientencharakteristika, Umfeld- und Umwelteinflüsse oder die Qualität der Behandlung."
Dennoch ist die HSMR in Deutschland ins Zentrum des Interesses von Fachexpert(inn)en und der Gesundheitspolitik geraten, weil sie scheinbar leicht verständlich ist. Erste Kalkulationen auf der Basis deutscher Daten wurden erstellt - auch durch den QKK. Das Diskussionsergebnis der Fachtagung bestätigt jedoch: So verlockend diese Kennzahl in ihrer Einfachheit auch ist, eine Prüfung ihrer Aussagekraft für die Qualitätsbewertung und ihres Wertes als Informationsquelle für die Bevölkerung steht noch aus. "Ich sehe HSMR nicht als Globalindikator, sondern als einen unter vielen. Die Diskussion im Gemeinsamen Bundesausschuss geht nicht dahin, die HSMR zu einem Gesamtindikator aufzuwerten. Stattdessen haben wir bereits den Weg eingeschlagen, komplexere Qualitätsindizes zu entwickeln", sagte Regina Klakow-Franck, Unparteiisches Mitglied des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Die HSMR sei eine wichtige Kennzahl über die Sterblichkeit im Krankenhaus, die der G-BA für die externe stationäre Qualitätssicherung bereits messe - beispielsweise im Leistungsbereich über die Koronarchirurgie. "Allerdings greifen wir die Daten nicht auf der Routinedatenbasis ab, sondern führen dazu eine Datenerhebung durch die Krankenhäuser selber durch. Das ist der Unterschied zwischen der international üblichen HSMR und unserer Kennzahl", so Klakow-Franck. Im G-BA seien bereits die Weichen gestellt, dass auch dort zukünftig prioritär die Routinedaten - im engeren Sinne sind damit die Sozialdaten nach
§ 284 SGB V gemeint - als Datengrundlage benutzt würden. Damit werde die HSMR auch in den G-BA-Verfahren bald Einzug halten.
Gegen HSMR sprach sich Professor Thomas Mansky, Leiter des Fachgebiets Strukturentwicklung und Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen an der Technischen Universität Berlin, aus. Ein Benchmarking unter Krankenhäusern sei nicht möglich. Mansky bewertete sogar die Auswertung innerhalb einer Klinik als kritisch.
Ein Blick auf die Niederlande
Einen internationalen Vergleich ermöglichte der Beitrag von André A. van der Veen, Hauptgeschäftsführer von de Praktijk Index, einer niederländischen Beratungsfirma, die Datenanalysen für Organisationen im Gesundheitswesen anbietet. In den Niederlanden gelte die Standardisierte Krankenhausmortalitätsrate als ein wichtiger Indikator für die Patientensicherheit, betonte van der Veen. Seit zehn Jahren werde sie bereits in immer mehr niederländischen Krankenhäusern erhoben und als Instrument zur Steuerung interner Prozesse und zur Verbesserung von Qualität und Patientensicherheit verwendet. Seit vergangenem Jahr sind alle niederländischen Krankenhäuser durch das Gesundheitsministerium verpflichtet, ihre HSMR zu publizieren. Im Gegensatz zu Deutschland werde die HSMR im öffentlichen Sektor dazu verwendet, den Bürger(inne)n die Möglichkeit zu geben, die Qualität verschiedener Krankenhäuser zu vergleichen, so van der Veen. "Es zeigt sich, dass die niederländischen Krankenhäuser, teilweise unter dem Druck der Öffentlichkeit, immer genauer und detaillierter dokumentieren und codieren", erklärt der ehemalige Projektmanager des Nationalen Instituts für öffentliche Gesundheit und Umwelt (RIVM), Niederlande. Man erkennt deutlich, dass es zwischen der Anzahl der Nebendiagnosen und der HSMR einen Zusammenhang gibt. Je mehr Nebendiagnosen dokumentiert und codiert werden, desto geringer ist die HSMR. Deshalb werde die HSMR jährlich auf Basis der neuesten Daten der Krankenhausaufnahmen neu kalibriert. Als Fazit lässt sich aus den Erfahrungen der Niederlande folgendes festhalten: Die HSMR ist kein allgemeines Qualitätsmerkmal für Krankenhäuser. Die Validität gilt lediglich für einen Qualitätsaspekt, nämlich die potenziell vermeidbaren tödlichen Komplikationen in einem Krankenhaus. Die Zuverlässigkeit beziehungsweise die Messvarianz ist in den Niederlanden sicherlich noch nicht ideal.
Derzeit entwickelt van der Veen ein deutsch-niederländisches Kooperationsprojekt. Von je vier niederländischen und deutschen Krankenhäusern in der Grenzregion zwischen Arnheim und Duisburg sollen die diagnosenspezifischen SMR-Daten2 miteinander verglichen werden, um zu analysieren, wie in Krankenhäusern die vermeidbare Mortalität gesenkt werden kann.
Das Fazit: als globaler Indikator ungeeignet
Im Ergebnis lässt sich für die weitere politische als auch verbandsinterne Diskussion festhalten, dass sich die HSMR als globaler Qualitätsindikator nicht eignet, weil zu viele Aspekte wie zum Beispiel soziale Daten und Faktoren außer Betracht bleiben. Aus reinen Routinedaten, die in erster Linie der Dokumentation zur Leistungsabrechnung dienen, lassen sich keine verlässlichen Indikatoren entwickeln, die einen tatsächlichen Aufschluss über die Qualität der Versorgung und internen Prozesse im Krankenhaus geben. Die HSMR kann zwar Hinweise auf Verbesserungspotenziale in einem einzelnen Krankenhaus über einen bestimmten Zeitraum geben, ist dafür aber unbedingt durch differenzierte, abteilungs- oder leistungsbezogene Analysen zu ergänzen. Für eine öffentliche Qualitätsdarlegung oder gar die Steuerung der Vergütung wären andere Maßstäbe anzulegen, die die Kennzahl in ihrer jetzigen Form nicht erfüllen kann.
Einen interessanten Aspekt könnte die HSMR jedoch hinsichtlich gesundheitspolitischer Fragen liefern. Betrachtet man die großen Kennzahlen-Unterschiede der Bundesländer, könnte man darüber nachdenken, ob diese mit der Investitionstätigkeit der Länder korrelieren. Möglicherweise also kann die HSMR auch Hinweise auf Einflussgrößen geben, die gar nicht von den Krankenhäusern, sondern von der Gesundheitspolitik zu verantworten sind: zum Beispiel die Relation von Krankenhausmortalität und Personalschlüssel oder Krankenhausauslastung.
Anmerkung
1. Vertreten durch den Katholischen Krankenhausverband Deutschlands (KKVD) und den Deutschen Evangelischen Krankenhausverband (DEKV).
2. Die SMR-Daten können genauere Aussagen zur Behandlungsqualität einer bestimmten Diagnose ermöglichen. Denn die HSMR ist ein Durchschnittswert für das gesamte Krankenhaus. Das kann irreführend sein. Eine HSMR von 95, also unter 100 bedeutet nämlich nicht, dass das Mortalitätsrisiko des Krankenhauses in allen Bereichen unter dem Durchschnitt liegt. Eine hohe SMR für einen Herzinfarkt kann beispielsweise durch eine niedrige SMR für Hüftfrakturen kompensiert werden.
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