Mit Blick auf das Ganze
Das Krankenhaus ist der häufigste Sterbeort in Deutschland. In Rheinland-Pfalz sind laut einer Zufallsstichprobe 39,3 Prozent aller Verstorbenen im Krankenhaus verschieden, 38,2 Prozent zu Hause, 13,4 Prozent in einem Pflegeheim, 7,5 Prozent in einer Palliativeinrichtung und 1,6 Prozent an einem anderen Ort.1 Insgesamt sind im Jahr 2013 in Deutschland 893.825 Menschen gestorben. Die fallpauschalenbezogene Krankenhausstatistik (DRG-Statistik) weist hier 415.250 Sterbefälle aus. Damit ereignet sich fast die Hälfte aller Sterbefälle in Krankenhäusern.
Dennoch ist der Tod dort ein seltenes Ereignis. Nur jede(r) 50. Krankenhauspatient(in) verstirbt auch dort (415.250 von gut 18 Millionen, also 2,7 Prozent). Wie kann vor diesem Hintergrund von der Sterblichkeit auf die Behandlungsqualität einer Einrichtung geschlossen werden?
Hoch angesetzte Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 0,1 Prozent der Patient(inn)en aufgrund eines Behandlungsfehlers im Krankenhaus sterben; dies wären gemessen an allen Todesfällen in der Klinik weniger als 4,5 Prozent. Außerdem lassen sich Behandlungsfälle abgrenzen, bei denen Sterbende palliativmedizinisch versorgt werden. Im Jahr 2013 beispielsweise wurden 75.137 palliativmedizinische Komplexbehandlungen durch die Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups - DRGs) erfasst. Aus Daten des Vereins Qualitätsindikatoren für Kirchliche Krankenhäuser - QKK lässt sich ableiten, dass 40 bis 50 Prozent der palliativmedizinisch versorgten Patient(inn)en noch während desselben Aufenthalts versterben, also mindestens 30.000 Menschen. Diese machen sieben Prozent der Sterbefälle im Krankenhaus aus. Rund 90 Prozent der Todesfälle werden also durch eine Vielzahl anderer Faktoren beeinflusst (siehe Abb. 1).
Unbekannt ist insbesondere, welchen Teil dieser 90 Prozent die Krankenhäuser selbst beeinflussen können, indem sie Strukturen und Prozesse aktiv gestalten. Möglichkeiten der Gestaltung bestünden unter anderem in der
Auswahl und Qualifikation der Mitarbeiter(innen), in der Teilnahme an Zertifizierungsverfahren oder auch in der Steuerung von Leistungsprozessen.
Es ist davon auszugehen, dass sich die Krankenhäuser hinsichtlich vieler, nicht unmittelbar beeinflussbarer Faktoren unterscheiden. Die beobachtete Sterblichkeit, also den Anteil der Verstorbenen an allen Behandlungsfällen, schlicht zu vergleichen, eignet sich deshalb nicht als Qualitätsindikator. Die hier vorgestellte risikoadjustierte Gesamtsterblichkeit, die Hospital Standardized Mortality Ratio (HSMR), verfolgt daher den Ansatz, die beobachtete Gesamtsterblichkeit um entsprechende Einflussfaktoren zu bereinigen. Diese Bereinigung wird auch als Risikoadjustierung bezeichnet. Ein Vergleich der Behandlungsqualität über die HSMR sollte dann im Idealfall gerecht und frei von Verzerrungen sein.
Merkmale der Risikoadjustierung
Klinische Ansätze zur Erklärung der Sterblichkeit greifen auf komplexe Modelle zurück, die die Schwere der Erkrankung klassifizieren. Das bekannteste Klassifikationssystem, APACHE II, nutzt hierzu neben dem Alter und Informationen über chronische Vorerkrankungen zwölf physiologische Messparameter wie Herzfrequenz oder die Zahl der weißen Blutkörperchen.2 Ein darauf aufbauendes Computerprogramm zur Einschätzung des Sterberisikos3 konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Im deutschen DRG-System wird anstelle des APACHE II der Simplified Acute Physiology Score (SAPS II) zur täglichen Einschätzung der Erkrankungsschwere eingesetzt.
Die HSMR dagegen greift auf Abrechnungsdaten zurück, die in nahezu allen Ländern, die DRGs als Vergütungssystem für den stationären Bereich nutzen, in vergleichbarer Form vorliegen. Die Abrechnungsdaten umfassen neben Alter und Geschlecht der Patient(inn)en im Wesentlichen Diagnosen und Maßnahmen. Diagnosen werden weltweit fast ausschließlich mit einer Variante der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) verschlüsselt. Zur Verschlüsselung von Prozeduren wird in Deutschland der Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) eingesetzt. Physiologische Parameter fehlen in den Abrechnungsdaten nahezu vollständig. Damit ist die Möglichkeit begrenzt, die Schwere der Erkrankung von Patient(inn)en zu beschreiben. Dies erklärt einen Teil der Vorbehalte gegenüber der HSMR (siehe Beitrag Rümmelin/?Vortkamp auf S. 23ff. in diesem Heft).
Ein weiterer wesentlicher Unterschied der HSMR zu Systemen wie dem APACHE II liegt in der Zielsetzung. Während Letztere zur Unterstützung der individuellen Behandlungsplanung eingesetzt werden, beinhaltet die HSMR eine Aussage zu einem Kollektiv von Behandlungsfällen in einem definierten Zeitraum. Über den Vergleich der HSMR in verschiedenen Zeiträumen oder verschiedenen Krankenhäusern lassen sich dann qualitätsrelevante Aussagen formulieren.
Wie die HSMR berechnet wird
Über ein Risikomodell ermittelt die HSMR für jeden einzelnen, abgeschlossenen Behandlungsfall die Sterbewahrscheinlichkeit.4 Die einzelnen Wahrscheinlichkeiten, die zwischen null und eins liegen, werden für das betrachtete Kollektiv addiert und ergeben die Anzahl der erwarteten Sterbefälle. Diese wird der Anzahl der aufgetretenen, also beobachteten Sterbefälle gegenübergestellt (siehe Formel) und mit 100 multipliziert. Das Ergebnis ist die HSMR.
Die HSMR ist damit eine dimensionslose Verhältniszahl. Bei einem Ergebnis über 100 sind mehr Sterbefälle aufgetreten als erwartet. Dies kann Anlass sein, die Qualität der Versorgung zu überprüfen. Bei einem Ergebnis unter 100 waren es weniger Todesfälle als vermutet. Dies kann Hinweis auf eine gute Versorgungsqualität sein. Ist das Ergebnis 100, sind genauso viele Sterbefälle aufgetreten wie geschätzt.
Um die HSMR zu berechnen, ist ein Risikomodell Voraussetzung. Teilt man zum Beispiel das Alter in verschiedene Gruppen ein, ist mit den Gruppen höheren Alters typischerweise ein größeres Sterberisiko verbunden. Das Risikomodell sollte aus einem möglichst großen und repräsentativen Datenbestand ermittelt werden, zum Beispiel aus der DRG-Statistik eines Jahres für Deutschland. Das verwendete statistische Verfahren stellt sicher, dass in diesem Datenbestand die Zahl der erwarteten Sterbefälle identisch ist mit der Zahl der beobachteten Todesfälle. Die HSMR in diesem Datenbestand liegt also bei 100. Bei Übertragung des gleichen Risikomodells auf einen anderen Datenbestand, wie groß er auch sein mag, wird das Ergebnis von der 100 abweichen. So ist bekannt, dass bei Vergleichen über die Zeit, zum Beispiel für aufeinanderfolgende Jahre, die HSMR sinkt, unter anderem weil sich die Risiken wegen der demografischen Entwicklung oder dem medizinischen Fortschritt ändern. Die 100 ist also nur in bestimmten Fällen ein geeigneter Referenzwert.
HSMR: nützlich für das Benchmarking
Ab dem Jahr 2015 nutzt der Verein QKK die HSMR für das Benchmarking der beteiligten Krankenhäuser.5 Das verwendete Risikomodell, das die Anzahl zu erwartender Sterbefälle ermittelt, umfasst folgende Variablen: Geschlecht, verschiedene Altersgruppen, Notfallaufnahme, Operation, Beatmungsstunden, Schwere der Begleiterkrankungen sowie die Angabe einer Grunderkrankung. Das Risikomodell erklärt etwa 35 Prozent der Sterblichkeit im Krankenhaus6, unabhängig von Ein- oder Ausschluss von Behandlungsfällen mit palliativmedizinischer Versorgung. Damit reicht die Erklärungsstärke der HSMR deutlich in den Bereich der Abbildung 1 hinein, in dem vermutlich ein komplexes Zusammenspiel vieler Faktoren die Sterblichkeit beeinflusst. Vieles bleibt durch das Risikomodell ungeklärt, von dem dann vermutlich nur ein Teil durch die Krankenhäuser selbst zu beeinflussen ist. Es verwundert daher nicht, wenn die Ergebnisse der Krankenhäuser im QKK deutlich auseinanderliegen.
Unter Verwendung eines Risikomodells aus dem Jahr 2012 wurde für 40 Krankenhäuser die HSMR für das Jahr 2013 berechnet. Der Referenzwert lag dabei nicht bei 100, sondern bei 94. Die Ergebnisse variierten zwischen 53 und 166. Für die Unterschiede können nun alle in Abbildung 1 aufgeführten Einflussgrößen verantwortlich sein: von der in Abrechnungsdaten kaum abgebildeten Erkrankungsschwere der Patient(inn)en bis hin zu Aspekten der Patientensicherheit. Trotz dieser Unsicherheit kann das krankenhausinterne Qualitätsmanagement über eine weitere Analyse Hinweise auf mögliche Qualitätsprobleme gewinnen, falls die HSMR ein auffällig hohes Ergebnis aufweist. Dazu schlägt der Verein Qualitätsindikatoren für Kirchliche Krankenhäuser - QKK drei sich ergänzende Ansätze vor:
Erstens: Eine Eingrenzung auf Fachgebiete oder Leistungsbereiche ist über die Berechnung einer Standardized Mortality Ratio (SMR) für einen Teil der Behandlungsfälle, zum Beispiel in einer Fachabteilung, möglich. Hierzu können alternativ das Risikomodell der HSMR oder spezifische Risikomodelle für die betrachteten Behandlungsfälle angewendet werden. Damit lassen sich Bereiche identifizieren, auf die die Auffälligkeit bei der HSMR zurückzuführen ist.
Zweitens: Die Ergebnisse anderer Qualitätsindikatoren lassen sich besonders kritisch interpretieren, um so gezielt Hinweise auf Versorgungsprozesse mit möglichen Qualitätsproblemen zu gewinnen.
3. Einzelne Sterbefälle mit besonders geringem Risiko können im Rahmen eines Aktenreviews oder einer Morbiditäts- und Mortalitätskonferenz auf Schwachstellen in der Leistungsgestaltung untersucht werden. Bei diesen Fällen ist der Tod - zumindest gemessen am Risikomodell - rückblickend nicht zu erklären.
Mit Vorsicht zu genießen ...
Die Stärke der HSMR ist ihre einfache Berechenbarkeit und ihr Blick auf das System Krankenhaus als Ganzes. Der selektive Blick von differenzierten Qualitätsindikatoren wird mit der HSMR um eine Gesamteinschätzung ergänzt. Dabei kann selbstverständlich nicht erwartet werden, dass ihre Treffsicherheit so hoch ist wie bei einer Betrachtung von einzelnen Behandlungsergebnissen oder einzelnen Prozessschritten. Daraus resultiert, dass sie mit besonderer Zurückhaltung eingesetzt werden sollte. Im QKK unterstützt die HSMR Krankenhäuser in ihrem Bestreben nach einer kontinuierlichen Qualitätsverbesserung.
Anmerkungen
1. Escobar Pinzon, L.C.; Claus, M.; Zepf, K.I.; Letzel, S.; Weber, M.: Sterben in Rheinland-Pfalz: Gewünschter und tatsächlicher Sterbeort. Gesundheitswesen 2013; 75 (12): S. 853-858.
2. Knaus, W.; Draper, E.; Wagner, D.; Zimmerman, J.: APACHE II: a severity of disease classification system. Crit Care Med. 1985; 13: S. 818-829.
3. Chang, R.S.: Individual outcome prediction models for intensive care units. The Lancet 1989; 8655: S. 143-146.
4. Jarman, B.; Gault, S.; Alves, B.; Hider, A.; Dolan, S.; Cook, A.; Hurwitz, B.; Iezzoni, L.I.: Explaining differences in English hospital death rates using routinely collected data. BMJ 1999; 318: S. 1515-1520.
5. Stausberg, J.: QKK-Indikatorenset Version 3.0. Berechnungsregeln für das Jahr 2015. Qualitätsindikatoren für Kirchliche Krankenhäuser - QKK e.V. Essen. 20.10.2014 [verfügbar zum Download unter www.qkk-online.de].
6. Bobrowski, C.; Rathmann, E.; Kohlmann, T.; Stausberg, J.; Bartels, C.: Bewertung der Mortalität im stationären Bereich mittels einer differenzierten Risikoadjustierung anhand der §-21-Daten. Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2014. 19: S. 290-297.
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