Frauen haben einen Plan – aber weniger für die Karriere
Im Kontext des Projekts "Gleichgestellt in Führung gehen"1 wurde vom Deutschen Caritasverband (DCV) eine Studie zum Thema "Frauen in Führungspositionen" beim Institut für Angewandte Forschung, Entwicklung und Weiterbildung (IAF) der Katholischen Hochschule Freiburg in Auftrag gegeben. Ziel war es, förderliche und hemmende Faktoren zu identifizieren, die beim Aufstieg von Frauen und der Entscheidung zur Übernahme von Führungspositionen bei der Caritas bedeutsam sind, und daraus Handlungsempfehlungen für die Erhöhung des Frauenanteils in Leitungsfunktionen abzuleiten.
Die Studie folgt einem Ansatz mit mehreren Methoden. Ein Mix aus qualitativer und quantitativer Datenerhebung soll Tiefe und Breite der Ergebnisse gleichermaßen gewährleisten. Diese unterschiedlichen Forschungslogiken kamen in zwei aufeinander aufbauenden Teilschritten zum Tragen.
In einem ersten qualitativen Teil wurden 29 Führungsfrauen unterschiedlicher verbandlicher Strukturen und Ebenen zu ihren Erfahrungen und Sichtweisen bis zum Erreichen ihrer derzeitigen Position befragt. Kontrastierend zu 13 dieser Interviews wurde zusätzlich ein Interview mit jeweils einem Mann in einer vergleichbaren Position sowie mit entsprechender Ausbildung und Berufserfahrung geführt. Somit konnten 42 leitfadengestützte, stark biografisch orientierte Interviews umfassend inhaltsanalytisch ausgewertet werden. Das Durchschnittsalter der Interviewpartner(innen) lag bei 52,2 Jahren. Die Interviews mit den Männern wurden nach ausgewählten Themen denen der Frauen gegenübergestellt, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf dem Weg in Führungspositionen und hinsichtlich der Ausgestaltung der Führungsverantwortung herauszuarbeiten. Dabei waren, verbunden mit einer bundesweiten Streuung, alle Leitungsfunktionen und -ebenen repräsentiert. Hierzu gehören beispielsweise Geschäftsführerinnen von Orts- und Diözesan-Caritasverbänden, Leiterinnen von Einrichtungen und Stiftungen sowie Frauen, die auf Diözesan- und Bundesebene Abteilungen oder Referate leiten.
Basierend auf den Ergebnissen der Interviews wurde der Fragebogen als Instrument für die erheblich breiter angelegte quantitative Erhebung entwickelt und an knapp 900 Führungsfrauen innerhalb der Caritas verteilt. Diese Querschnittsbefragung erhob Daten und Merkmale zur persönlichen Situation, Angaben zur derzeitigen Position und den damit verbundenen Aufgaben sowie zu persönlichen Einschätzungen und Haltungen. Dabei ging es vor allem darum, den Grad der Zustimmung beziehungsweise Ablehnung zu erfassen im Hinblick auf förderliche und hemmende Faktoren für eine Karriere. 58 Prozent der erfolgreich kontaktierten Frauen waren zur Teilnahme an der Onlinebefragung bereit, die letztlich auswertbare Stichprobe lag bei n = 329. Im Schnitt waren die befragten Frauen 49,8 Jahre alt.
Ein Forschungsbericht liefert Handlungsempfehlungen
In dem rund 100 Seiten umfassenden Forschungsbericht2 finden sich Ergebnisse zur beruflichen Situation, zur persönlichen Entwicklung und Berufsbiografie, zur Leitungsmotivation sowie zu hemmenden und förderlichen Faktoren auf dem Weg zur Führungsposition und bei der Wahrnehmung der Leitungsverantwortung. Auch äußern sich die Frauen zu ihren Erfahrungen in der Personalpolitik, zum Umfang der erlebten Förderung von Frauen und zur Umsetzung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie zunehmend auch von Pflege und Beruf. Das Verhältnis von Kirche und ihrer Caritas wird ebenso thematisiert wie der Bereich "Gender" (engl. hier für "Geschlechtergerechtigkeit") und "Diversity" (engl. für "Vielfalt") in Team- und Leitungssituationen. So entsteht ein komplexes Bild, das durch die breit angelegte quantitative Online-Befragung in vielen Punkten noch aussagekräftiger und facettenreicher wird. Der Bericht mündet in 14 zentralen Handlungsempfehlungen. Sie liefern Ansatzpunkte, welche Voraussetzungen notwendig sind, um den Frauenanteil in Führungspositionen der Caritas zu erhöhen, beispielsweise, dass Frauen von Vorgesetzten und Kolleg(inn)en zu einer Leitungsposition ermutigt und dass Mentoring-Programme für jüngere Kolleginnen initiiert werden sollen. Außerdem wird empfohlen, dass an Auswahlprozessen für Leitungsstellen mehr Frauen beteiligt werden und dass diese Gremien für Unterschiede bei der Selbstdarstellung von männlichen und weiblichen Bewerber(inne)n sensibilisiert werden. Hier neigen Frauen immer wieder dazu, eher tiefzustapeln, was ihre Kompetenzen betrifft.
Die Berufskarrieren der Frauen sind oft gekennzeichnet durch eine bedeutende Anzahl von Brüchen und Weichenstellungen, auf die sich die Frauen jeweils flexibel einstellen mussten. Mehrheitlich sind sie keinem Karriereplan gefolgt, wie die folgende Aussage einer Befragten zeigt: "Ich habe keinen Karriereplan wirklich vor Augen gehabt, man kriegt die Kinder und dann schaut man mal. Von daher gab’s keinen Karriereplan, nicht wirklich."
So ist es auffällig, dass viele Frauen betonen, ihre Karriere nicht von sich aus angestrebt und eigenaktiv verfolgt zu haben. Kaum eine von ihnen bekennt sich zu ihrem Leitungswillen. In der Regel wurden die Stellen, die mit einer höheren Position verbunden sind, auf Anfrage übernommen. So berichtet eine der Führungsfrauen: "Ich bin schon zweimal vorher angesprochen worden vom Caritasverband wegen der Qualifizierung, (...) da wollte ich das nicht. Aber beim dritten Mal hab’ ich mich doch dazu entschieden, dieses Studium zu machen mit der Aussicht auf die Leitungsposition." Ähnlich äußert sich eine andere Frau: "Dann hat’s eben erstaunlicherweise bei mir dann die Anfrage gegeben, ob ich das nicht übernehmen wollte (…) ich hab’ also zunächst mal auch gesagt, ich weiß gar nicht, ob ich das unbedingt will."
Frauen übernehmen Führung auf Anfrage
Die interviewten Männer berichten eindeutiger von einem allmählichen, eher linearen Aufstieg im Beruf. Sie kamen als potenzielle Führungspersonen in den Blick von Personalverantwortlichen, erhielten einschlägige Förderung und suchten oft bewusst einen Aufstieg über zum Teil mehrfache Ortswechsel - auch wenn Familie und Kinder am bisherigen Wohnort zurückbleiben oder gegen ihren Willen mit umziehen mussten. Diese Form der Karriereplanung ist bei den Frauen kaum zu finden, vor allem dann nicht, wenn sie Kinder haben. Der Führungsaufstieg wird eher ortsnah dort realisiert, wo sich schon länger der Lebensmittelpunkt befindet. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf - bei den älteren auch Pflege und Beruf - steht bei den Frauen deutlicher als Leitorientierung im Vordergrund. Unter anderem wurde auch aus diesem Grund bewusst von der freien Wirtschaft in die verbandliche Caritas gewechselt, wo familienfreundlichere Rahmenbedingungen erwartet und vorgefunden werden.
In der vergleichenden Analyse von Männern und Frauen weisen die Aussagen zu den Motiven, eine Leitungstätigkeit zu übernehmen, hohe Übereinstimmung auf. Betont werden auffallend oft der Wunsch nach mehr Gestaltungsfreiheit, Entscheidungsverantwortung und Selbstbestimmung. Es geht auch um Innovation - im Sinne des Schaffens neuer Arbeitsfelder - und um das Suchen neuer persönlicher Herausforderungen. Unterschiede zeigen sich in Bezug auf Macht und Prestige. Die Frauen betonen, dass diese Aspekte eher männliche Bedürfnisse befriedigen und für Führungsfrauen weniger relevant seien. Auch die Männer positionieren sich in ihren Aussagen in diesem Sinne: Frauen wird weniger Machtbewusstsein als Motivation für Führungsaufgaben zugeschrieben sowie ein anderes Führungsverhalten im Sinne einer Kultur des Miteinanders.
Familie, Partner und Freunde spielen eine wichtige Rolle
Ein zentrales Thema ist die förderliche Rolle der Familie. Partner und Kinder müssen die jeweilige Leitungsverantwortung mittragen und ihre eigenen Erwartungen oft zurückstellen. Dass auch die Ermutigung durch andere (Vorgesetzte, Kolleg(inn)en oder Partner) ein unterstützender Faktor für die Karriereentwicklung von Frauen ist, wurde ebenfalls deutlich.
Als weitere Aspekte, welche den Aufstieg von Frauen in Leitungsfunktionen künftig stärker befördern könnten, werden der hohe Qualifikationsgrad von Frauen, der Fachkräftemangel und bessere Möglichkeiten der Kinderbetreuung benannt, auch wenn die Befragten diese immer noch nicht als ausreichend bewerten. Hinzu kommt, dass Frauen nach Familienzeiten früher in ihren Beruf zurückkehren. Somit führt die Familiengründungsphase nicht mehr automatisch zu einem Ausstieg aus der beruflichen Karriere. Damit Frauen mehr Führungsverantwortung übernehmen, sind aber weitere Schritte notwendig: Zentral ist nach Ansicht der befragten Frauen die bewusste Entscheidung der oberen Leitungsebene, den Frauenanteil in Führungspositionen zu erhöhen, und damit der Wille zum Wandel der Unternehmenskultur. Auch wird es notwendig sein, traditionelle Geschlechterrollenzuschreibungen zu reflektieren, die weiterhin wirken und den Aufstieg von Frauen erschweren.
Anmerkungen
1. Siehe dazu auch neue caritas Heft 22/2012, S. 26 sowie neue caritas Heft 16/2013, S. 3.
2. Der Abschlussbericht der Studie steht unter www.caritas.de/frauen_in_fuehrung als Download zur Verfügung.
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