„Ab jetzt!“ – Teilzeitausbildung für Alleinerziehende
„Teilzeitausbildung – geht das überhaupt?“ Im Kontakt mit Betrieben hört Karin Käshammer, Sozialpädagogin von IN VIA in der Erzdiözese Freiburg und Mitarbeiterin im Projekt „Ab jetzt!“, diese Frage überraschend oft. Seit 2005 ist Teilzeitausbildung gesetzlich geregelt und ermöglicht Eltern mit kleinen Kindern wie auch Menschen mit pflegebedürftigen Angehörigen den Einstieg in Ausbildung und damit in einen staatlich anerkannten Beruf. Vielen Unternehmen und vielen Bürgerinnen und Bürgern ist Teilzeitausbildung dennoch völlig unbekannt.
Für junge Alleinerziehende ohne Berufsausbildung ist eine Ausbildung in Vollzeit jedoch nahezu unmöglich. Berufsschule, engagiert bis 17 Uhr im Betrieb mitarbeiten und abends lernen, wenn die Kinder im Bett sind, ist kaum zu schaffen. Mit gesellschaftlichen Folgen: Über 50 Prozent der arbeitslosen alleinerziehenden Frauen in Baden-Württemberg haben keine Berufsausbildung und sind langfristig auf staatliche Leistungen angewiesen.
Drei Träger, ein Konzept
Alleinerziehenden die Chance auf einen nachhaltigen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen ist Ziel des Kooperationsprojekts „Ab jetzt! Teilzeitausbildung für Alleinerziehende ohne Berufsausbildung“ der Landesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (LAG KJS). Finanziert wird „Ab jetzt!“ mit Geldern aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) und Landesmitteln des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg sowie Eigenmitteln der Träger.
Das Besondere an „Ab jetzt!“: Das Projekt wird unter dem Dach der Landesarbeitsgemeinschaft von drei Trägern mit einem gemeinsamen Konzept durchgeführt. IN VIA in der Erzdiözese Freiburg, das Kolping Bildungswerk Tauberbischofsheim und Förderband Mannheim bieten 52 Plätze zur Vermittlung in Teilzeitausbildung in Baden-Baden, Waldshut, Schwetzingen, Weinheim und Sinsheim (Rhein-Neckar-Kreis) und in Buchen (Neckar-Odenwald-Kreis) an. Mit dabei sind an allen Standorten die Jobcenter, die die Teilnehmerinnen ins Projekt vermitteln.
Individuelle Beratung ist das „Herzstück“ von „Ab jetzt!“
Trotz Gesetz und Netzwerken ist der Weg in die Teilzeitausbildung kein einfacher. Viele Frauen sind häufig über mehrere Jahre mit ihren Kindern allein zu Hause und haben kein Gespür mehr für ihre Stärken und Kompetenzen. Stattdessen wächst die Furcht davor, plötzlich in festen Strukturen funktionieren zu müssen und von anderen bewertet zu werden. Das Wiederbeleben ihres Selbstwertgefühls, die Klärung von Wünschen und Stärken sind daher feste Bestandteile der Einzelberatung, die sich in Kombination mit Gruppentreffen für viele Frauen als Herzstück von „Ab jetzt!“ erweist. Die Themen werden in Seminaren zur beruflichen Orientierung, zu Bewerbungen, aber auch zu Werten und Zielen vertieft. Durch Bewerbungstrainings und Computerworkshops werden die Frauen auch hier auf den aktuellen Stand gebracht. Parallel zu dem Coaching der Frauen pflegen die Projektmitarbeiterinnen die Kontakte zu Industrie- und Handelskammern (IHK) sowie Handwerkskammern und werben persönlich bei Betrieben für Teilzeitausbildung.
Gerade kleineren Betrieben kommt die Ausbildung in Teilzeit häufig entgegen – weil die Chefin selbst in Teilzeit arbeitet oder eine Auszubildende in Vollzeit zu teuer wäre. Es zeigt sich, dass im städtischen Raum die Offenheit für Teilzeitausbildung bei Betrieben und in der Öffentlichkeit weit größer ist. An ländlichen Standorten wie Buchen oder Waldshut erweisen sich der mangelnde Bekanntheitsgrad von Teilzeitausbildung, ungünstige Betreuungsangebote und die langen Anfahrtswege für die zukünftigen Auszubildenden als große Hemmnisse. Trotz gesetzlichen Anspruchs ist ein Ganztagsplatz zur Kinderbetreuung schwer zu kriegen und die Organisation von Kinderbetreuung zu Randzeiten eine echte Herausforderung. Hinzu kommt, dass die Frauen sich ungern als alleinerziehend outen – sie fürchten die Stigmatisierung.
Viele Hürden und Hemmnisse: Die Abbrecherinnenquote ist daher mit 30 bis 50 Prozent je nach Standort relativ hoch, die Gründe dafür sind vielfältig: Meist zeigt sich bereits in den ersten Monaten, dass manche Frauen psychisch zu stark belastet sind, um eine Ausbildung beginnen zu können, gesundheitliche Probleme werden sichtbar, oder die Frauen merken, dass ihnen der Weg in Ausbildung doch zu schwierig ist. Wer die ersten Monate jedoch geschafft hat, hat gute Chancen, in eine Ausbildung vermittelt zu werden. Je nach Standort konnten 40 bis 80 Prozent der Frauen, die auch noch nach den ersten Monaten zur Vorbereitung auf die Teilzeitausbildung eine Ausbildung anstrebten, zum Ende des ersten Projektjahres in Ausbildung vermittelt werden.
Problem: der Förder- und Finanzdschungel!
Doch selbst wenn ein Betrieb gefunden und die Betreuung des Nachwuchses geklärt ist, wird das Thema Geld die letzte große Hürde. Große Sprünge kann niemand mit einem Ausbildungsgehalt machen – in Teilzeit und mit Kind bleibt aber auch nichts für die kleinen Sprünge. Als erschwerend erweisen sich die Vielfalt der Fördermöglichkeiten und die mangelnde Transparenz über die Berechtigungen: Ohne Beratung sind viele angehende Auszubildende dem Förder- und Finanzdschungel nicht gewachsen.
So greift theoretisch die Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) im Anschluss an das Arbeitslosengeld II. Doch die Beantragung ist je nach Fall langwierig und das Einkommen der Eltern wird wieder relevant. Wenn das Verhältnis zu den Eltern ohnehin belastet ist, erweist sich der Nachweis als schwierig. Finanzierung aus einem Topf ist daher ein politisches Ziel. Bis dahin gilt: so früh wie möglich die Finanzen in Angriff nehmen, nötige Unterlagen zusammenführen und prüfen, ob ein Antrag auf Berufsausbildungsbeihilfe für die individuelle Kandidatin möglich ist. Denn in der Übergangszeit von SGB II und Ausbildung kann es finanziell knapp werden. In bestimmten Fällen ist diese Durststrecke mit einem Darlehen des Jobcenters überbrückbar. Aber einfach ist das nicht.
Regelmäßig tauschen sich die Projektmitarbeiterinnen der drei Träger von „Ab jetzt!“ aus über die Erfahrungen mit Betrieben und den Behörden. Sie geben einander Hilfestellung. „Durch den Wissens- und Erfahrungsaustausch mit den anderen Trägern arbeiten wir unterm Strich wesentlich effizienter und ökonomischer, als wenn jede Einrichtung für sich aktiv würde und die Frauen alleine kämpfen würden“, resümiert Karin Käshammer von IN VIA in Baden-Baden. Zudem engagieren sich die „Ab jetzt!“-Träger im Netzwerk für Teilzeitausbildung in Baden-Württemberg der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Mädchenpolitik. Über das Netzwerk kam auch der Kontakt zwischen „Ab jetzt!“ in Baden-Baden und dem Mercedes-Benz-Werk in Gaggenau zustande. Heute werden zwei „Ab jetzt!“-Absolventinnen bei Mercedes-Benz in Teilzeit zu Mechatronikerinnen ausgebildet.
23 Frauen erhielten einen Ausbildungsplatz
Die Nachbetreuung hat sich bei „Ab jetzt!“ als äußerst wichtig für die Azubis wie auch für die Arbeitgeber erwiesen. 60 Prozent der vermittelten Auszubildenden werden nachbetreut. Das gilt auch für die beiden Mechatronikerinnen, die von IN VIA in Baden-Baden intensiv weiterbegleitet und bei Finanzfragen und der Bewältigung von Prüfungsängsten unterstützt werden. „Auch die Betriebe schätzen die Begleitung nach Ausbildungsstart sehr“, bestätigt Barbara Stanger, die bei „Förderband“, einem Verein der Jugendberufshilfe in Mannheim, auf langjährige Erfahrung in der Vermittlung in Teilzeitausbildung zurückblickt, die Erfahrungen von IN VIA.
23 Frauen wurden im ersten Jahr über „Ab jetzt!“ vermittelt, zum Teil auch in Vollzeitausbildung mit Sonderregelungen. Projekt-Halbzeit: Vor zwei Wochen hat sich ein Betrieb bei Ursula Koch von „Ab jetzt!“ in Waldshut gemeldet. Über die IHK hätten sie von „Ab jetzt!“ gehört. Ob sie eine Teilnehmerin hätte, die passt? Erlebnisse, die Ursula Koch von „Ab jetzt!“ motivieren, in ihrem Engagement nicht nachzulassen.
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