Junge Frauen zwischen Freude und Überforderung
95 Prozent aller Schwangerschaften von Minderjährigen weltweit entfallen laut Weltbevölkerungsbericht 2013 auf Entwicklungsländer - täglich bekommen dort 20.000 Mädchen unter 18 Jahren ein Kind. In industriell hochentwickelten Weltregionen wie Europa ist frühe Mutterschaft stark zurückgegangen. Doch während in Deutschland jährlich auf 1000 Geburten lediglich neun bei Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren kommen, findet man diese in Europa am häufigsten in Bulgarien (48 auf 1000 Geburten im Jahr), Rumänien (41) und in der Ukraine (30). In den weltweit am wenigsten entwickelten Ländern liegt diese Quote bei 106 Geburten von 1000 im Jahr.
Zahl minderjähriger Mütter in Afrika und Südamerika steigt
Die Unterstützung minderjähriger junger Mütter bildet einen Arbeitsschwerpunkt des internationalen Verbandes Association Catholique Internationale de Services pour la Jeunesse Féminine - IN VIA. Alle Mitgliedsverbände sind angefragt, die Lebenssituation von jungen Frauen zu analysieren.
Welche Lebensbedingungen und Motive liegen einer frühen Mutterschaft zugrunde, welche Unterstützung benötigen junge Frauen zur Realisierung ihrer Lebensvorstellungen, und welche Hilfen brauchen junge Mütter, um ihre Verantwortung wahrnehmen zu können? Aus den afrikanischen Mitgliedsländern wird von einer Zunahme früher Schwangerschaften berichtet. Laut einer Rückmeldung des Verbandes in der Republik Kongo liegt der Anteil bei zehn Prozent der jungen Frauen im Alter von 15 bis 17 und bei fünf Prozent im Alter von zwölf bis 14 Jahren. Als Ursache werden prekäre Lebensbedingungen und sexuelle Übergriffe durch gleichaltrige, aber durch auch ältere Männer benannt. Die meisten Neugeborenen werden in die Großfamilie integriert und von ihr versorgt, jedoch gibt es auch Fälle, in denen die junge Mutter von ihrer Familie verstoßen wird und sich allein durchschlagen muss.
Anders stellt sich die Situation in Mittel- und Südamerika dar. Der Verband in Kolumbien stellt fest, dass - vor allem in ländlichen Regionen - jährlich circa 400.000 junge Frauen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren schwanger werden: fast ein Viertel dieser Altersgruppe. Die Frauen selbst schildern, dass frühe Schwangerschaften auch die Folge von Vergewaltigungen sind, und nicht selten ist der Vater des Kindes im familiären Kreis zu suchen. Oft werden die Frauen aufgrund der Schwangerschaft von ihrer Familie geächtet oder schlecht behandelt. In Bolivien beschreiben junge Mütter, die mit ihrem Kind in einem IN VIA-Wohnheim leben, ihre Situation so: Mit 14 Jahren ist eine junge Frau, die schwanger wird, weder physisch noch psychisch darauf vorbereitet. Um frühe Schwangerschaft zu vermeiden, fordern die jungen Frauen, die Sexualerziehung in den Schulen auszubauen. Von ihren Familien und deren Umfeld wünschen sie sich eine haltgebende Erziehung und Vorbereitung auf ein eigenständiges Leben sowie Gespräche und Begleitung.
Junge Mütter in Deutschland
In Deutschland ist der Anteil früher Mutterschaften weitaus niedriger und er geht kontinuierlich zurück. Dies ist einerseits bedingt durch bessere Sexualaufklärung, andererseits liegt es in einer immer weiter nach hinten verschobenen Ausbildungsphase begründet. Auch ist jungen Frauen bewusst, dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland für ein Leben mit Arbeit oder Ausbildung und Kind wenig Unterstützung bieten. Die Vereinbarkeit von Familie und Ausbildung/Beruf wird vielmehr durch unzureichende Kinderbetreuungsmöglichkeiten sowie durch unflexible Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten erschwert.
Die Gründe für frühe Mutterschaft in Deutschland sind noch weitgehend unerforscht. Die Hauptursache ist wohl ungewollte Schwangerschaft durch risikobehaftetes Verhütungsverhalten der Jugendlichen. Eine weitere Ursache sehen Expert(inn)en in dem teils unbewussten Wunsch junger Frauen nach einer eigenen (heilen) Familie. Elternschaft wird als Möglichkeit gesehen, einen sozialen Status sowie Anerkennung zu erwerben, was anders nicht erreichbar scheint. Lebens- und Berufsperspektiven junger Menschen sind zudem stark an den Eltern orientiert.
Vor allem Frauen, die wenig berufliche Perspektiven für sich sehen, was aufgrund des von ihnen erreichten Bildungsabschlusses realistisch ist, werden früh Mutter. So verfügen 57 Prozent der unter 25-jährigen Mütter über keinen Berufsabschluss, sondern lediglich über einen Real- oder Hauptschulabschluss oder über gar keinen Schulabschluss, was nach internationaler Klassifikation gleichermaßen einem niedrigen Bildungsstand entspricht (s. Kasten Seite 10 in neue caritas, Heft 2/2014).1
Doch statt die Motive junger Mütter ernst zu nehmen und ihnen die notwendige Unterstützung anzubieten, sind sie seitens der Gesellschaft Diskriminierungen ausgesetzt. In den Medien wird ihnen in sogenannten Dokusoaps Unvermögen auf ganzer Linie zugeschrieben, sie werden schonungslos bloßgestellt und gesellschaftliche Vorurteile werden geschürt.
Die neue Rolle als Mutter ist mit der Aufgabe verbunden, das Kind mit seinen Bedürfnissen in das eigene Leben zu integrieren. Dies stellt grundsätzlich für jede Frau eine Herausforderung dar. Muttersein erfordert neben den notwendigen Alltagskompetenzen das Vermögen, eigene Bedürfnisse zurückzustellen, Empathie im Umgang mit dem Kind und die Fähigkeit zur Reflexion des eigenen Verhaltens oder mit anderen Worten: persönliche Reife.
Das Leben jüngerer Mütter - und hier sind nicht nur Minderjährige gemeint, sondern auch junge Frauen um die zwanzig Jahre - ist geprägt von Herausforderungen und Entwicklungsaufgaben auf unterschiedlichen Ebenen. Ein Teil der Mütter kann diese Aufgaben, oft mit Unterstützung der Herkunftsfamilie, bewerkstelligen. Aber insbesondere junge Frauen, die noch auf der Suche nach ihrer persönlichen, sozialen und beruflichen Identität sind und zudem keine Unterstützung durch ihr Umfeld erfahren, fühlen sich überlastet und "mutterseelenalleinerziehend", wie die Autorin Maike von Wegen ihr 2013 veröffentlichtes Buch über die Situation Alleinerziehender betitelt.
Biografische Herausforderung Jugend
Der Übergang vom Jugend- zum Erwachsenenalter ist für viele junge Menschen ein unübersichtlicher Prozess mit unsicherem Ende geworden, der jeweils stark durch die sozialen und biografischen Handlungsspielräume geprägt ist. Zentrale Aufgaben dieser Lebensphase sind die Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsfindung sowie die gesellschaftliche Integration. Es stellen sich Fragen wie "Was will ich erreichen?" und "Wie will ich leben?" mit Blick auf die Lebensform (Beziehung, sexuelle Orientierung, Familie), das Umfeld (Herkunftsfamilie, Freunde, Lebensmittelpunkt, Wohnumfeld, Freizeit) und auf Ausbildung und Beruf (Berufswunsch und -realisierbarkeit, Erwerbsarbeit, wirtschaftliche Situation). Dass jungen Frauen nach wie vor zudem die Hauptverantwortung für die Familienplanung zugeschrieben wird, bedeutet für sie eine zusätzliche Herausforderung.
Was IN VIA anbietet
IN VIA Deutschland hat vor allem mit jungen Müttern zu tun, die mit unterschiedlichen, meist kumulierenden Problemen belastet sind. Häufig sind dies unzureichende schulische und berufliche Qualifikationen, ein geringes Selbstwertgefühl, fehlende Alltagskompetenzen und ein fehlendes soziales Umfeld, das unterstützend wirkt. Diese Frauen benötigen in der Regel zunächst individuelle Beratung, um ihre aktuelle Situation, ihre Lebensperspektiven und ihren Förderbedarf zu klären.
Flexible Hilfen zur Lebens- und Berufsplanung
Die Unterstützung junger Mütter bei ihrer Lebens- und Berufsplanung ist bei IN VIA bewusst prozessorientiert angelegt. Denn unterschiedliche Lebensthemen erfordern unterschiedliche Lösungsansätze und Förderangebote, die nicht alle gleichzeitig bewältigt werden können. Eine persönliche, vertrauensvolle Beziehung zu den Frauen ist Voraussetzung für eine Unterstützung, die wirkt. Gerade junge Mütter ohne Berufsausbildung sind häufig unsicher bezüglich ihrer beruflichen Vorstellungen und Chancen, denn die Ausbildung muss mit den Familienaufgaben vereinbar sein. Hier bietet eine Berufsausbildung in Teilzeit gute Möglichkeiten (s.a. S. 14ff.).
Erfolge hat IN VIA mit Projekten, die flexible Förderbausteine zur Berufs- und Lebensplanung umfassen, damit jede Frau auf das zugreifen kann, was sie tatsächlich benötigt. Bezogen auf berufliche Förderung können dies sein: Informationen zu Berufen und zum Nachholen eines Schul- oder Berufsabschlusses, Bewerbungshilfen, Organisation verlässlicher Kinderbetreuung, Vermittlung in Sprachkurse, in weiterführende Qualifizierungsmaßnahmen, in Ausbildungsstellen in Teilzeit/Vollzeit sowie in Arbeitsstellen.
Mutter-Kind-Beziehung stärken
Erfahrungen aus dem Projekt "Paula" von IN VIA Quakenbrück (s. a. S. 12f. in neue caritas, Heft 2/2014) zeigen, dass die Stärkung von lebenspraktischen Kompetenzen in Verbindung mit einer Intensivierung der Mutter-Kind-Interaktion ein erfolgreicher Ansatz ist, junge Mütter zu fördern. Ziele sind die Unterstützung der Mütter im Umgang mit ihrem Kind und die Stärkung ihrer Alltagskompetenzen.
Unterstützung vor Ort erleichtert den Alltag
Sozialraumorientierte Angebote sind geeignet, die Lebensbewältigungskompetenz der Frauen zu stärken und gleichzeitig unterstützende Netzwerke aufzubauen. Die Angebote sollten so angelegt sein, dass Frauen sie zusammen mit anderen unter Anleitung selbst gestalten können, beispielsweise in Müttertreffs oder bei Freizeitaktivitäten gemeinsam mit ihren Kindern. Dies eröffnet ihnen Zugänge zu neuen Netzwerken und Ressourcen. Auch sozialraumorientierte Projekte unter Einbeziehung Ehrenamtlicher können Unterstützungsstrukturen für junge Mütter schaffen (zum Beispiel "Stadtteilomas").
Rahmenbedingungen für die Angebote müssen stimmen
Im Sinne präventiven Handelns sollte die öffentliche Jugendhilfe Angebote zur Stärkung und sozialen Stabilisierung junger Mütter gemeinsam mit erfahrenen Trägern der freien Jugendhilfe umsetzen.
Insbesondere Frauen in schwierigen Lebenssituationen, die im SGB-II-Bezug sind, benötigen ein kontinuierliches personales Angebot. Die Kommunen sollten diese Angebote über Leistungen der sozialen Integration nach § 16a SGB II4 als Pflichtleistung sicherstellen.
Schon während der Elternzeit sollten junge Mütter ein zuverlässiges Unterstützungs- und Beratungsangebot durch die Agenturen für Arbeit erhalten, um den beruflichen (Wieder-)Einstieg frühzeitig vorbereiten zu können.
Darüber hinaus ist für junge Eltern ein Rechtsanspruch auf eine Teilzeitausbildung zu regeln. Unternehmen müssen gezielt bei der Einrichtung und Umsetzung von Ausbildungsangeboten in Teilzeit unterstützt werden. IN VIA begrüßt deshalb, dass der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung die Stärkung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen und der Berufsausbildung in Teilzeit vorsieht. In der Grundsicherung für Arbeitsuchende soll laut dem Vertrag ein besonderer Fokus auf Alleinerziehende gelegt werden. IN VIA wird sich dafür einsetzen, dass die Vorhaben bedarfsgerecht ausgestaltet und als Regelangebote implementiert werden.
Anmerkungen
1. https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2011/02/PD11_068_122.html
2.https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/Geburten/Tabellen/LebendgeboreneAlter.html
3.https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Bevoelkerung/Bevoelkerungsbewegung/BroschuereGeburtenDeutschland0120007129004.pdf?__blob=publicationFile
4. Kommunale Eingliederungsleistungen zur Unterstützung bei der Eingliederung in Arbeit.
Literatur
Artelt, Julia: Teenagermütter. Schwangerschaften in der Adoleszenz. Hamburg, 2012.
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ): Familiengründung und Elternschaft in Ausbildung und Studium. Monitor Familienforschung Ausgabe 29. Berlin, 2012.
United Nations Population Fund (UNFPA): Weltbevölkerungsbericht 2013. Wenn Mädchen Mütter werden. Herausforderung Teenagerschwangerschaft. New York, 2013.
„Paula im Netz“: Zwischen Facebook und Fläschchen
Familie – weiterhin nur gemeinsam
DiCV-Befragung zur Wahrnehmung der kirchlichen Aufsicht
Die Rolle der Caritas
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