Gibt es eine Ungleichheit im Leid?
Der Fonds "Heimerziehung West" wurde als ein wesentliches Ergebnis des Runden Tisches "Heimerziehung in den 50er/60er Jahren" zur Linderung von Leid an Kindern und Jugendlichen in öffentlichen Erziehungsheimen der Bundesrepublik von 1949 bis 1975 eingerichtet. Mit einem Budget von 120 Millionen Euro nahm er am 1. Januar 2012 seine Arbeit auf und endet am 31. Dezember 2014. Betroffene erhalten Hilfen und Unterstützungsleistungen bei bis heute noch bestehenden Folgeschäden und/oder bei geminderten Rentenansprüchen.
Bereits während der Beratungen und Verhandlungen am Runden Tisch wurde vor allem seitens der konfessionellen Vertreter immer wieder darauf hingewiesen, dass man sich auch mit den Heimkindern aus der Behindertenhilfe und Psychiatrie befassen müsse, die im Rahmen ihrer Heimzeit - so wissenschaftliche Einschätzungen - genauso von Gewalt, Missbrauch und Leid betroffen waren wie Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der Erziehungshilfen. Andere Vertreter am Runden Tisch wiesen auch auf die Leiderfahrungen in Erziehungsheimen der DDR hin. Für diese wurde zwischenzeitlich ein Fonds "Heimerziehung in der DDR" mit einem Budget von 40 Millionen Euro eingerichtet mit Laufzeit bis zum 30. Juni 2016. Sie ist länger, da sie die Jahre von 1949 bis 1990 umfasst, also nicht nur bis 1975 wie beim Fonds "Heimerziehung West".
Von Leid betroffene ehemalige Heimkinder aus Einrichtungen der Behindertenhilfe und Psychiatrie harren immer noch der Unterstützung. In der alten Bundesrepublik waren die Länder für die gesetzlichen und ordnungspolitischen Grundlagen der Behinderten- und Psychiatrieeinrichtungen zuständig, insbesondere für die Einweisung in die Einrichtungen sowie für ihre Aufsicht. Dem CBP sind einzelne Antragsteller beim Fonds "Heimerziehung West" bekannt, die in Fachkreisen gern als "Fehlplatzierte" tituliert werden und deren Antrag aufgrund der "falschen Heimkarriere", nämlich in einer Behindertenhilfeeinrichtung oder Kinder-und Jugendpsychiatrie, abgelehnt wurde.
Auch wenn es auf Einrichtungs- und Trägerebene eigene Hilfesettings gibt und auch der Fonds der Deutschen Bischofskonferenz prinzipiell auch Antragstellern aus ehemaligen Heimen der katholischen Behindertenhilfe und Psychiatrie offensteht1, so fehlt für diese Personengruppe nach wie vor eine bundesweite Lösung. Eine Zeitlang wurde die Idee verfolgt, den Fonds "Heimerziehung West" auch für Betroffene aus der Behindertenhilfe und Psychiatrie zu öffnen. Der Umfang und der bisherige Abruf der Fondsmittel würde dies wohl ermöglichen, ohne dass es zu Reduzierungen bei der ursprünglichen Zielgruppe käme. Diese Option scheint sich allerdings aufgrund der Verweigerung einzelner Bundesländer zu zerschlagen.
Eine letzte Hoffnung bieten die Beratungen der Arbeits- und Sozialminister der Länder am 20. November 2013. Insofern dort kein Durchbruch gelingt, kann mit Blick auf die knappe Fondslaufzeit kaum mehr mit einem positiven Ergebnis gerechnet werden. Zusätzlich erschwerend käme hinzu, dass die möglichen Betroffenen aufgrund individueller Handicaps unter Umständen bei der Antragstellung und Prüfung sehr hohe Hürden und Barrieren überwinden müssten. Es ist zu bezweifeln, dass Beratungserweiterungen ausgehend von dem behinderungsbedingten Bedarf an den zuständigen Stellen zeitnah eingesetzt werden könnten.
So sehr auch die Fonds "Heimerziehung West" und "Heimerziehung in der DDR" zur Linderung von großem Leid beigetragen haben, gibt es für die Menschen, die in den 50er und 60er Jahren in Heimen der Behindertenhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie gelebt haben, einen dunklen Schatten der Nichtbefassung, der im Kontrast zu den aktuellen Teilhabe- und Inklusionsabsichten der Politik steht.
Umso wichtiger werden die Ergebnisse einer dreijährigen Studie sein unter dem Titel: "Heimkinderzeit in der katholischen Behindertenhilfe und Psychiatrie 1949-
1975. Eine quantitative und qualitative Erfassung der Problemlage". Sie werden bis Mai 2016 vorliegen - finanziert von Deutscher Bischofskonferenz, Deutscher Ordensobernkonferenz, DCV, Veronika-Stiftung und dem Fachverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie.
Anmerkung
1. Aus dem Merkblatt der Deutschen Bischofskonferenz zum Antrag auf materielle Leistungen in Anerkennung des Leids, das Opfern sexuellen Missbrauchs zugefügt wurde: Hilfeleistungen erhalten Betroffene, "die als Minderjährige Opfer sexuellen Missbrauchs durch Kleriker, Ordensangehörige und andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kirchlichen Bereich geworden sind". Unter: www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/Dossiers/2011-028a-Merkblatt.pdf (letzter Zugriff 1. Oktober 2013).