Ratsuchende sind oft besonders belastet
Die Katholische Schwangerschaftsberatung erfreut sich kontinuierlich einer hohen gesellschaftlichen Akzeptanz und Inanspruchnahme. Über 100.000 Personen suchten auch im Jahr 2011 Rat und Hilfe in den Schwangerschaftsberatungsstellen von Caritas und Sozialdienst katholischer Frauen oder im Internet über das Online-Beratungsportal der Caritas.
Im Jahr 2011 suchten 75 Prozent der Ratsuchenden eine Beratungsstelle während der Schwangerschaft auf. 18 Prozent kamen nach der Geburt des Kindes in die Beratung oder führten den begonnenen Beratungsprozess fort. Die Beratung im existenziellen Schwangerschaftskonflikt2 ist im Vergleich zum Vorjahr stabil geblieben und lag 2011 bei 1,2 Prozent. Dies entspricht 1182 Ratsuchenden, die bewusst eine katholische Schwangerschaftsberatungsstelle aufsuchen in dem Wissen, dass sie keinen Beratungsnachweis ausgestellt bekommen.
Internet wirkt als Türöffner
Viele Ratsuchende wählen das Internet als erste Anlaufstelle im existenziellen Schwangerschaftskonflikt. Ohne Terminvergabe, schnell, unkompliziert und anonym das eigene Beratungsanliegen in der Mail- und Chatberatung zu formulieren wird von vielen Ratsuchenden als eine geeignete Form empfunden, sich zu informieren, die eigenen Gedanken und Gefühle zu ordnen und Vertrauen zu schöpfen, einen Termin in einer Schwangerschaftsberatungsstelle zu vereinbaren. Der Anteil der Beratung im existenziellen Schwangerschaftskonflikt lag in der Online-Beratung bei 6,9 Prozent.
Neben der Einzelfallhilfe verfügt die Katholische Schwangerschaftsberatung über ein differenziertes Angebot im flankierenden Bereich. Über 11.000 nicht einzelfallbezogene Maßnahmen wie Veranstaltungen, Gruppenangebote und Gremienarbeit fanden im Jahr 2011 statt. Die Schwerpunkte lagen im Bereich der Frühen Hilfen und der sexualpädagogischen Gruppenarbeit. Im Kontext der Frühen Hilfen wurden zu 71 Prozent Gruppenangebote durchgeführt. Dabei handelte es sich um präventiv angelegte Angebote wie zum Beispiel Elternkurse, Mutter-Kind-Gruppen oder Geburtsvorbereitungskurse. In der sexualpädagogischen Gruppenarbeit lag der Schwerpunkt auf Veranstaltungen im schulischen Bereich.
Schwangerschaft und Geburt sind sensible Phasen in Familien. Von allen Beteiligten werden innere und äußere Anpassungsleistungen verlangt. Dies geht einher mit Hoffnungen auf gelingendes Familienleben, zugleich entstehen aber auch Ängste und Unsicherheiten. Mütter und Väter in schwieriger sozialer Lage haben zusätzliche Belastungen zu bewältigen. Dies gilt für einen Großteil der Ratsuchenden der Katholischen Schwangerschaftsberatung.
Freudiges Ereignis - belastende Unsicherheit
Die Beratungsstellen von Caritas und SkF erreichen mehrheitlich Menschen aus den sogenannten Armutsmilieus. Die Erschwernisse und Bedrängnisse der Ratsuchenden sind vielschichtig. Die Belastungen summieren sich häufig zu sogenannter kumulativer Armut, die neben geringen finanziellen Ressourcen, geringer Bildung, prekärer Beschäftigung, schlechten oder beengten Wohnverhältnissen, Verschuldung, Paarproblemen und sozialer Ausgrenzung auch ein erhöhtes Risiko gesundheitlicher und psychischer Erkrankungen umfasst. Ein Leben an der Armutsgrenze bedeutet nicht nur permanente Unsicherheit und Auseinandersetzung mit existenziellen Ängsten, sondern führt darüber hinaus zu mangelnder Teilhabe von Kindern und Familien an Bildung, gesundheitlicher Vorsorge und sozialen Kontakten. Praxiserfahrungen weisen auf eine deutliche Perspektivlosigkeit und eine daraus folgende Resignation bei den Ratsuchenden hin. Das Zutrauen in die Selbstwirksamkeit in ihrer Gegenwarts- und Zukunftsgestaltung wird häufig als drastisch eingeschränkt erlebt. Unter diesen Bedingungen bedeutet die Entscheidung für ein Kind nicht nur Hoffnung und Glück, sondern auch Angst und Sorge, der neuen Lebenssituation nicht gewachsen zu sein.
Mit der Verabschiedung des Haushaltbegleitgesetzes wurde ab Januar 2011 der Sockelbetrag des Elterngeldes für Eltern, die Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe oder Kinderzuschlag beziehen, als Einkommen berücksichtigt und fiel damit als zusätzliche Geldleistung weg.
Kein Puffer mehr für arme Familien
Diese Anrechnung trifft arme Familien in der Familiengründungsphase besonders hart. In der Beratung werden die unmittelbaren Folgen der gesetzlichen Regelung sichtbar. Eine Befragung von knapp 2000 Ratsuchenden der Katholischen Schwangerschaftsberatung im Herbst letzten Jahres zeigt deutlich, dass die Familien in der Familiengründungs- und Erweiterungsphase durch die Anrechnung des Elterngeldes zusätzlich unter Druck gesetzt werden. Es fehlt der "Schonraum", der finanzielle Puffer, um durch die Geburt eines Kindes ausgelöste zusätzliche Bedarfe abzufedern. Der Gesetzgeber hat das Elterngeld sowohl als Lohnersatzleistung als auch als Sozialleistung ausgestaltet. Die Anrechnung des Elterngeldes bedeutet den Abschied von dem Konzept, das 2007 als Maßnahme der staatlichen Familienförderung eingeführt wurde. Die Erziehungsleistung derer, die Leistungen nach dem SGB II beziehen, wird nicht mehr anerkannt. In seiner Stellungnahme zum Betreuungsgeld fordert der Deutsche Caritasverband, dass der Sockelbetrag von 300 Euro unabhängig vom Einkommen allen Eltern bis zum Ende der dreijährigen Elternzeit gezahlt werden soll.3 Der Sockelbetrag des Elterngeldes dürfe weder auf das Arbeitslosengeld II noch auf Sozialhilfe oder Kinderzuschlag angerechnet werden. Nur so wird die Erziehungsleistung aller Eltern honoriert.
Für die ganze Familie da
Die Katholische Schwangerschaftsberatung folgt einem umfassenden Lebensschutzkonzept. Es bezieht sich nicht nur auf das ungeborene Leben, sondern auf das ganze Familiensystem.
Die Aufgaben der Schwangerschaftsberatung reichen von Fragen der Existenzsicherung über Kriseninterventionen bis hin zu Stabilisierungs- und Begleitprozessen. Die Beraterinnen verfügen über breite sozialrechtliche Kenntnisse, unterstützen die Ratsuchenden bei der Durchsetzung von Rechtsansprüchen und ebnen Kontakte zu Behörden. Eine Kernaufgabe der Schwangerschaftsberatung ist es, sich zu vernetzen und das Angebot aller sozialen Akteure zu kennen, um im Einzelfall hilfreich darauf zurückgreifen zu können. Alle Ebenen der Katholischen Schwangerschaftsberatung sind gefordert, durch anwaltschaftliche Lobbyarbeit die Interessen der Ratsuchenden auf kommunaler, Länder- und Bundesebene zu vertreten.
Evaluation mit Milieu-Bezug
Im November 2011 hat der Vorstand des Deutschen Caritasverbandes das Evaluationsprojekt "Leben in verschiedenen Welten?! Evaluation der Katholischen Schwangerschaftsberatung im Hinblick auf Zugänge, Kommunikation und Beratungsinstrumente unter Einbeziehung milieuspezifischer Fragestellungen" bewilligt. Die Evaluation ist ein gemeinsames Projekt von DCV und SkF und wird finanziell unterstützt von der Deutschen Bischofskonferenz. In einer sowohl quantitativen als auch qualitativen Erhebung sollen Ratsuchende und Beraterinnen befragt werden. Gewonnen werden sollen neue und tiefere Erkenntnisse über den Zugang der Ratsuchenden zur Katholischen Schwangerschaftsberatung, ihre Erwartungen an den Beratungsprozess sowie über Kommunikationschancen und -hürden. Angesichts komplexer Lebenssituationen soll die Passgenauigkeit der Beratungsinstrumente analysiert werden. Das Evaluationsprojekt ist auf 2,5 Jahre angelegt. Ergebnisse und Bewertungen sollen im Sommer 2014 vorliegen.
Anmerkungen
1. www.caritas.de, "DCV", "Arbeitsbereiche", "Familie und Generationen", "Downloads".
2. Beratung in einer Not- und Konfliktlage bis zur zwölften Schwangerschaftswoche.
3. Vgl. neue caritas Heft 9/2012, S. 34-37.