Eine offizielle Spardose
Steuerbegünstigte Körperschaften müssen „grundsätzlich“ ihre Mittel zeitnah für ihre satzungsmäßigen steuerbegünstigten Zwecke verwenden. Da aber bekanntlich Ausnahmen die Regel bestätigen, gibt es von dieser Regel einige wichtige Ausnahmen, die im Einzelnen in § 58 der Abgabenordnung (AO) geregelt sind. Steuerbegünstigte Körperschaften, also als gemeinnützig anerkannte Vereine, Stiftungen, gGmbHs, müssen ihrem Finanzamt regelmäßig nachweisen, dass sie ihre Mittel tatsächlich zeitnah für ihre satzungsmäßigen steuerbegünstigten Zwecke verwenden beziehungsweise Rücklagen (als Ausnahmen von der zeitnahen Mittelverwendungspflicht) zu Recht bilden. Dies geschieht zweckmäßigerweise mittels einer gesonderten steuerlichen Nebenrechnung, der sogenannten Mittelverwendungsrechnung. Zudem sind zeitnahe Mittelverwendung und Rücklagenbildung regelmäßig Gegenstand steuerlicher Betriebsprüfungen.
Gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 5 AO gelten derzeit Mittel als zeitnah verwendet, wenn sie spätestens in dem auf den Zufluss folgenden Kalender- oder Wirtschaftsjahr für die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke verwendet werden. Als zweckentsprechende Verwendung gilt dabei auch die Anschaffung oder Herstellung von Vermögensgegenständen, die satzungsmäßigen Zwecken dienen.
Diese zeitnahe Mittelverwendung muss die Körperschaft den Finanzbehörden regelmäßig nachweisen. Dies ist unabhängig von der Art der praktizierten Rechnungslegung durch die klassischen Rechnungslegungsinstrumente (Einnahmen-Ausgaben-Rechnung in Verbindung mit einer Vermögensübersicht oder am Handelsrecht orientierter Jahresabschluss, bestehend aus Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung, gegebenenfalls ergänzt um Anhang und Lagebericht) nur bedingt möglich.
Im Anwendungserlass zur AO (AEAO) wird hierzu ausgeführt (Anm. 27 Satz 3 zu § 55 Abs. 1 AO):
„Soweit Mittel nicht schon im Jahr des Zuflusses für die steuerbegünstigten Zwecke verwendet oder zulässigerweise dem Vermögen zugeführt werden, ist ihre zeitnahe Verwendung nachzuweisen, zweckmäßigerweise durch eine Nebenrechnung (Mittelverwendungsrechnung).“
Der Mittelbegriff der Abgabenordnung
Mittel im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 AO sind nach einer Entscheidung des Bundesfinanzhofes „… sämtliche Vermögenswerte der Körperschaft, nicht nur die ihr durch Spenden, Beiträge und Erträge ihres Vermögens und ihrer wirtschaftlichen Zweckbetriebe zur Verfügung stehenden Geldbeträge“. Vermögenswerte werden in einer Bilanz beziehungsweise Vermögensübersicht auf der Aktivseite ausgewiesen. In einer Mittelverwendungsrechnung sind somit die Vermögenswerte danach zu differenzieren, ob sie bereits für satzungsmäßige Zwecke eingesetzt sind oder noch nicht. Die Mittelverwendungsrechnung betrachtet somit die Aktivseite der Bilanz.
Rücklagen im Sinne des Gemeinnützigkeitsrechts
Ungeachtet des grundsätzlich geltenden Gebotes der zeitnahen Mittelverwendung definiert die Abgabenordnung insbesondere in § 58 Nr. 6 (sogenannte Zweckverwirklichungsrücklagen; zum Beispiel Projektrücklagen, Betriebsmittelrücklage) und Nr. 7 (sogenannte Freie Rücklage) AO Ausnahmen von dieser Verpflichtung.
§ 58 AO: Die Steuervergünstigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass …
6. eine Körperschaft ihre Mittel ganz oder teilweise einer Rücklage zuführt, soweit dies erforderlich ist, um ihre steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke nachhaltig erfüllen zu können,
7. a) eine Körperschaft höchstens ein Drittel des Überschusses der Einnahmen über die Unkosten aus Vermögensverwaltung und darüber hinaus höchstens zehn Prozent ihrer sonstigen nach § 55 Abs. 1 Nr. 5 zeitnah zu verwendenden Mittel einer freien Rücklage zuführt,
b) eine Körperschaft Mittel zum Erwerb von Gesellschaftsrechten zur Erhaltung der prozentualen Beteiligung an Kapitalgesellschaften ansammelt oder im Jahr des Zuflusses verwendet; diese Beträge sind auf die nach Buchstabe a in demselben Jahr oder künftig zulässigen Rücklagen anzurechnen, …
Zu ergänzen sind noch die Mittel im Sinne von § 58 Nr. 11 AO aus Erbschaften oder sonstigen Zuwendungen zum Vermögen sowie bestimmte Überschüsse von Stiftungen im Jahr der Gründung und den beiden Folgejahren (§ 58 Nr. 12 AO), die zulässigerweise dem Vermögen zugeführt werden dürfen.
Die AO benutzt den Begriff Rücklagen in streng kameralistischem Sinne, also aus dem Blickwinkel von Einzahlungen und Auszahlungen. Rücklagen im Sinne der AO sind somit Mittel (= Vermögenswerte, Geld-, Finanz- oder Sachmittel), die der Verpflichtung zur zeitnahen Mittelverwendung gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 5 AO entzogen sind.
Der Rücklagenbegriff der AO unterscheidet sich damit trotz Verwendung des gleichen Begriffs grundsätzlich und vollständig von dem Rücklagenbegriff des Handels- oder Steuerbilanzrechts. Dort sind Rücklagen Teilbeträge des Eigenkapitals, die auf der Passivseite der Bilanz ausgewiesen werden.
Als Folge dieser vollständigen Inhaltsverschiedenheit können die gemeinnützigkeitsrechtlichen Rücklagen letztlich nicht auf der Passivseite einer Bilanz abgebildet werden, da Rücklagen im Sinne der AO der zeitnahen Mittelverwendungspflicht entzogene Mittel/Vermögenswerte (auf der Aktivseite der Bilanz) sind.
Auch die gemäß § 58 Nrn. 6, 7, 11, 12 AO zulässigerweise gebildeten Rücklagen müssen der Finanzverwaltung regelmäßig nachgewiesen werden. Im AEAO Anm. 18 zu § 58 Nrn. 6 und 7 AO wird hierzu ausgeführt:
„1Ob die Voraussetzungen für die Bildung einer Rücklage gegeben sind, hat die steuerbegünstigte Körperschaft dem zuständigen Finanzamt im Einzelnen darzulegen. 2Weiterhin muss sie die Rücklagen nach § 58 Nrn. 6 und 7 in ihrer Rechnungslegung – gegebenenfalls in einer Nebenrechnung – gesondert ausweisen, damit eine Kontrolle jederzeit und ohne besonderen Aufwand möglich ist.“ Auch hier verweist die Finanzverwaltung auf eine Nebenrechnung.
Steuerliche Mittelverwendungsrechnung
Die von den Finanzbehörden immer häufiger verlangte Mittelverwendungsrechnung ist eine ergänzend zur Jahresrechnung aufzustellende Nebenrechnung, die dem Nachweis
- der Beachtung des Gebots der zeitnahen Mittelverwendung und
- der nach den Bestimmungen der AO zulässigerweise gebildeten „Rücklagen“ (der zeitnahen Mittelverwendungspflicht entzogene Vermögenswerte)
dient. Das Modell wurde ursprünglich von Jochen Thiel in seiner Funktion als Steuerabteilungsleiter im Finanzministerium NRW entwickelt und wird von den Autoren Buchna, Seeger, Brox1 fortgeführt.
Dieser von der Finanzverwaltung bevorzugte Ansatz einer Mittelverwendungsrechnung geht zwar von einem handelsrechtlichen Bilanzgliederungsschema aus, ist aber – auch wenn die Vermögenswerte und Schulden mit ihren Buchwerten angesetzt werden – inhaltlich deutlich kameralistisch geprägt.
In einem ersten Schritt werden die Vermögenswerte der Körperschaft danach zugeordnet, ob diese bereits für steuerbegünstigte satzungsmäßige Zwecke eingesetzt sind oder nicht. Dabei wird zunächst nur die Aktivseite betrachtet; Forderungen sollen nur insoweit angesetzt werden, als ihnen entsprechende Verbindlichkeiten gegenüberstehen.
Im zweiten Schritt werden die Verbindlichkeiten und die (echten) Rückstellungen (das heißt solche, die zeitnah zu Zahlungsabflüssen führen) in Abzug gebracht.
Im dritten Schritt werden dann die zulässigerweise der zeitnahen Mittelverwendungspflicht entzogenen Vermögenswerte (Mittel/„Rücklagen“ nach § 58 Nrn. 6, 7, 11, 12 AO) sowie zulässigerweise der Vermögensverwaltung oder steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben zuzuordnenden Vermögenswerte in Abzug gebracht. In diesem Zusammenhang ist auch – soweit vorhanden – Altvermögen aus der Zeit vor Inkrafttreten der AO am 1. Januar 1977 abzusetzen, denn die Verpflichtung zur zeitnahen Mittelverwendung ist erst mit der AO 1977 eingeführt worden.
Das Ergebnis ist dann entweder ein (gemeinnützigkeitsrechtlich unkritischer) Verwendungsüberhang (minus) oder ein Verwendungsrückstand (plus). Im letzteren Fall muss die Körperschaft der Finanzverwaltung darlegen, wie und in welchem Zeitraum sie diesen Verwendungsrückstand abbauen will. Im Einzelfall kann die Finanzverwaltung auch zeitliche Vorgaben zum Abbau eines Verwendungsrückstandes machen.
Ein Verwendungsüberhang bedeutet im Ergebnis, dass zulässigerweise angesammelte Mittel („Rücklagen“) aktuell in die satzungsmäßige Verwendung – gleichsam zur Vorfinanzierung – eingeflossen sind; sie dürfen in den Folgejahren wieder „zurückgeführt“ werden.
Untenstehend wird ein (verkürztes) Beispiel für eine solche Mittelverwendungsrechnung wiedergegeben.
Anmerkung
1. Buchna, Johannes; Seeger, Andreas; Brox, Wilhelm: Gemeinnützigkeit im Steuerrecht. 10. Auflage, Achim : Erich Fleischer Verlag, 2010.