Qualität ist für die Kinder da
Die Kitas auf den Prüfstand stellt Sabine Skalla in ihrer Dissertation, in der sie die Qualitätsentwicklungsverfahren der Hamburger Spitzen- und Trägerverbände in Kitas untersucht hat.1 Ihre Ergebnisse zur "Qualitätsentwicklung in Kindertagesstätten", die im Rundfunk zu hören waren, führten zu vielen Diskussionen in der Fachszene und zu Anfragen aus dem Trägerbereich der Caritas.2 Die Verwendung der Qualtiätsmanagementnorm DIN EN ISO 9001 bezeichnet Skalla als einen Irrweg, von dem sich die großen Wohlfahrtsverbände schnell verabschieden sollten. Auf die DIN EN ISO 9001 greift auch das Gütesiegel des KTK für seine Kitas zurück. In Bezug auf das Ziel von Qualitätsmanagement (QM) stimmt der KTK-Bundesverband mit der Erziehungswissenschaftlerin überein: Ein QM-System muss den Kindern und aus Sicht des KTK auch den Familien dienen. Wurden - bezugnehmend auf die Untersuchungsergebnisse von Sabine Skalla - nun mehr als 8000 Nutzer(innen) des KTK-Gütesiegels auf einen Irrweg gelockt? Oder lassen sich ihre empirischen Ergebnisse auch anders interpretieren?
Die Kritikpunkte von Sabine Skalla lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Sprache DIN EN ISO 9001 sei für Pädagog(inn)en unverständlich. Ihre Anwendung führe dazu, dass die Arbeitszeit und andere Ressourcen falsch eingesetzt würden. Ihrer Auffassung nach fehlten den QM-Verfahren bildungstheoretische Grundlagen, und die pädagogischen Inhalte würden zweitrangig gegenüber den formalen Anforderungen behandelt, weil die Norm vor allem die Verbesserung von Organisationsabläufen verlange.
Hinsichtlich der Verständlichkeit hat Sabine Skalla durchaus recht. Aus diesem Grund ist im KTK-Gütesiegel die Norm in eine verständliche Sprache übersetzt. Diese Übersetzung lässt sich anhand einer sogenannten Crossmatrix zwischen den Forderungen der DIN EN ISO 9001 und dem KTK-Gütesiegel nachvollziehen. Bei den auf dieser Norm beruhenden QM-Verfahren stellt Skalla fest, dass viele Nebensächlichkeiten dokumentiert, eine "unüberschaubare Anzahl" von Papieren produziert würden, schriftliche Beobachtungen folgenlos in Ordnern verschwänden und die Ergebnisse der sogenannten Qualitätszirkel nicht unbedingt auf wissenschaftlichen Ergebnissen beruhten.
Die DIN muss je nach Fall konkretisiert werden
Allerdings gilt die DIN EN ISO 9001 für die unterschiedlichsten Organisationen, so dass sie für den jeweiligen Anwendungsfall interpretiert werden muss. Die zuvor aufgeführten Ergebnisse von Skalla widersprechen eigentlich dem Sinn dieser Norm und weisen damit darauf hin, dass die Interpretation der DIN EN ISO 9001 im Bereich der Pädagogik auch misslingen kann. Skallas Feststellung, dass den QM-Verfahren die bildungstheoretischen Grundlagen fehlten und die pädagogischen Inhalte zweitrangig gegenüber den formalen Anforderungen seien, könnte man oberflächlich gesehen der DIN EN ISO 9001 anlasten, die tatsächlich dazu keine Aussagen macht. Dies liegt aber in ihrem Gültigkeitsbereich für die unterschiedlichsten Organisationen begründet. Aus diesem Grund können Anforderungen hinsichtlich der Realisierung einer "Dienstleistung" nur auf der Metaebene formuliert werden. Diese Anforderungen sind von der jeweiligen Organisation zu spezifizieren - also im Falle von Kitas für die Erziehung, Bildung und Betreuung.
Ein Beispiel für eine solche Forderung ist, behördliche Vorgaben einzuhalten, also für Kitas die sogenannten Bildungspläne. Insofern ist das Untersuchungsergebnis der fehlenden bildungstheoretischen Grundlagen und der Zweitrangigkeit pädagogischer Inhalte erstaunlich und nicht nachvollziehbar. Das KTK-Gütesiegel konkretisiert diese Metaebene auch mit differenzierten inhaltlichen Anforderungen an die Pädagogik, die wissenschaftlich begründet sind und praktische Erfahrungen berücksichtigen.
Hinzu kommt, dass das KTK-Gütesiegel jährlich durch eine Nachlieferung aktualisiert wird und so formuliert ist, dass die Inhalte der Bildungspläne der Bundesländer adaptierbar sind. Ein Nachweis dafür ist die Akkreditierung des KTK-Gütesiegels als Grundlage für die externe Evaluation des Berliner Bildungsprogramms durch den Berliner Senat.
Gute Organisation und Pädagogik sind kein Widerspruch
Auch entsteht in dem Beitrag von Sabine Skalla der Eindruck, dass eine Kita sich entweder um ihre Organisationsabläufe oder um ihre pädagogische Qualität zu kümmern habe. Beides sei nicht miteinander zu verknüpfen. Doch eine Verbesserung im Sinne der Norm muss immer der Zielerreichung selbst gesteckter oder behördlich vorgegebener Ziele wie zum Beispiel eines Bildungsplans oder einer noch höheren Zufriedenheit der Kinder oder Eltern dienen. Die pädagogische Qualität kann auch durch verbesserte Organisationsabläufe optimiert werden.
In der Pädagogik ist heute viel von lernmethodischer Kompetenz, von Metakognition und Selbststeuerung die Rede. Genau solche Kompetenzen kann die Verwendung der Norm auch bei den Mitarbeiter(inne)n in den Kitas fördern, was natürlich - vor allem in der Phase der Einführung von QM - Zeit braucht. Wenn nach einer solchen Einführungsphase die Instrumente des QM im Alltag genutzt werden, helfen diese, die ständig neuen Anforderungen an die Kitas effektiver und effizienter zu erfüllen.
Ein solches Instrument ist zum Beispiel der Qualitätskreislauf "plan, do, check, act": keine Planung ohne Ziele und ohne das Festlegen von entsprechenden Indikatoren, nach denen die Zielerreichung bewertet wird; das Lernen aus Fehlern; die Managementbewertung, um das System Kita bezüglich Bildung, Erziehung und Betreuung zu überprüfen. Die Norm, im richtigen Sinne verwendet, erhöht die Reflexionskompetenz als Schlüsselkompetenz im pädagogischen Handlungsfeld, sowohl auf der individuellen Ebene als auch auf der Ebene der Organisation.
Die Norm muss im richtigen Sinn angewandt werden
Die Norm im richtigen Sinn - oder anders ausgedrückt, mit dem richtigen Geist - zu interpretieren und anzuwenden, kann auch vor einer Gefahr schützen, die Skalla nicht erwähnt hat, die aber im Arbeitsfeld leider öfters anzutreffen ist. Manche Forderungen der Norm lassen sich eins zu eins nur auf technische Herstellungsprozesse übertragen, die aufgrund objektiver Messmethoden überwacht, ständig verbessert und unter "beherrschten Bedingungen", wie in der DIN EN ISO 9001 gefordert, geplant und durchgeführt werden können. Pädagogischer Alltag wird demgegenüber charakterisiert durch Handeln in offenen, unsicheren und komplexen Situationen, ist also das Gegenteil von "beherrschten Bedingungen". Diese prinzipielle Schwierigkeit lässt sich auch nicht dadurch umgehen, dass Pädagogik auf möglichst viele Prozessbeschreibungen reduziert wird, sondern fordert eine entsprechende Kompetenzentwicklung der Mitarbeiter(innen), um in offenen, unsicheren und komplexen Situationen mit entsprechender pädagogischer Qualität handeln zu können. Zu dieser pädagogischen Qualität tragen auch die sogenannte Orientierungsqualität und die Prozessqualität bei. Unter Orientierungsqualität werden die Vorstellungen, Ziele, Werte und Einstellungen der Pädagog(inn)en verstanden, die durch die eigene Lebens- und Lerngeschichte beeinflusst werden. Prozessqualität beschreibt die Gesamtheit der Interaktionen und Erfahrungen, die ein Kind in der Kita mit seiner sozialen und räumlich-materialen Umwelt sammelt. Wie die Hirnforschung und die Bindungsforschung zeigen, sind die Beziehungserfahrungen für die Kinder dabei von großem Stellenwert. Orientierungs- und Prozessqualität, die nach allgemeiner Überzeugung wesentlich die Ergebnisqualität von Pädagogik beeinflussen, lassen sich zwar normativ beschreiben, aber nicht beherrschen. Verbesserungen bezüglich dieser Qualität erfordert die persönliche Weiterentwicklung von Mitarbeitenden zum Beispiel hinsichtlich ihrer Beziehungsfähigkeit, ihrer Werte und Haltungen, aber auch hinsichtlich ihrer gemeinsamen Kultur. Dies kann zum Beispiel erreicht werden, indem die Reflexionskompetenz, die persönliche und die in Teams, erhöht wird. Hierbei kann auch ein auf die Kompetenzentwicklung angepasster Qualitätskreislauf, der berücksichtigt, dass es sich um Menschen und nicht um Produkte handelt, weiterhelfen. In Bezug auf Orientierungs- und Prozessqualität gibt es keine "ständigen Verbesserungen", wie die Norm es fordert, sondern möglicherweise Stillstand, Rückschritte oder Scheitern - diese beiden Qualitätsdimensionen sind also nicht beherrschbar, aber in Grenzen entwickelbar.
Zu guter Letzt: Die Verwendung der DIN EN ISO 9001 ist im KTK-Gütesiegel kein Irrweg, sondern bietet eine gute Grundlage, das System Kita mit dem Ziel zu gestalten, Kindern und ihren Familien zu dienen. Dieses Ziel nicht aus den Augen zu verlieren ist aber auch bei Verwendung des KTK-Gütesiegels kein Selbstläufer und kann durch das gedruckte Handbuch nicht sichergestellt werden. Es geht um eine Verwendung des KTK-Gütesiegels und damit auch der DIN EN ISO 9001, die den Kindern, ihren Familien und letztlich auch den Mitarbeiter(inne)n dient.
Anmerkungen
1. Skalla, Sabine: Qualitätsentwicklung in Kindertagesstätten, Entwicklung eines Kriterienkatalogs zur Evaluation von Qualitätsentwicklungsverfahren anhand einer Untersuchung der Verfahren in Kindertagesstätten der Hamburger Spitzen- und Trägerverbände. Dissertation Uni Köln, 2010.
2. www.swr.de, über "Mediathek", Suchbegriff "DIN EN ISO"