Schauen, wie's meinem Nachbarn heute geht!
Es ist schön hier: die Kirche mitten im Dorf hoch über dem Bodensee, der Blick schweift über das Wasser hinüber nach Konstanz, in die Schweiz, zu den Alpen. Hier möchte man bleiben und am besten einmal auf dem Gottesacker mit Seeblick beerdigt sein. Die Gemeinde Gaienhofen auf der Höri, der Halbinsel zwischen Stein am Rhein und Radolfzell, eine heile Welt? Auf den ersten Blick schon. Viele Probleme großer Städte gibt es hier nicht, aber der Strukturwandel im ländlichen Raum nagt auch an dieser Idylle. Die Jungen wandern ab, suchen sich Arbeit in der Stadt. Es gehen die weg, die für Nachwuchs sorgen, die, die sich um die Älteren kümmern. In Gaienhofen ist heute schon ein Drittel der Bevölkerung älter als 65 Jahre. Tendenz steigend. Das liegt zum Teil auch daran, dass viele Rentner(innen) in die Ferienregion Bodensee ziehen, um dort ihren Lebensabend zu verbringen. Ihnen fehlen häufig gewachsene soziale Netze. Lassen die Kräfte nach und tritt Pflegebedürftigkeit ein, wird es nicht nur einsam, sondern richtig schwierig.
Den ländlichen Raum für Jüngere attraktiver machen
Sollen die Dörfer nicht überaltern und verwaisen, müssen Ideen her, die den ländlichen Raum attraktiver für Jüngere machen, die Arbeitsplätze vor Ort schaffen, die familienfreundliche Angebote entwickeln und die ältere Menschen darin unterstützen, möglichst lange selbstständig in den eigenen vier Wänden wohnen zu bleiben. Denn die Mehrgenerationenfamilie, in der die Jungen selbstverständlich für die Alten und die Alten für die Jungen sorgen, existiert auch hier schon lange nicht mehr.
Ideen hat für die Gemeinden Gaienhofen und Moos der Verein " Hilfe von Haus zu Haus" entwickelt und umgesetzt. Er koordiniert im Zuge von Nachbarschaftshilfe verschiedene Formen der Unterstützung für alle Generationen in der Gemeinde. "Hilfe von Haus zu Haus" wurde auf Initiative der Katholischen Landfrauenbewegung vor zehn Jahren gegründet. Er bietet älteren, kranken und behinderten Menschen bezahlbare hauswirtschaftliche Betreuung und Begleitung an, auch um pflegende Angehörige zu entlasten und um die Einsamkeit im Alter aufzubrechen. Es gibt einen Tagesmütterdienst und zwei anerkannte Spielgruppen für Kinder von einem bis drei Jahren, die von Frauen aus dem Verein geführt werden. Sechs Frauen kochen für eine Ganztagsschule und den Ganztagskindergarten frisches Essen aus regionalen Produkten, insgesamt 550 Essen pro Woche. Das gleiche Essen wird auch als "Essen auf Rädern" an ältere Menschen geliefert. Die Austräger(innen) nehmen sich jeden Tag für jeden Essensgast zehn Minuten Zeit. Wenn es dem Kunden nicht gutgeht, er sich einsam fühlt oder er ein Problem hat, ist auch ein längeres Gespräch möglich. Die Helfer(innen) - 70 Frauen und drei Männer - arbeiten zum Teil ehrenamtlich mit Aufwandsentschädigung, viele auf 400-Euro-Basis. Der Verein hat mit seinen Diensten Arbeitsmöglichkeiten vor allem für Frauen im Dorf geschaffen. "Für drei unserer Frauen war dies der Einstieg in den Beruf der Altenpflegerin", berichtet Maria Hensler, Diözesanvorsitzende der Katholischen Landfrauenbewegung im Bistum Freiburg, die auf der Höri lebt und aktiv im Verein tätig ist. Da nur mit regionalen Produkten gekocht wird, werden wiederum Arbeitsplätze in der Landwirtschaft gestützt.
Gespräche sind so wichtig wie die eigentliche Hilfe
"Es geht uns neben den Hilfen ganz besonders auch um die Verbesserung der Lebensqualität in den Gemeinden, dass die Menschen zusammenfinden, sich kennenlernen und wieder nacheinander schauen", sagt Maria Hensler. "Gespräche sind mindestens ebenso wichtig wie die eigentliche Hilfe. Unsere Helferinnen und Helfer nehmen sich Zeit, und das zeichnet unsere Arbeit aus." Die Nachfrage ist groß. Der Verein bringt es auf 14.000 Einsatzstunden im Jahr. "Das ist ein mittelständischer Betrieb", sagt die Diözesanvorsitzende lächelnd. Die Notwendigkeit nachbarschaftlicher Hilfen sehen sowohl die Bürgermeister als auch die Kirchen. Der Verein wird von zwei politischen Gemeinden und vier Pfarrgemeinden finanziell unterstützt. Daneben finanziert er sich aus Spenden und den Entgelten für die Leistungen. Elf Euro kostet die Einsatzstunde, wenn man die Leistungen der Nachbarschaftshilfe in Anspruch nimmt. Etwa 8000 Menschen leben in den beiden Gemeinden Gaienhofen und Moos.
"Hilfe von Haus zu Haus" versteht sich als Ergänzung zur Sozialstation und zum Dorfhelferinnenwerk, die für die Pflege und hauswirtschaftliche Einsätze die ersten Ansprechpartner sind. Überschneidungen kommen jedoch vor. Mit der Sozialstation Radolfzell gibt es einen Kooperationsvertrag.