Mindestlohn für Pflege möglich
Obwohl gesetzliche Mindestlöhne einen staatlichen Eingriff in die Lohngestaltung darstellen, hat die Arbeitsrechtliche Kommission des Deutschen Caritasverbandes (AK) die Aufnahme der Pflegebranche in das Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) unterstützt. Mindestlöhne in der Pflege können helfen, den Preiswettbewerb auf Kosten der Vergütung einzudämmen und die Qualität der Pflege zu sichern. Die Bedingung der AK war jedoch, bei den Beteiligungsrechten den Tarifvertragsparteien gleichgestellt zu werden. Ohne diese Rechte hätten allein die Sozialpartner darüber entschieden, ob es zu Mindestlöhnen in der Pflege kommt und wie hoch diese liegen.
Der Bundestag hat die Aufnahme weiterer sechs Branchen, unter anderem die Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach SBG II und III und die Pflegebranche, in das Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) beschlossen und die Änderung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes (MiArbG) verabschiedet. Mit der nun erfolgten Verabschiedung im Bundesrat hat die Große Koalition im Schatten der Wirtschafts- und Finanzkrise eines ihrer größten Streitthemen vom Tisch geräumt.
Gleicher Ort, gleicher Lohn?
Mit den beiden Gesetzen wird kein gesetzlicher Mindestlohn für alle Branchen geschaffen. Jedoch wird es zwei Wege geben, um zu Mindestlöhnen in weiteren, einzelnen Branchen zu kommen. Sie sollen - so das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) auf seiner Website - "die Grundlage dafür schaffen, dass Unternehmen nicht durch Lohndumping bedroht werden, dass Arbeit anständig bezahlt wird und dass der Staat nicht dauerhaft zum Lohnzahler wird". Anlass für das AEntG 1996 war die - insbesondere im Baugewerbe - zunehmende Praxis ausländischer Anbieter, mit grenzüberschreitend entsandtem Personal aufzutreten, das zu den in den Heimatländern geltenden Arbeitsbedingungen beschäftigt wurde. Ziel des AEntG ist die gleiche Entlohnung am gleichen Arbeitsort. Das AEntG erstreckt die Geltung eines für allgemeinverbind-lich erklärten tariflichen Mindestlohns und -urlaubs auf Arbeitnehmer(innen), für die kein deutsches Arbeitsrecht gilt.
Das MiArbG von 1952 soll Mindestlöhne in Branchen ermöglichen, die die Voraussetzung zur Aufnahme in das AEntG nicht erfüllen. Es gibt zunehmend Wirtschaftszweige, in denen es entweder keine Tarifverträge gibt oder eine Tarifbindung nur für eine Minderheit der Arbeitnehmer oder Arbeitgeber besteht. Das BMAS kann mit diesem Gesetz nach Empfehlung von paritätisch mit Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern besetzten Ausschüssen staatlich vorgeschriebene Mindestentgelte für Branchen festsetzen.
Auch wenn rechtssystematisch eine Lösung im MiArbG denkbar gewesen wäre, wäre dies nicht nur ein schwerwiegender Eingriff in das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen (Art. 140 GG i.V.m. 137 WRV), sondern widerspräche auch dem Anwendungsbereich (schwache Tarifbindung) des MiArbG. Zwar ist die Bindung an Tarifverträge in der Pflegebranche relativ gering. Insgesamt wird die Branche jedoch aufgrund der im Dritten Weg ausgehandelten kirchlichen Arbeitsbedingungen von kollektiven Regelungen geprägt. Damit entsprechen die Bedingungen grundsätzlich denen anderer Branchen, für die das AEntG vorgesehen ist.
Die Dienstgeberseite der AK stand im Gegensatz zu den Mitarbeiterseiten der AK und der Zentralen Kommission zur Ordnung des Arbeitsvertragsrechtes im kirchlichen Dienst (Zentral-KODA) der Diskussion lange Zeit sehr kritisch gegenüber. Jedoch ging es nie darum, eine leistungsgerechte Entlohnung der Mitarbeitenden infrage zu stellen. Vielmehr enthielten die vom BMAS vorgelegten Gesetzentwürfe keine gesonderte Regelung für die Branchen, in denen die Gremien des Dritten Weges die Arbeitsbedingungen festsetzen.
Dritter Weg wird einbezogen
Die paritätisch ausgehandelten Arbeitsvertragsrichtlinien der Kirchen (AVR) bilden jedoch einen wichtigen Bestandteil des Lohngefüges - insbesondere in der Pflegebranche. Eine Erstreckung zum Beispiel der AVR der Caritas auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer nichtkirchlicher Einrichtungen scheitert aber gegenwärtig daran, dass der Dritte Weg tariflichen Regelungen nicht gleichgestellt ist. Hinzu kommt, dass in der Pflegebranche derzeit kein allgemeinverbindlich erklärbarer Flächentarifvertrag vorliegt. In der Pflegebranche stehen "unterschiedliche, verfassungsrechtlich gleichrangig geschützte Instrumentarien zur Gestaltung von Arbeitsbedingungen nebeneinander" - so die Gesetzesbegründung jetzt. Die im letzten Jahr von der Politik vorgelegten Regelungen mussten für diesen Bereich modifiziert werden. Eine repräsentative Lösung hat demnach auch die Interessen der gewichtigen Zahl an Arbeitnehmer(inne)n, deren Arbeitsbedingungen im Dritten Weg ausgehandelt werden, zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund wurde folgender politische Kompromiss erarbeitet:
- Im Gesetz wird erstmals die Pflegebranche definiert.
- Mindestlöhne werden durch eine Rechtsverordnung festgesetzt, die inhaltlich an die Kommissionsempfehlung gebunden ist.
- Nach der gesetzlichen Regelung besteht die Kommission aus acht Mitgliedern sowie je einem Stellvertreter:
- zwei Vertretern der Gewerkschaften, die in der Pflegebranche tätig sind,
- zwei Vertretern der Vereinigungen der Arbeitgeber, die in der Pflegebranche tätig sind,
- zwei Vertretern der Dienstnehmer-
- sowie zwei Vertretern der Dienstgeberseite der AKen. - Die Kommission wird auf Antrag einer Tarifvertragspartei, der Dienstnehmer- oder der Dienstgeberseite einberufen.
- Eine doppelte Sicherung soll verhindern, dass die Kirchen überstimmt werden können. Zum einen müssen einem ausgehandelten Mindestlohn drei Viertel der Kommissionsmitglieder zustimmen. Zum anderen muss der Mindestlohn von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite mehrheitlich akzeptiert werden, bevor er Gültigkeit erhält.
- Vor Erlass einer Rechtsverordnung werden die betroffenen Kreise zu dem Kommissionsvorschlag gehört.
- Festgesetzte Mindestlöhne sind zwingend; ihre Einhaltung wird kontrolliert.
Auf Grundlage des AEntG kann die Kommission Mindestarbeitsbedingungen für Mindestentgeltsätze einschließlich Überstundensätzen, bezahltem Mindestjahresurlaub, zusätzlichem Urlaubsgeld, Höchstarbeits- und Mindestruhezeiten, Bedingun- gen für die Überlassung von Arbeitskräften insbesondere durch Leiharbeitsfirmen festlegen. Das große Problem der unzureichenden Refinanzierung der Caritaspflegedienste und -einrichtungen wird mit dem Mindestlohn nicht gelöst.
Die AK und der DCV haben deshalb gegenüber der Politik einen Mindestlohn in der Pflege stets damit verknüpft, dass die Pflegekassen verpflichtet werden müssen, eine tarifgerechte Entlohnung bei den Pflegesätzen zu berücksichtigen. Die Gesetzesbegründung hält die politische Zusage nicht ausreichend ein: "Die Refinanzierung von Pflegeleistungen bleibt durch den Erlass einer Rechtsverordnung … unberührt. Auch für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen günstigere Entgelte können Gegenstand der Vergütungsverhandlungen zwischen Pflegeeinrichtungen und den betroffenen Kreisen sein". Mit dieser Formulierung kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Mindestlohnentgelte zur Richtgröße für die Kostenträger werden. Die Neufassung des § 72 Abs. 3 Satz 2 SGB XI im Jahr 2008 macht die Vereinbarung eines Versorgungsvertrages für stationäre Pflegeleistungen von der Zahlung der "ortsüblichen" Vergütung abhängig. Diese entspricht jedoch zumeist nicht der AVR- beziehungsweise tarifvertraglichen Vergütung, vor allem dann nicht, wenn die tarif- oder AVR-gebundenen Einrichtungen regional in der deutlichen Minderheit sind. Dann liegt sie darunter. Gerade in strukturschwachen Regionen besteht die Gefahr, dass in Zeiten knapper Kassen die Versorgungsträger nur noch das refinanzieren, was gesetzlich erforderlich ist - den Mindestlohn. Ein Gesetz gegen Lohndumping würde mit dieser Konsequenz ad absurdum geführt! Die nun in der Entschließung des Bundesrates geforderte Klarstellung im SGB XI ist deshalb zu begrüßen.