"Was man bekommt, soll man auch zurückgeben"
Wie sollen sich Migrant(inn)en mit mangelnden Sprachkenntnissen im deutschen Ämterdschungel zurechtfinden? An wen können sie sich mit ihren Problemen wenden? Im Wiesbadener Stadtteil Biebrich finden sie seit November 2008 eine Anlaufstelle: Elf Integrationslotsinnen haben im BauHof, einer Einrichtung des Caritasverbandes Wiesbaden-Rheingau-Taunus, ihre Ausbildungszer- tifikate erhalten und die Arbeit aufgenommen. Seitdem stehen sie dort als Ansprechpartnerinnen für Migrant(inn)en bereit, um bei der Orientierung im neuen Land und Stadtteil zu unterstützen, bei Problemen und Fragen zu helfen - sei es bei Gängen zum Arbeits- oder Sozialamt, zur Wohnungsbaugesellschaft oder zum Arzt.
"Wir sind Bindeglieder zwischen Menschen mit Migrationshintergrund und dem gesellschaftlichen und sozialen Leben in Biebrich", erklärt Aysegül Güler, Projektleiterin der Integrationslotsinnen. "Wir bieten Migrantinnen und Migranten Unterstützung im Alltag und geben Anleitung zur Selbsthilfe. Gleichzeitig sind wir auch Ansprechpartner für die Biebricher Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie für die Sozialverwaltungen in allen Situationen, in denen Unterstützung wegen Sprachproblemen und Schwierigkeiten aufgrund kultureller Unterschiede benötigt wird." Aysegül Güler war von der Notwendigkeit des niedrigschwelligen Angebots von Anfang an überzeugt: "Zu der Zeit, als ich noch Deutschkurse geleitet habe, ist mir deutlich geworden, dass die bestehenden Angebote für Migranten nicht ausreichen. Die Leute kennen sich mit dem System in Deutschland nicht aus und wissen nicht, an wen sie sich mit ihren individuellen Fragen und Problemen wenden können."
Das Vertrauen ist sofort da
Dass alle elf Lotsinnen selbst über einen Migrationshintergrund verfügen, kommt ihnen bei ihrer neuen Aufgabe entgegen. "Es ist schwer, neu Zugewanderte oder wenig Integrierte zu erreichen. Dazwischen stehen viele sprachliche und kulturelle Barrieren", erklärt Manuela Pintus, Leiterin des Migrationsdienstes im Caritasverband. "Die Integrationslotsinnen, die selbst einmal zugewandert sind, haben es da viel leichter. Das Vertrauen ist sofort da." Die Lotsinnen kommen aus der Türkei, aus Marokko, Russland, Afghanistan, Peru und dem Irak und sprechen zusammen 13 verschiedene Sprachen - und alle sprechen fließend Deutsch und können so zu Mittlerinnen zwischen den Kulturen werden. "Wir können ganz anders mit unseren Landsleuten umgehen, weil wir wissen, wie sie denken. Umgekehrt wird uns ein ganz anderes Vertrauen entgegengebracht, weil man uns viel eher zutraut, die Probleme zu verstehen", erklärt Rachida Madrouni, eine der Lotsinnen. Alle Lotsinnen haben diese Erfahrung gemacht. Sie wurden schon vorher von Verwandten oder Nachbarn um Hilfe gebeten, haben bei Kinderärzten, auf Ämtern, in Kindergärten und Schulen vermittelt sowie kulturspezifisch übersetzt.
140 Stunden auf der Schulbank
Bevor sie im BauHof aktiv werden konnten, mussten die Lotsinnen die Schulbank drücken. Die Fortbildung hat im Januar 2008 begonnen, organisiert vom Migrationsdienst des Caritasverbandes Wiesbaden-Rheingau-Taunus. In 140 Stunden wurden Themen behandelt wie: soziokulturelle Infrastruktur im Stadtteil Biebrich; Schule und Bildung; Kinderbetreuungseinrichtungen; Wohnen in Biebrich; pädagogische Betreuung; Ernährung und Gesundheit; Schwangerschaft und Geburt; bürgerschaftliches Engagement in der sozialen Stadterneuerung in Biebrich; Zuwanderungsgesetz; Übersetzungshilfen; Kontakt zu Behörden und Ämtern.
Während der Schulung wurde ein direkter Kontakt zu Ämtern und Behörden hergestellt, um sich gegenseitig kennenzulernen und Informationen auszutauschen - kurz: um ein umfangreiches Netzwerk für die Lotsinnen zu schaffen.
Die Motivation, an der Fortbildung teilzunehmen, war für alle Lotsinnen schlicht der Wille zu helfen. Sie bieten ihre Dienste ehrenamtlich an. "Was man bekommt, soll man auch zurückgeben", sagt Sima Farid, Integrationslotsin im BauHof. "Als ich nach Deutschland kam, war alles fremd: die Kultur, die Menschen, die Sprache. Zum Glück traf ich nette Leute, die mir sehr geholfen haben."
Das Angebot wird gut angenommen
Das Angebot wird in Biebrich bereits gut angenommen. Institutionen und Einrichtungen wie das Amt für soziale Arbeit oder Kindergärten vermitteln inzwischen Klient(inn)en an die Lotsinnen. Bei den Behörden schätzt man die Hilfe. "Die Sachbearbeiter in den Ämtern kennen mich und sind froh, wenn ich Migranten begleite, weil dann die Verständigung besser funktioniert. Unsere Klienten haben oft Probleme mit dem Behördendeutsch und verstehen nicht, welche Unterlagen sie mitbringen müssen. Unsere Hilfe spart allen Seiten Nerven", sagt Rachida Madrouni. Inzwischen werde sie bei Einrichtungen und Ämtern manchmal sogar ein bisschen bevorzugt, weil sie bekannt sei.
Bisher wurden Klient(inn)en aus der Türkei, aus Russland, Syrien, Marokko, Ghana, Jamaika, dem Irak und Algerien betreut. Etwa vier Ratsuchende kommen pro Woche neu dazu.Wie viel Zeit die Lotsinnen mit ihrem Ehrenamt verbringen, lässt sich schwer sagen - zu individuell sind die Problemstellungen. Rachida Madrouni begleitete kürzlich eine marokkanische Mutter zum Kinderarzt, die glaubte, ihr Kind sei schwer krank. So zumindest hatte sie die Ärztin bei früheren Besuchen verstanden. Mit Übersetzungshilfe von Rachida Madrouni wurde schnell klar, dass die Erkrankung durch eine angepasste Ernährung leicht in den Griff zu bekommen sei.
Fast zwei Wochen täglich unterwegs
Oft müssen die Lotsinnen aber mehr Zeit in die einzelnen Fälle investieren. Als Sima Farid eine Frau bei der Trennung von ihrem gewalttätigen Ehemann unterstützte, war sie fast zwei Wochen täglich unterwegs und fungierte als Dolmetscherin, begleitete ins Frauenhaus, zum Sozialamt und zu anderen Anlaufstellen. Zeitaufwendig war auch die Hilfe für eine alleinerziehende Ghanaerin mit vier Kindern. Obwohl sie nur geringe Einkünfte aus einer Putzstelle hatte, bezog sie keine Sozialleistungen und sollte innerhalb einer Woche ihre Wohnung räumen. Durch das Eingreifen der Integrationslotsinnen durfte sie in ihrer alten Wohnung bleiben, bis eine neue gefunden wurde. Zudem bezieht sie nun die ihr zustehenden Sozialleistungen und besucht seit kurzem einen Deutschkurs.
Im Schnitt müssen zwischen drei und vier Einrichtungen oder Ämter pro Klient(in) aufgesucht werden, schätzt Aysegül Güler. Mit der reinen Begleitung ist es oft nicht getan. In ihrer Rolle als Integrationslotsin sei sie auch "Seelsorger", sagt Laila Bekkour. "Die Leute sind erleichtert, wenn sie jemanden an der Seite haben, der Bescheid weiß. Früher liefen die Menschen von einer Stelle zur anderen. Die Wege sind kürzer geworden. Da wird man auch zur Bezugsperson."
Die Einsätze der Lotsinnen werden im BauHof koordiniert. Wer Hilfe braucht, wendet sich an die Projektleiterin Aysegül Güler. Sie stellt den Kontakt zu einer der Lotsinnen her, deren Telefonnummern geheim bleiben.
Das Projekt wird als Bundesmodellprojekt noch bis September 2009 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie der Landeshauptstadt Wiesbaden gefördert. Träger ist der Caritasverband Wiesbaden-Rheingau-Taunus, der sich um Finanzierungsmöglichkeiten nach Projektende bemüht. "Wir brauchen die Lotsinnen, um zu den Menschen Brücken zu bauen. Wir wollen aber auch Nachhaltigkeit, wollen über das Projektende hinaus wirken", bekräftigt Walther Barth, Einrichtungsleiter des BauHofs.