Hinauszögern macht alles nur noch schlimmer
Die Insolvenzstatistik des Statistischen Bundesamtes verzeichnet zwischen 2004 und 2007 einen Rückgang der eröffneten Unternehmensinsolvenzverfahren von 23.897 auf 20.491. Dies darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen sich immer noch auf einem hohen Niveau befindet. Zudem wird in Insolvenzverwalterkreisen infolge der derzeitigen Finanzmarktkrise mit einer Verdoppelung der Zahl der Unternehmensinsolvenzen (rund 40.000 im Jahr 2009) gerechnet. In vielen Tätigkeitsbereichen gemeinnütziger Unternehmen hat sich die Finanzierungssituation seit Jahren verschlechtert. Unter Berücksichtigung all dessen sollten sich auch Vertretungs- und Aufsichtsorgane gemeinnütziger Körperschaften Klarheit über die Voraussetzungen der Insolvenzantragspflicht und die Konsequenzen ihrer Verletzung verschaffen.
Kriterien der Antragspflicht
In der Insolvenzordnung (InsO) sind drei Insolvenzantragsgründe vorgesehen: Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 1 InsO), Überschuldung (§ 19 Abs. 1 InsO) sowie drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO). Während bei natürlichen Personen lediglich die Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantragsgrund darstellt - aber keine Insolvenzantragspflicht begründet -, besteht bei allen juristischen Personen des privaten Rechts (Aktiengesellschaft - AG, Gesellschaft mit beschränkter Haftung - GmbH, eingetragene Genossenschaft - eG, eingetragener Verein - e.V., Stiftung etc.) für die gesetzlichen Vertreter(innen) die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags. Insolvenzgrund bei juristischen Personen ist neben der Zahlungsunfähigkeit die Überschuldung. Drohende Zahlungsunfähigkeit stellt sowohl bei natürlichen als auch bei juristischen Personen einen fakultativen Insolvenzantragsgrund dar.
Laut Bundesgerichtshof (Urteil vom 24. Mai 2005, IX ZR 123/04) wird die Zahlungsunfähigkeit grundsätzlich anhand einer Dreiwochenfrist festgestellt: Zeigt ein Finanzstatus, dass die sofort fälligen Verbindlichkeiten höher als die sofort zur Verfügung stehenden Zahlungsmittel sind, ist für einen Zeitraum von drei Wochen ein Finanzplan zu erstellen. Wenn nach diesem Plan die Verbindlichkeiten bis auf einen Rest von maximal zehn Prozent getilgt werden können, liegt regelmäßig eine bloße Zahlungsstockung vor. Andernfalls ist grundsätzlich von Zahlungsunfähigkeit auszugehen. Etwas anderes gilt bei gegenteiligen Erwartungen für den Zeitraum nach Ende der Dreiwochenfrist.
Seit Inkrafttreten der InsO wurde das Vorliegen der Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne anhand eines zweistufigen Verfahrens festgestellt: Zunächst war eine Fortbestehensprognose zu erstellen: Aufgrund detaillierter Pläne (insbesondere Finanzpläne) war zu ermitteln, ob die Geschäftstätigkeit fortgeführt werden konnte. Fiel die Fortbestehensprognose positiv aus, waren Aktiva und Passiva unter Fortbestehensgesichtspunkten anzusetzen und zu bewerten. Fiel sie negativ aus, traten Zerschlagungswerte an die Stelle der Fortführungswerte.
Temporäre Entlastung in der Finanzmarktkrise
Durch das Finanzmarktstabilisierungsgesetz wurde vor dem Hintergrund der Finanzmarktkrise § 19 Abs. 2 InsO zeitlich befristet neu gefasst: Im Zeitraum vom 18. Oktober 2008 bis zum 31. Dezember 2010 liegt Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne vor, "wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich".
Der Fortbestehensprognose kommt hier erheblich größere Bedeutung zu als bei dem vorher und ab dem 1. Januar 2011 wieder geltenden Überschuldungstatbestand: Während der Geltung des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes schließt eine positive Fortbestehensprognose den Eintritt des insolvenzrechtlichen Überschuldungstatbestandes generell aus.
Die Insolvenzantragspflichten fanden sich bisher in den für die jeweilige Rechtsform maßgeblichen Einzelgesetzen. Mit Wirkung vom 1. November 2008 hat das "Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG)" einen neuen § 15 a in die InsO eingeführt, der in seinem Abs.1 eine Insolvenzantragspflicht für alle juristischen Personen des Privatrechts festlegt. In § 15 a Abs. 3 InsO wird bestimmt, dass im Falle der Führungslosigkeit einer Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft die Insolvenzantragspflicht grundsätzlich auch die einzelnen Gesellschafter (einer GmbH) oder die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder (einer AG oder einer eG) trifft. Damit wird erstmals auch den Mitgliedern von Aufsichtsorganen unter bestimmten Bedingungen die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags auferlegt.
Haftung für verzögerte Antragstellung
Außerdem wird gesetzlich klargestellt, dass für die Stellung eines Insolvenzantrags auch bei eingetragenen Vereinen und Stiftungen eine Maximalfrist von drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung gilt. Diese schon immer für AG, GmbH und eG geltende Regelung wird häufig als allgemeine Karenzzeit missverstanden. Der Gesetzgeber regelt dort vielmehr eine Maximalfrist: Steht schon vor Ablauf der Dreiwochenfrist bei vernünftiger Betrachtung fest, dass keine realistischen Rettungschancen bestehen, haben die gesetzlichen Vertreter(innen) den Insolvenzantrag schon vor Ablauf der Dreiwochenfrist zu stellen.
Schon bisher hafteten die gesetzlichen Vertreter(innen) juristischer Personen des Privatrechts deren Gläubiger(inne)n für den sogenannten Quotenschaden. Sie haben den Gläubiger(inne)n demnach die Differenz zwischen dem Betrag, den diese bei rechtzeitiger Stellung des Insolvenzantrags auf ihre Forderung erhalten hätten, und dem, den sie später tatsächlich erhalten haben, zu ersetzen. Diese Regelung gilt unverändert für alle juristischen Personen des Privatrechts fort. Gleiches gilt nunmehr bei Führungslosigkeit des Unternehmens für die Mitglieder der genannten Aufsichtsorgane von AG, GmbH und Genossenschaft.
Strafrechtliche Aspekte
Daneben waren und sind die gesetzlichen Vertreter(innen) einer Aktiengesellschaft, GmbH oder Genossenschaft der Gesellschaft beziehungsweise Genossenschaft gegenüber grundsätzlich zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung geleistet wurden.
Neben den zivilrechtlichen sind insbesondere auch die strafrechtlichen Konsequenzen zu beachten. Hierbei ist nicht nur an die in den §§ 283 bis 283d StGB (Strafgesetzbuch) geregelten Insolvenzstraftaten (Bankrott, Verletzung der Buchführungspflicht, Gläubigerbegünstigung und Schuldnerbegünstigung) gedacht. Im Vorfeld einer Insolvenz werden daneben häufig auch andere im StGB sanktionierte Straftaten (zum Beispiel die Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung, § 266a StGB) begangen.
Die bloße Verletzung der Insolvenzantragspflicht war - soweit hier relevant - bisher nur für gesetzliche Vertreter(innen) von Kapitalgesellschaften und Genossenschaften strafbewehrt (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren).
Diese gesetzlichen Regelungen sind durch das MoMiG in den seit dem 1. November 2008 geltenden § 15a Abs. 4 InsO übertragen worden. Dieser dehnt die Strafbarkeit einer Verletzung der Insolvenzantragspflicht auf alle juristischen Personen aus. Außerdem wird eine solche Verletzung durch die Aufsichtsorgane im Falle der Führungslosigkeit unter Strafe gestellt. Erstmals wäre bei wörtlicher Auslegung demnach auch die unterlassene, verspätete oder unrichtige Insolvenzantragstellung von gesetzlichen Vertreter(inne)n der im gemeinnützigen Bereich häufig vorkommenden Rechtsformen e.V. und Stiftung strafbewehrt. Ob diese Ausdehnung der Strafbarkeit beabsichtigt war, ist unklar. Aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlauts sollte bis zur höchstrichterlichen Klärung allerdings auch von der Strafbarkeit einer Verletzung der Insolvenzantragspflicht durch gesetzliche Vertreter(innen) von e.V. und Stiftungen ausgegangen werden.