Zu viele Unbekannte in der Gleichung
Im Juni fand in Frankfurt a. M. die jährliche Präsenzsitzung des Bundesarbeitskreises für Pflegesatz- und Entgeltfragen der Diözesan-Caritasverbände statt. Wie stets bei diesem Format standen die aktuellen Finanzierungsbedingungen und relevanten Entwicklungen in den Bundesländern für die stationäre Pflege, die Eingliederungs- sowie die Kinder- und Jugendhilfe im Fokus.
Die Stimmungsbilder in Bezug auf die laufenden Entgeltverhandlungen variierten zu stark, um einen bundesweiten Trend aufzuzeigen. Zu groß sind die regionalen Unterschiede und die Rahmenbedingungen in den verschiedenen stationären Bereichen. Doch eine Botschaft war deutlich zu vernehmen: Unter den derzeitigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen prospektive Entgeltverhandlungen zu führen, bleibt für alle Träger in der Sozialwirtschaft eine riesige Herausforderung.
Viele unklare Faktoren auf einmal
Wie entwickelt sich die Inflation? Auf welches Niveau pendeln sich die Energiepreise ein? Welche Tarifabschlüsse gelten für das kommende Jahr? Diese Fragen machen eine Kalkulation der künftigen Sach- und Personalkosten besonders schwierig. Hinzu kommen laufend neue rechtliche Vorgaben, die entweder unmittelbar oder über Verhandlungen in den jeweiligen Landesrahmenverträgen umzusetzen sind. Gerade in der Eingliederungshilfe und bei der schleppenden Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes wird deutlich, dass viele Einrichtungen vor Ort über mehrere Jahre keine zufriedenstellenden Entgelte vereinbaren können, weil (noch) keine geeinten Vereinbarungen über die Kalkulationsgrundlagen vorliegen. Im Vorteil sind hier eindeutig die Regionen, die sich auf konsens- und lösungsorientierte Verhandlungspartner verlassen können.
Prospektivität ist wichtig für den Fortbestand
Dabei beruht das Prinzip der in den Sozialgesetzbüchern festgeschriebenen Prospektivität auf nachvollziehbaren wirtschaftlichen Überlegungen. So sollen die Leistungserbringer einen Anreiz haben, möglichst zielgenau die anstehenden Kosten zu berechnen. Bei guter Betriebsführung und vorteilhaften wirtschaftlichen Entwicklungen verbleiben der Einrichtung im günstigsten Fall Überschüsse für den Aufbau von Rücklagen. In jedem Fall trägt aber der Träger das Risiko und muss bei einem ungünstigen Verlauf Verluste in Kauf nehmen.
Ein verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln bedarf daher einer anspruchsvollen Buchhaltung, aus der sich zum Beispiel Kostenpositionen für die Berechnung eines einrichtungsindividuellen Unternehmenswagnisses ableiten lassen. Auch steigende Anforderungen im Bereich der Informationstechnologie und Cybersicherheit sowie Investitionsstrategien für zukunftsfähige und nachhaltige Immobilien gehören zu den notwendigen Aufgaben, die berechnet und eingepreist werden müssen. Umso ernüchternder sind da Rückmeldungen aus den Caritasverbänden, dass angemessene Risikozuschläge oft nur über die Schiedsstelle erreicht werden, es nur sehr vereinzelt aktuelle Vereinbarungen zu IT-Kosten gibt und für energetische Sanierungsmaßnahmen keine gesicherten Refinanzierungsmöglichkeiten gefunden werden.
Versorgungssicherheit und das langfristige Bestehen von bedürfnisorientierten sozialen Dienstleistungen können nur gelingen, wenn eine ausreichende Finanzierung der Angebote möglich ist. Die Problematik von überschuldeten Kommunen, Personalknappheit in den Verwaltungen oder systembedingte zu hohe Eigenbeträge der Bewohner:innen dürfen nicht zu Verzögerungen der Verfahren und am Ende zu nicht ausreichenden Entgelten für die Einrichtung führen. Die öffentliche Hand muss sich hier, auf den unterschiedlichen Ebenen und mit allen Beteiligten gemeinsam, der Dynamik der Entwicklungen anpassen und zeitnah Lösungsvorschläge erarbeiten.