Strategien gegen rechtsextremes Gedankengut
Seit mehreren Jahren bieten der Diözesanrat der Katholiken und die Caritas im Erzbistum Berlin eine eigene Veranstaltungsreihe zum Umgang mit Rechtspopulismus und Menschenfeindlichkeit an. Fester Bestandteil sind dreieinhalbstündige Argumentationstrainings, die von Ehrenamtlichen und Hauptberuflichen sehr stark nachgefragt werden und einen geschützten Rahmen für den "Sprung ins kalte Wasser" anbieten, denn die Reaktion auf rechtspopulistische und rechtsextreme Aussagen ist eine oft unvertraute und unerwartete Herausforderung. Das Angebot versucht das, was in Beschlüssen von Diözesan- und Katholikenräten, in Stellungnahmen von Bischöfen und in kirchlichen Wahlaufrufen formuliert ist, in konkrete Debatten und Auseinandersetzungen vor Ort zu übertragen.
Im Mittelpunkt steht der Praxisbezug. Ohne theoretische Einführungen und Definitionsversuche setzen die Schulungen bei den persönlichen Erlebnissen der Teilnehmenden an. Die Vielfalt der geschilderten Erfahrungen belegt, wie stark rechtspopulistisches Gedankengut verbreitet ist. Sie reichen von beruflichen Erlebnissen, Pfarreifesten, kirchlichen Gremiensitzungen, Busfahrten, Gartenzaungesprächen bis hin zu Familienfeiern. Aus den Schilderungen konkreter Begegnungen mit rechtspopulistischen Aussagen erarbeiten die Teilnehmenden in Kleingruppen Gegenstrategien, die anschließend im Plenum diskutiert, eingeordnet und ins Verhältnis gesetzt werden. Sie bauen sich damit ein eigenes und für sie persönlich passendes Portfolio unterschiedlicher Handlungsstrategien auf. Jede Strategie wird mit ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen vorgestellt und kritisch reflektiert. So kann beispielsweise gezieltes Nachfragen Zweifel an unreflektiert übernommenen Thesen säen und zum eigenen Nachdenken anregen. Klar ist auch: Jede Frage bietet dem Gegenüber die Chance, rechtsextremes Gedankengut weiter auszuführen oder gar Verschwörungserzählungen zu verbreiten.
Ignorieren, widersprechen, argumentieren
In der Regel bilden die Analyse des Kontextes einer Aussage und die Betrachtung möglicher Motivationen eine solide Entscheidungsgrundlage zwischen drei grundsätzlichen, häufig miteinander verschränkten Handlungsoptionen: ignorieren, widersprechen und argumentieren. Würde man eine wilde Pöbelei im Bus womöglich schon aus Eigenschutz ignorieren und lädt eine provokative, diskriminierende Aussage unter Kolleginnen und Kollegen zum klaren Widerspruch ein, so scheint bei fragwürdigen Aussagen in Katechese, Bildungsarbeit oder im Familienkreis der Anlass für eine tiefere inhaltliche Auseinandersetzung gegeben zu sein. Vielfach wird deutlich, dass allein der Einstieg in ein Gespräch, welches den Austausch unterschiedlicher Perspektiven und Argumente erlaubt, eine Herausforderung darstellt.
Die Teilnehmer:innen schärfen in den Argumentationstrainings ihre Wahrnehmung dafür, dass schon die Unterbrechung eines rassistischen, antisemitischen oder rechtsextremen Diskurses durch einen Widerspruch oder einen Themenwechsel ein Erfolg sein kann, da allen Beteiligten - vor allem indifferenten Dritten - deutlich gemacht wird, dass solche Äußerungen nicht "normal" sind und ihre weitere Verbreitung so verhindert wird. Dabei ist der Widerspruch eines engagierten Laien gegenüber einem Pfarrer, der sich rassistisch geäußert hat, anders gelagert als der Umgang mit einer antisemitischen Äußerung im Rahmen eines Beratungsgesprächs in einem Caritas-Familienzentrum. Vorhandene Hierarchien, die Gesprächssituationen gewollt und ungewollt immer prägen, und der Grad der persönlichen Beziehungen zwischen den Gesprächsteilnehmenden haben großen Einfluss auf die Wahl der Argumentationsstrategien.
Ein Grundverständnis für das System Kirche mit seinen Ehrenamtlichen und für die Herausforderungen der Hauptberuflichen in der sozialen Arbeit ist eine wesentliche Voraussetzung, um die Inhalte zielgruppenspezifisch aufarbeiten zu können. Entsprechende Kenntnisse der Workshop-Leitung erleichtern den Zugang zur Lebenswirklichkeit der Teilnehmenden und helfen bei der Analyse ähnlich gelagerter Fallbeispiele. Die gemeinsame Überzeugung von einer unveräußerlichen Würde jedes Menschen, welche sich für Christ:innen aus der Gottebenbildlichkeit des Menschen herleitet, bietet zudem eine solide Argumentationsgrundlage, um menschenfeindlichen Äußerungen entgegenzutreten.
Teilnehmende erleben Bestärkung
In den Auswertungsrunden der Workshops betonen Teilnehmende regelmäßig, dass sie das Veranstaltungsformat unabhängig von möglichen Wissenszuwächsen als persönliche Bestärkung wahrnehmen. Das Zusammentreffen mit Menschen innerhalb von Kirche und Caritas, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen und sich ihnen stellen wollen, ist ein Wert an sich. Dieses Empowerment ist wichtig, gerade wenn sich Menschen in der eigenen Gemeinde oder in der Einrichtung wie Einzelkämpfer:innen fühlen. Persönliche Vorstellungsrunden, das Einbringen eigener Erfahrungen und das Vorstellen selbst erlebter Situation bieten für die Teilnehmenden gute Gesprächsanlässe neben dem eigentlichen Seminarprogramm. Sie können den Startpunkt für eine Vernetzung und einen vertieften persönlichen Austausch geben.
Argumentationstrainings gegen menschenfeindliche und rechtspopulistische Aussagen haben dann einen Mehrwert, wenn sie einen gemeinsamen Sprung ins kalte Wasser erlauben, Raum fürs Ausprobieren, konkrete Strategien und Ideen mit auf den Weg geben und helfen, die individuelle Handlungsfähigkeit zu stärken: "Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt." (1 Petr 3,15)
Friedensratgeber und Friedensgenerator
Für jeden, der für Frieden einstehen will
"Unfriede herrscht auf der Erde", so lautet eine Zeile aus einem bekannten Kirchenlied. Was kann ich aber tun, um Frieden zu stiften - bei Konflikten in der Familie, im Freundeskreis oder wenn mir Hass und Vorurteile im Alltag begegnen? Antwort darauf gibt der "Friedensratgeber" zur aktuellen Caritas-Kampagne. Hier wurden Tipps und Anregungen von Caritas-Kolleg:innen unter anderem aus der Familienberatung, Hospizarbeit, Flüchtlings-, Sucht- und Wohnungslosenhilfe für den Umgang in besonderen Situationen gesammelt. Der Friedensratgeber kann für 80 Cent im CariKauf bestellt werden: www.carikauf.de/friedensratgeber
Wer auch digital für den Frieden einstehen möchte, kann dies mit dem Friedensgenerator tun. Auf der Kampagnenseite der Caritas kann das eigene Foto hochgeladen, mit einem der vier Designs versehen und dann auf der Website und/oder in den sozialen Medien geteilt werden. Auswählbar sind die Sätze "Frieden beginnt bei mir" (s. Foto) und "Frieden beginnt bei deiner Stimme". Letzterer verweist auf die Bedeutung von demokratischen Wahlen, die in diesem Jahr noch in mehreren Bundesländern anstehen.
Teresa Wieland, Referentin Kampagne, DCV, Berlin