„Geschützte Räume für queere Geflüchtete sind unerlässlich“
Innerhalb der Asylverfahrensberatung (AVB) gibt es spezialisierte Rechtsberatungsstellen für besonders schutzbedürftige Geflüchtete. Um einen Einblick in ihre Arbeit zu erhalten, sprach Michelle Hübner vom DCV-Referat Migration und Integration mit Stephan Jäkel, Abteilungsleiter Flucht bei der Schwulenberatung Berlin.
Herr Jäkel, warum braucht es eine besondere Beratungsform für queere Geflüchtete - und wie schaffen Sie ihnen Zugänge?
Queere Menschen beziehungsweise LSBTIQ* sind nicht ausschließlich vor (Bürger-)Krieg geflüchtet, sondern haben oftmals jahrelange Diskriminierung, Verfolgung und Kriminalisierung durch Nachbarschaft, Gesellschaft und Behörden in ihrem Herkunftsland hinter sich - einfach, weil sie sind, wie sie sind. Dabei konnten viele auch Angehörigen nicht vertrauen. Dies kann vielfältig traumatisieren. Hier im Asylverfahren sind sie nun gefordert, genau diese Erfahrungen - auf Knopfdruck - schlüssig zu präsentieren. Dafür ist es notwendig, dass sie einen geschützten Raum sowie professionelle Unterstützung vorfinden, die sowohl in der AVB erfahren ist als auch in queeren Lebensweisen. Das Herzstück unserer Beratung ist daher zweimal die Woche unsere niedrigschwellige Anlaufstelle "Café kuchus", die schon von insgesamt 2500 verschiedenen queeren Geflüchteten aufgesucht wurde. Zudem arbeiten bei uns auch psychologische Psychotherapeut:innen, Volljurist:innen in der Aufenthalts- und Migrationsrechtsberatung sowie Sozialarbeiter:innen in der psychosozialen Beratung. Wir sind bei queeren Geflüchteten sehr bekannt, viele haben uns gegoogelt oder durch Freund:innen oder in ihrer Unterkunft von uns gehört. Sie wenden sich an uns über soziale Medien und E-Mails oder kommen direkt in unsere Anlaufstelle. Dann vermitteln wir sie an unsere AVB-Berater:innen, die bei Bedarf LSBTIQ*-sensible Sprachmittler:innen hinzuziehen.
Wie erleben Schutzsuchende das Asylverfahren?
Es beginnt mit ihrer sehr belastenden bundeslandübergreifenden Verteilung (EASY-Verteilung). Für queere Menschen ist es aber unerlässlich, dass sie Zugang zu ihren Communitys haben - dies ist in ländlichen Regionen nicht möglich. Danach steht bald die Anhörung im Asylverfahren an. Nicht wenige haben den Eindruck, dort ihre sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität beweisen zu müssen, doch darf es tatsächlich nur um das Glaubhaftmachen ihrer Verfolgungsgeschichte gehen. Wir erleben klischeehafte und stereotype Befragungen während des Asylverfahrens und auch Diskriminierungen. "Waren Sie in Ihrer Heimat schon einmal auf dem Christopher Street Day (CSD)?" ist eine vermeintlich harmlose Frage. Sie berücksichtigt nicht, dass die Demos nur in Deutschland "CSD" heißen (sonst: "Pride"), so dass der Sinn der Frage gar nicht verstanden werden kann.
Auch die langen Wartezeiten zwischen Ankunft, Befragung, Entscheidung und gegebenenfalls Klage belasten immens, weil die Entscheidung über ihre Glaubwürdigkeit die Identität der queeren Geflüchteten eben sehr betrifft. Ein Kampf, den sie oft schon seit der Pubertät führen.
Was hat sich seit der laufenden Einführung des Bundesprogramms der behördenunabhängigen AVB bei Ihnen geändert?
Wir haben die AVB für queere Geflüchtete schon seit 2016 dank einer Landesförderung angeboten. Dort haben wir Volljurist:innen beschäftigen dürfen, dies wurde sogar als Qualitätsmerkmal gewürdigt. Im Bundesprogramm ist die Eingruppierung nun aber auf Sozialarbeitende limitiert. Wir mussten also erst mal neue Berater:innen suchen und einarbeiten - eine ineffektive Maßnahme. Dass es Ende 2023 immer noch keine Zuwendungsbescheide gab und die Standorte auf eigenes Risiko tätig sind, ist eigentlich untragbar. Die Not der Geflüchteten ist so groß, dass jetzt geholfen werden muss. Doch die öffentliche Diskussion über Migration und Flucht ist derzeit durch einen Überbietungswettbewerb an restriktiven Maßnahmen geprägt. Das verunsichert Geflüchtete und uns Beratende sehr. Trotz aller Belastungen sollte das Augenmerk auf Rechtsstaatlichkeit und Humanität liegen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft mit Blick auf die Weiterentwicklung der AVB für besonders vulnerable Menschen?
Wir benötigen langfristige Planungssicherheit und ein flächendeckendes Beratungsangebot im ländlichen wie im städtischen Raum. Dafür wird mehr Geld nötig sein. Und von neuen AVB-Standorten wünsche ich mir: Wenn Sie AVB für queere Menschen anbieten, aber keiner queeren Organisation angehören: Vernetzen Sie sich mit einer in Ihrer Region!