Bahnhofsmissionen sind unverzichtbar
Wie viele andere Bereiche der kirchlichen sozialen Arbeit sehen sich auch die Bahnhofsmissionen schwindenden finanziellen Handlungsspielräumen ihrer Träger gegenüber. Die folgenden Überlegungen zeigen die wesentlichen Ergebnisse eines Rechtsgutachtens auf, das der Verfasser dieses Beitrags für das Diakonische Werk Bayern e. V. vorgelegt hat.1
Grundsätzlich gilt im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis zwischen öffentlichem Leistungsträger, anspruchsberechtigter Person und Leistungserbringer (freiem Träger): Es besteht regelmäßig kein Rechtsanspruch eines freien Trägers gegenüber dem Leistungsträger auf eine bestimmte Aufgabenübertragung und die damit verbundene Finanzausstattung. Vielmehr liegt es grundsätzlich im Ermessen der öffentlichen Träger, mit welchen freien Trägern sie Vereinbarungen über ein Tätigwerden treffen oder welche sie in eine Förderung einbeziehen.
Argumente für einen Förderanspruch des freien Trägers
Denkbar ist aber eine Bindung dieses Finanzierungsermessens - bis hin zur "Ermessensreduzierung auf null". Das bedeutet, dass sich die Gewährung der Finanzmittel im konkreten Fall als einzige rechtmäßige Handlungsoption zeigt. Im Ergebnis steht die Wirkung einer derartigen Einschränkung des Ermessens einem Rechtsanspruch auf finanzielle Unterstützung gleich.2
Maßgebliche Argumente für eine Begrenzung des Finanzierungsermessens der öffentlichen Träger lassen sich insbesondere in der Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung3 gewinnen:
◆ eine gebotene Gleichbehandlung mit anderen freien Trägern, denen der öffentliche Träger bei vergleichbarem Leistungsangebot eine finanzielle Zuwendung gewährt;
◆ die konkrete Bestandsgefährdung einer Einrichtung oder eines Dienstes des freien Trägers, die zur Aufrechterhaltung eines - insbesondere für Pluralität und Wahlfreiheit der Leistungsberechtigten - erforderlichen Angebots im Zuständigkeitsbereich des Leistungsträgers notwendig ist;
◆ eine rechtsmissbräuchliche Verweigerung der Finanzierung trotz Nutzung des Leistungsangebots des freien Trägers durch den öffentlichen Leistungsträger.
Die nähere Prüfung verdeutlicht, dass die Bahnhofsmissionen mit der Breite ihres angestammten Leistungsangebots sozialer Hilfen in vielfältiger Weise Regelleistungen des Systems der sozialen Sicherung
◆ selbst erbringen,
◆ Berechtigten den Zugang zu ihnen ermöglichen
◆ oder hierbei zumindest im Umfeld und in Ergänzung des Sicherstellungsauftrags der öffentlichen Leistungsträger tätig werden.
Das Gutachten arbeitet für das Leistungsspektrum der Bahnhofsmissionen insbesondere den Bezug heraus zu
1) Beratungs- und Unterstützungsangeboten
◆ der allgemeinen Beratungspflicht der öffentlichen Leistungsträger nach § 14 SGB I
◆ der Sozialberatung nach § 11 SGB XII
◆ der kommunalen Eingliederungsberatung nach § 16 a SGB II
◆ der Beratung und Unterstützung von Menschen mit Behinderung durch den Eingliederungshilfeträger nach § 106 SGB IX
◆ den Beratungs- und Unterstützungsansprüchen von Kindern und Jugendlichen (insbesondere § 10 a; § 8 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII);
◆ der Information zu sozialrechtlichen Ansprüchen für Ausländerinnen und Ausländer nach § 23 Abs. 3 Satz 4 SGB XII;
2) Leistungen der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach §§ 67 ff. SGB XII;
3) Leistungen für junge Volljährige nach §§ 41, 41 a SGB VIII
4) Assistenzleistungen der Eingliederungshilfe gemäß § 113 Abs. 2 Nr. 2 mit § 78 SGB IX;
5) Überbrückungshilfen der Sozialhilfe für Ausländerinnen und Ausländer nach § 23 Abs. 3 SGB XII.
Es zeigt sich, dass die Bahnhofsmissionen im Rechtskreis der kreisfreien Städte und Landkreise als
◆ örtliche Träger der Sozialhilfe nach dem SGB XII;
◆ Träger der kommunalen Eingliederungsleistungen des SGB II;
◆ örtliche Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe tätig werden.
Darüber hinaus lässt sich mit dem Erbringen von Assistenzleistungen zur sozialen Teilhabe im Freistaat Bayern4 eine Zuständigkeit der Bezirke begründen als Träger der Eingliederungshilfe sowie als überörtlicher Träger der Sozialhilfe, wenn Leistungen nach §§ 67 ff. SGB XII (teil)stationär erbracht werden, zum Beispiel hinsichtlich des Tagesaufenthalts.
Denkbare Finanzierungsstrukturen
Die Analyse der gesetzlich für die tangierten Regelleistungen vorgesehenen Finanzierungsformen zeigt auf, wie die öffentlichen Leistungsträger die Leistungserbringung der Bahnhofsmissionen im Bereich sozialer Hilfen angemessen finanziell absichern könnten:
◆ In erster Linie ist an den Abschluss von Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen5 zu denken.
◆ Insbesondere in Bezug auf die wesentlichen Beratungsangebote der Standorte der Bahnhofsmissionen ist auch eine pauschale Abgeltung der Leistungen denkbar. Eine Pauschalfinanzierung kann wiederum auf vertraglicher Grundlage oder auch in zuwendungsrechtlicher Ausgestaltung als "Förderung" erfolgen.
1. Beyer, T.: Rechtliche Grundlagen eines Finanzierungsportfolios für die soziale Aufgabenerfüllung der Bahnhofsmissionen in Bayern. 2023, 100 Seiten. Im Rahmen der Arge der kirchlichen Bahnhofsmissionen in Bayern wurde die Erstellung des Gutachtens durch IN VIA Bayern e. V. begleitet. Der vorliegende Beitrag zeigt ausgewählte Ergebnisse auf; auf den wissenschaftlichen Apparat des Gutachtens wird verwiesen. Bitte wenden Sie sich bei Interesse an den Autor.
2. BVerwGE 134, 206, 209.
3. Vgl. hier nur BayVGH vom 23.10.2013, BeckRS 2013, 57497, Rdnr. 28 f.
4. Art. 66 d Abs. 1 Satz 1; 80 Abs. 1 Satz 1; 82 BayAGSG.
5. §§ 75 ff. SGB XII; § 17 Abs. 2 SGB II; §§ 123 ff. SGB IX; §§ 78 a ff. SGB VIII. Die Praxis kennt erste Verträge.