Familien mit all ihren bunten Talenten wertschätzen
Ich habe mich gewundert, dass ausgerechnet die katholische Kirche ein solches Beratungsangebot für queere Menschen hat. Das finde ich richtig gut!" Diese Bemerkung fällt oft, wenn Menschen in die Beratung für queeres Familienleben des Diözesan-Caritasverbandes Hamburg kommen. Das Projekt ging im Jahr 2019 an den Start, gefördert von der Hamburger Sozialbehörde. Mitten in der Stadt, im bunten Stadtteil St. Georg, in dem queeres Leben sehr sichtbar ist, befindet sich die Beratungsstelle. Die Fallzahlen steigen seit Beginn stetig. Die Angebote richten sich an
◆ Eltern und andere Erziehungsberechtigte junger Menschen, die sich den LGBTIQ+ Communities zugehörig fühlen oder die ein Kind haben, das sich trans* oder non-binär fühlt/überlegt, ob es trans* oder non-binär sein könnte. Außerdem an Eltern mit intergeschlechtlich geborenen Kindern und deren Geschwister.
◆ Kinder, Jugendliche und junge Menschen (im Altern von null bis 21 Jahren), die den beschriebenen Communitys angehören und die mit besonderen Problemsituationen und/oder Verhaltensauffälligkeiten wie emotionalen Problemen und Beziehungsstörungen zum Beispiel Ängsten, Kontaktproblemen, Konzentrations- und Leistungsstörungen, psychosomatischen Störungen, Störungen des Sozialverhaltens sowie Probleme durch Ausgrenzung oder Mobbing belastet sind.
◆ Pädagogisches Fachpersonal aus Kitas und anderen Institutionen, die sich über Akzeptanz von Vielfalt und/oder Familien im Kontext von LSBTIQ+ mit Hilfe von Workshops fortbilden wollen.
Die Angebote sind darauf ausgerichtet, die Erziehungskompetenzen von Eltern und anderen Erziehungsberechtigten zum Wohl der Kinder, Jugendlichen und jungen Menschen zu stärken und die Mitglieder von Familiensystemen möglichst zu einer selbstständigen Lösung familienbezogener Probleme zu befähigen. Jungen Menschen in besonderen Problemlagen, die durch die Zugehörigkeit zu den oben genannten Gruppen entstanden sind, soll Hilfe zur Problembewältigung und Stabilisierung geboten werden.
Zeigen, dass queere Menschen willkommen sind
Mit den Multiplikator:innenschulungen von pädagogischem Fachpersonal geht die Hoffnung einher, die Akzeptanz von Vielfalt zu fördern. Dabei ist die Entwicklung vorurteilsbewusster Haltungen und eine Sensibilisierung der Pädagog:innen für Familien im Kontext von LSBTIQ+ wichtig. Beispielsweise wird mit den Teilnehmenden der Schulungen überlegt, wie nach außen gezeigt werden kann, dass queere Menschen willkommen sind. Oder wie man damit umgeht, dass sich Kolleg:innen als trans* geoutet haben.
Es wird von unseren Klient:innen als durchaus positives Signal gewertet, dass es dieses Beratungsangebot der Caritas im Norden speziell für queere Menschen in Hamburg gibt. Oft sind dies Menschen, die sich in der katholischen Kirche nicht willkommen fühlen und den Eindruck haben, dort keinen Platz oder keinen Platz mehr zu haben. Es sind Menschen und Familien, die sich aufgrund der Tatsache, dass sie gleichgeschlechtlich lieben, als nicht erwünscht und nicht als Teil der Gemeinschaft erleben. Und auch solche, die nicht katholisch sind und die manche Signale der Amtskirche als diskriminierend und queerfeindlich wahrnehmen. Ihnen fehlt oft die Hoffnung auf Veränderungen.
Insbesondere durch die Initiative #Outinchurch ist in den Blick der Öffentlichkeit gerückt, dass es viele Menschen in der katholischen Kirche gibt, die für Veränderungen kämpfen und bestimmte diskriminierungsbegünstigende Faktoren nicht mehr länger hinnehmen wollen. Die kirchliche Grundordnung wurde geändert, so dass die individuelle Lebensführung kein Problem mehr in kirchlichen Arbeitsverhältnissen sein kann. Ein echter Kulturwandel ist aber noch nicht ausreichend vollzogen. Beispielsweise sind trotz eines Beschlusses des Synodalen Weges für Segensfeiern für wiederverheiratete und gleichgeschlechtlich liebende Paare diese in vielen Bistümern noch nicht verfügbar.
Herausfordernde Konfrontation mit Haltungen der Amtskirche
Sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität sind weder an soziale Herkunft noch an Alter oder an religiöse Zugehörigkeit gebunden. Auch wenn in vielen Punkten rechtliche Gleichstellung und gesellschaftspolitische Veränderung stattgefunden haben, bedeutet offen queer zu leben, sich im Alltag immer wieder erklären zu müssen, Diskriminierungen ausgesetzt zu sein und teilweise auch mit einem erhöhten Risiko leben zu müssen, Opfer homofeindlicher oder/und trans*feindlicher Übergriffe zu werden.
In einem Projekt für queere Menschen zu arbeiten, das bei der Caritas angesiedelt ist, bringt Herausforderungen mit sich. Etwa dann, wenn man mit Haltungen und Aussagen von Vertretern der katholischen Amtskirche konfrontiert wird, die im Widerspruch zu der akzeptierenden und wertschätzenden Haltung in der Beratungsstelle queeren Menschen gegenüber stehen. Es gibt auch Rückmeldungen von Ratsuchenden, dass sie aus persönlicher Überzeugung, aufgrund von Verletzungserfahrungen oder aus anderen individuellen Gründen für sich ausschließen, das Angebot in katholischer Trägerschaft in Anspruch zu nehmen.
Die Beratungsstelle wird auch mit der Frage konfrontiert, warum queere Familien sich nicht an herkömmliche Angebote wie etwa Erziehungsberatungsstellen wenden. Fakt ist, dass viele queere Familien das tun. Andere bevorzugen spezielle Angebote, weil sie ihren Lebensentwurf nicht zum wiederholten Male erklären möchten und/oder sich Fachwissen etwa über rechtliche Regelungen für queere Familien erhoffen.
In den Beratungen wird versucht, den Menschen und die Familien als Geschöpfe Gottes wahrzunehmen und wertzuschätzen, so wie sie sind, wie sie lieben und wie sie denken - mit all ihren bunten Talenten, Ressourcen und Fähigkeiten, unabhängig von sexueller oder geschlechtlicher Identität, Herkunft, Religion und anderen Unterscheidungskriterien.