Kein Entweder-oder
Mit Spannung wurde die Antwort des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) in Erfurt auf die Grundsatzfrage zum Streikrecht beziehungsweise -verbot in kirchlichen Einrichtungen erwartet. Zwar ging es in den aktuellen Verfahren um ganz konkrete Einzelfälle aus der Diakonie, doch tatsächlich stand auch das Prinzip des Dritten Weges auf dem Prüfstand. Streik und Aussperrung vertragen sich nicht mit dem Ziel von konsensualen Entscheidungen in paritätisch besetzten Kommissionen.
Dieser grundsätzlichen Bedeutung des Verfahrens entsprachen auch die Erwartungen der beiden Parteien: Die Kirchen erwarteten eine Bestätigung ihres Selbstbestimmungsrechtes in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten. Die Gewerkschaft Verdi hatte zum Ziel, über die Zulassung von Streiks in kirchlichen Einrichtungen das gesamte System des Dritten Weges als Verfahren der Festlegung kollektiver Regelungen des Arbeitsrechtes infrage zu stellen.
In seiner Urteilsfindung hat das BAG am 20. November darauf abgestellt, dass bei der Frage des Streiks zwei Grundrechte in Konkurrenz zueinander stehen: auf der einen Seite die Koalitionsfreiheit nach Artikel 9 Absatz 3 GG, die auch das Betätigungsrecht der Gewerkschaften, den Abschluss von Tarifverträgen und den Einsatz von Arbeitskampfmaßnahmen absichert; auf der anderen Seite das Recht der Kirchen nach Artikel 140 GG, die eigenen Angelegenheiten eigenständig zu ordnen. Das schließt den Dritten Weg mit der Arbeitsrechtlichen Kommission (AK) ein. Nach BAG-Auffassung darf es bei der "Grundrechtskollision" nicht nur ein "Entweder-oder" geben. Es ist ein "schonender Ausgleich" zwischen den Grundrechten anzustreben. Konkret bedeutet das für das Gericht, dass auf dem Dritten Weg Gewerkschaften nicht zu einem Streik aufrufen dürfen, wenn durch die AK tatsächlich verbindliche Mindestarbeitsregelungen festgelegt werden und soweit Gewerkschaften in dieses Verfahren eingebunden sind. Im Klartext: wenn das System des Dritten Weges zuverlässig und verbindlich funktioniert.
Zwar steht die schriftliche Begründung noch aus, doch ist das Urteil eine starke Bestätigung der Rechtmäßigkeit des Dritten Weges. Gleichzeitig hat das Gericht am konkreten Einzelfall deutlich gemacht, wie ernst die Voraussetzungen des Dritten Weges gemeint sind: Auch bei grundsätzlichem Streikverbot auf dem Dritten Weg ist ein Streik in kirchlichen Einrichtungen dann möglich und zulässig, wenn der Dienstgeber - wie im verhandelten Fall - einseitig zwischen unterschiedlichen Arbeitsrechtsregelungen des Dritten Weges auswählen kann. Damit bestätigt das Urteil die Position der Caritas, die Verbindlichkeit der AVR immer wieder zu stärken und - durch die Änderung der Grundordnung des Kirchlichen Dienstes derzeit angestrebt - die Zugehörigkeit zum System des Dritten Weges abschließend zu klären.
Ob einzelne Regelungen des Urteils eine Weiterentwicklung oder Veränderung der AK-Ordnung erforderlich machen, ist erst anhand der schriftlichen Urteilsbegründung zu klären.