Nicht für jeden Beratungsaspekt gibt es einen Messwert
Seit einigen Jahren werden in Schleswig-Holstein - wie mittlerweile auch auf Bundesebene - Controllingverfahren in der Migrationsberatung angewandt. Ziel ist es, Aussagen darüber zu gewinnen, welche Wirkung diese Angebote bei den Klient(inn)en erzielen, und gleichzeitig die Förderung dieser Dienste zu rechtfertigen.
Das Thema Wirkung von Beratungsarbeit ist bei der Caritas nicht neu. Der Anspruch, diese deutlich zu machen, ist Bestandteil des "Qualitätsrahmenhandbuchs für den Migrationsdienst der Caritas": "Der Migrationsdienst schafft positiv wirkende Bedingungen für die Integration von Fremden, befähigt Migrant(inn)en zur Wahrnehmung von Integrationschancen, stärkt ihre Selbsthilfekräfte, Eigenverantwortlichkeit und Organisationsfähigkeit und wirkt auf die interkulturelle Öffnung und Vernetzung sozialer Hilfeangebote für Migrant(inn)en hin."1
Das Controllingkonzept macht Beratung transparent
Mit dem Controllingkonzept des Landes Schleswig-Holstein wurde ein Messinstrument vorgelegt, mit dem die Wirkung der Migrationssozialberatung anhand klar definierter Kennzahlen festgestellt werden soll. Dazu heißt es: "Sinn des Controllingkonzeptes ist es, Wirkung und Erfolge der Migrationssozialberatung transparent zu machen. Die explizite Darstellung und Messung der erwünschten Ergebnisse und Wirkungen soll die Zielrichtung der Migrationssozialberatung schärfen und so zu noch besseren Leistungen der Beratungsstellen für zugewanderte Menschen führen. Außerdem sollen die Ergebnisse des Controllings dazu beitragen, Stärken und Schwächen im Zusammenspiel der zuständigen Akteure zu identifizieren und gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Integration von Migrantinnen und Migranten anzuregen."2
Wirkung Sozialer Arbeit lässt sich beschreiben als Veränderung eines Zustands, als Resultat eines Prozesses oder einer Handlung mit einem kausalen Zusammenhang zwischen Anfang, Einflussfaktoren und Ergebnis. Zur Messung der Wirkung werden Kennzahlen definiert und erhoben, die eine Überprüfung der Veränderung nachweisen.3
Betrachtet man das vorliegende Controllingkonzept, so fallen eine Reihe von Faktoren auf, die diesem Anspruch nicht genügen. Das Konzept beschränkt sich auf gut und leicht feststellbare Variablen. Teilweise werden Sachverhalte gemessen, die nicht direkt durch die Sozialberatung beeinflussbar sind: So ist zum Beispiel der erfolgreiche Abschluss eines Sprachkurses ein Kriterium, das von 60 Prozent der Sprachkursteilnehmenden erwartet wird, auch wenn die Migrationsberatung keinen Einfluss auf die Kurse und die effiziente Teilnahme daran hat. Oder Sachverhalte, die nicht eindeutig feststellbar sind: So kann zum Beispiel die Teilnahme an Elternaktivitäten nur erfragt werden. Andere Beratungsaspekte wie Unterstützung bei der persönlichen Stabilisierung, die vielleicht für eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt wichtiger sein kann als die Nutzung von Informationen der Beratungsstelle durch die Arge, sind nicht Gegenstand des Controllings, weil keine passende Zielgröße in Form eines Messwertes festgelegt werden konnte.
Wirkung Sozialer Arbeit rein quantitativ dargestellt
In einer Positionierung zur Wirkungsmessung Sozialer Arbeit des Diakonischen Werks Hamburg heißt es: "Wirkungsorientierte Steuerungsmodelle setzen einseitig auf rein quantitativ mit Kennzahlen zu beschreibende Teile der sozialen Arbeit. Sie vernachlässigen die qualitativen Aspekte. Mittels quantifizierender Kennzahlen lässt sich die Wirklichkeit jedoch nur begrenzt und unzureichend einfangen."4
Hier wird ein Dilemma der aktuellen Wirkungsdiskussion deutlich: Einerseits werden sehr individuell zugeschnittene und leicht messbare Indikatoren zur Beurteilung einer sozialen Leistung aufgestellt - auch wenn betont wird, dass damit nicht das ganze Spektrum dieser Leistung gemessen werden kann. Andererseits liegen keine Alternativen seitens der Wohlfahrtsverbände vor, die zum einen die nicht gemessenen Arbeitsanteile entsprechend nachvollziehbar darstellen und zum anderen der Komplexität von Beratungsprozessen und möglicher Wirkung gerecht werden. Erschwert wird das Ganze dadurch, dass eine angemessene Bewertung der Wirkung sozialer Beratungsarbeit nicht ohne genaue Darstellung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (zum Beispiel lokale Arbeitsmarktsituation, örtliche Wohnsituation, Versorgungsdichte sozialer Angebote, sozialräumliche Angebote und Initiativen) interpretiert werden kann und Wirkungen oft erst mit einiger Verspätung realistisch gesehen werden können.
Oft lässt sich zudem die Wirkung Sozialer Arbeit nicht monokausal zuordnen, denn auch Soziale Arbeit mit ganzheitlichem Anspruch kann nicht alle Lebensbereiche unterstützend begleiten. In der Regel sind auch unterschiedliche Akteure beteiligt. In einem Fall kann die erfolgreiche Vermittlung eines Ausbildungsplatzes dazu führen, dass der Jugendliche dadurch eine Perspektive aufbaut, seine Persönlichkeit stabilisiert und ein geregeltes Leben führt, während in einem anderen Fall nach Abschluss der Ausbildung der Betrieb in Konkurs geht und damit die mühsam aufgebaute Perspektive wieder zerplatzt. Es ist zu hinterfragen, ob nicht eine Beratung, die persönlich stabilisiert und die Durchhaltefähigkeit erhöht, angebrachter ist, als einen Ausbildungsplatz mit unsicherer Perspektive zu vermitteln - auch wenn Letzteres einfacher als erfolgreiche Wirkung gemessen werden kann.
Controllingkonzept möglichst reibungslos bedienen
Die Träger der Migrationssozialberatung richten ihr Augenmerk auf ein möglichst reibungsloses Bedienen des Controllingkonzeptes, denn bestimmte Zielwerte zu erreichen ist eine Voraussetzung für die weitere Förderung. Daneben ist es einerseits notwendig, aussagekräftige Alternativen zusammen mit Hochschulen zu entwickeln und andererseits eine offensive Diskussion um den Stellenwert der Migrationssozialberatung als soziale Beratung für Menschen in bestimmten Lebenssituationen zu beschreiben. Daraus müssen Leistungen dieses Dienstes abgeleitet werden, die sich an den Bedarfen der Zielgruppe orientieren und sich nicht nur nach politischen Vorgaben richten.
Von den 420 Klient(inn)en der Migrationssozialberatung der Caritas in Schleswig-Holstein im Jahr 2011
- waren 40 Prozent arbeitslos, 20 Prozent berufstätig, aber zur Hälfte auf zusätzliche staatliche Transferleistungen angewiesen,
- lebten 17 Prozent geschieden oder getrennt, die meisten davon hatten Kinder,
- hatten 50 Prozent existenzielle Nöte, Schwierigkeiten, ihren Lebensunterhalt mit den verfügbaren finanziellen Mitteln zu bestreiten,
- hatten 20 Prozent Beratungsbedarf wegen Krankheit und 17 Prozent wegen psychischer Probleme.
Diese Themen zählen neben Sprachproblemen, Integration in Arbeit und Ausbildung sowie schulischer Förderung zu den Herausforderungen für die Berater(innen). Sie werden nicht im Controllingkonzept abgebildet.
Die Diskussion um Inhalte und Wirkung sozialer Beratung muss neu aufgerollt werden. Erst danach sollten Modelle zu deren Messung entwickelt werden. Die neue caritas wird demnächst dazu ein Themenheft machen.
Anmerkungen
1. Deutscher Caritasverband: Qualitätshandbuch für den Migrationsdienst der Caritas. Freiburg, 2005, S.14.
2. Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein: Wirkung und Erfolge der Migrationssozialberatung. Controllingkonzept, 2007, S. 3.
3. Vgl. Ruflin, Regula: Wirkung und wirkungsorientierte Steuerung in der Sozialen Arbeit, SKOS-Tagung vom 17. Januar 2007; www.skos.ch/store/pdf_d/schwerpunkte/referate/oef_0107/Praesentation_Ruflin.pdf
4. Diakonisches Werk Hamburg: Wirkungsorientierung in der Sozialen Arbeit. Positionspapier vom 4. Dezember 2007, S. 3.