An der Teilhabe krankt es
Zwar sind die Pflegekräfte immer besser qualifiziert, doch bleibt ihnen im Alltag kaum Zeit, über das Allernotwendigste hinaus für ihre Kunden da zu sein.
Nach 20 Jahren sei die Frage erlaubt: Hat die Pflegeversicherung Autonomie, Selbstbestimmung und Teilhabe aller Bürger(innen) verbessert, die auf Unterstützung und – in diesem Fall – auf Pflege angewiesen sind? Dazu müssten die Pflegeversicherung und das dafür entwickelte Unterstützungssystem so beschaffen sein, dass das Wunsch- und Wahlrecht gestärkt wird. Es müsste flexibel und vielfältig sein und pflegebedürftige Menschen und ihr soziales Umfeld zur Beteiligung befähigen.
- Können Betroffene oder ihre Stellvertreter heute bei der Feststellung des Anspruchs auf Unterstützung mit dem Leistungsträger auf Augenhöhe agieren?
- Können sie mit dem, der das Geld bewilligt (und nicht nur mit dem Pflegedienst), über Teilhabeziele und Unterstützungsmaßnahmen verhandeln?
- Sind sie an der Überprüfung und Bewertung der Zielerreichung und Maßnahmen maßgeblich beteiligt?
Das Unterstützungssystem um die Pflegeversicherung herum hat sich eindeutig nicht in diese Richtung entwickelt.
Pflege und Assistenz auf eine neue Grundlage stellen
Unbemerkt von den meisten hat sich im System ein "Maschinenmodell" des Menschen eingenistet. Was gut und richtig für Pflegebedürftige ist, sagen uns die Experten, die dieses System bei Pflegekassen, an Hochschulen und in den Pflegediensten und -einrichtungen hervorgebracht hat. Pflegehandeln wird standardisiert. Die Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Anbietern wird zur großen Errungenschaft erklärt. Allerdings müssen verschiedene Anbieter überhaupt in einer Region vorhanden sein. Und wenn sie es sind, hat das Handeln der Pflegepersonen uniformiert zu sein.
Vor einigen Jahren kamen die Begleitforscher bei einem Modellprojekt zur Erprobung des Persönlichen Pflegebudgets zu dem Schluss, dass diese Form der Pflegeleistung bei fast allen Beteiligten zu mehr selbstbestimmter Teilhabe und hoher Zufriedenheit führt. Die Pflegeexperten der Kassen wie auch Pflegefachleute, die nicht konkret beteiligt waren oder die das Projekt als Konkurrenz empfanden, prangerten den möglichen (!) Missbrauch der Geldleistung an. Die Projektergebnisse verstauben in Akten.
Die Karawane ist weitergezogen. Ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff wird eingeführt. Die Dokumentationspflicht wird im Zuge der Entbürokratisierung überarbeitet. Die Standardisierung wird beides nicht ändern. Nach 20 Jahren brauchen wir nicht "mehr vom Selben", wir brauchen eine andere Grundlage für Assistenz, Unterstützung und Pflege. Wie wäre es, wenn wir die Überlegungen zu einem Bundesteilhabegesetz auch auf pflegebedürftige Menschen ausdehnen?
Dr. Franz Fink leitet das Referat Alter, Pflege, Behinderung im Deutschen Caritasverband