Wir brauchen die Krankenhäuser im ländlichen Raum
Ländliche Räume sind geprägt von geringer Bevölkerungsdichte, geringer Wirtschaftskraft pro Einwohner, längeren Distanzen zu zentralen Dienstleistern und einer schwächeren Infrastruktur, zum Beispiel was den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) betrifft.1 Gerade die Bereitstellung von Dienstleistungen, die persönlich aufgesucht werden müssen (wie etwa Krankenhausbehandlungen), kommt deshalb im ländlichen Raum der Quadratur des Kreises nah: Einerseits müssen viele Standorte entwickelt oder erhalten werden, um eine ortsnahe Versorgung sicherzustellen. Die Krankenhäuser müssten bei geringer Bevölkerungsdichte dem[1]entsprechend klein sein. Andererseits sind die Kosten pro Behandlung umso höher, je geringer die Fallzahl ist. Große (zentrale) Krankenhäuser haben Skalenvorteile und können dieselben Leistungen günstiger erbringen.2 Der Zielkonflikt zwischen Erreichbarkeit und Finanzierbarkeit ist im Gesundheitswesen überall gegeben, aber im ländlichen Raum ist er besonders stark.
Die geringe Fallzahl in den kleineren Einheiten im ländlichen Raum stellt ebenfalls eine Herausforderung für die Qualität der Leistungen dar. Qualität entsteht auch in Medizin und Pflege primär durch Übung, das heißt durch häufiges Wiederholen. Hierbei spielen zwei Effekte eine Rolle: Zum einen steigt die Ergebnisqualität für alle Fälle, wenn die Fallzahl zunimmt. Dieser Effekt ist jedoch begrenzt. Entscheidender dürfte sein, dass eine zunehmende Fallzahl auch dazu führt, dass seltene Komplikationen absolut gesehen häufiger auftreten, diese aber besser gemeistert werden. Dies lässt sich gut für die Entbindungen aufzeigen: Der überwiegende Anteil der Entbindungen wird von einer gut ausgebildeten Hebamme beherrscht, selbst wenn sie nur einmal pro Woche eine Geburt durchführt. Allerdings treten bei einem kleinen Anteil der Entbindungen Komplikationen mit Risiken für Mutter und/oder Kind auf, die auch bei bester Vorbereitung nicht vorher erkenntlich sind. Für diese Risiken stellt die Übung den entscheidenden Faktor dafür dar, ob eine Gefährdung eintritt. Manche Studien gehen davon aus, dass mindestens 700, besser noch 1000 Entbindungen pro Jahr in einem Krankenhaus durchgeführt werden müssen, um auch seltene Risiken für Mutter und Kind routiniert auffangen zu können.3 Diese Zahlen sind in kleineren Krankenhäusern im ländlichen Raum kaum zu erreichen.
Probleme, Personal zu gewinnen
Hinzu kommt noch, dass Krankenhäuser im ländlichen Raum häufig erhebliche Probleme haben, Personal zu gewinnen und zu halten. Fachkräfte suchen primär Arbeitsstandorte, wo auch der:die Partner:in einen Arbeitsplatz findet, wo ein kulturelles und schulisches Angebot (zum Beispiel inklusive oder weiterführende Schulen) vorhanden und eine berufliche und persönliche Weiterentwicklung leichter möglich ist. Der ländliche Raum wird normalerweise nicht mit diesen Attributen assoziiert. Damit sind kleinere Krankenhäuser im ländlichen Raum häufig Problemfälle - nötig zwar, aber doch nicht zu finanzieren; gewünscht, aber aufgrund geringer Fallzahlen qualitativ fraglich; gepriesen oft ob ihrer familiären Atmosphäre ("Die Schwarzwaldklinik"), aber doch insolvenzgefährdet. 4
Was kann man tun?
Es gibt ein Bündel von Maßnahmen, um die notwendigen, aber gefährdeten Krankenhäuser zu erhalten und die Versorgung auf gutem Niveau zu sichern. Hierzu gehören unter anderem:5
◆ Standortplanung: Krankenhäuser sollten gerade im ländlichen Raum möglichst gut zugänglich sein. Sie "gehören" an eine Ausfallstraße und sollten Anschluss an den ÖPNV haben. Es gibt Beispiele für Krankenhäuser, die zwar vor 100 Jahren an einem günstigen Platz gebaut wurden, heute aber für Patient:innen, Mitarbeiter:innen und Besucher:innen nur noch schwer zu erreichen sind. Standortverlagerungen (zum Beispiel bei umfassenden Erweiterungsbauten) sollten diskutiert werden. Vor allem aber sollte die Anbindung an den ÖPNV optimiert werden.
◆ Verbesserung der Logistik: Der Transport von Patient:innen, Mitarbeitenden, Proben, Blutprodukten etc. ist eine zentrale Aufgabe jedes Krankenhauses. Allerdings sind ländliche Krankenhäuser besonders herausgefordert, moderne Logistiksysteme einzusetzen. Hierzu könnten zukünftig auch Drohnen zum Transport von Proben und Blutprodukten gehören.
◆ Telemedizin: Die Telemedizin erlaubt es dem kleinen Krankenhaus, auf die Expert:innen von Zentral- oder Maximalversorgern zuzugreifen und trotzdem ortsnah zu versorgen. Damit können Fachärzt:innen einer bestimmten Spezialisierung (zum Beispiel Pädiater) ersetzt werden. Insbesondere das Telekonsil ist von zunehmender Bedeutung in der Notaufnahme im ländlichen Raum.
◆ Kostensenkung (Prozessoptimierung, Outsourcing): Gerade ländliche Krankenhäuser haben oftmals nicht ausreichend Möglichkeiten, teure Leistungen outzusourcen und kostengünstig einzukaufen. Kreative Lösungsmöglichkeiten der Kooperation mit andere Einrichtungen der Daseinsvorsorge, aber auch der Wirtschaft sollten gesucht werden.
◆ Personalmanagement: Der Personalnotstand in vielen kleinen Krankenhäusern ist nicht nur ein Problem fehlender Bewerberzahlen, sondern auch der geringen Verweildauer im Beruf. Eine systematische Personalerhaltungsplanung ist deshalb zentral für die langfristige Personalsicherung. Eine menschenorientierte Führung sollte motivierend und gewinnend sein und so eine Identifikation mit dem Arbeitsgeber erlauben.
◆ Kooperation: Kleine Krankenhäuser können allein wahrscheinlich nicht überleben, aber im Verbund. Darüber hinaus sollten die Krankenhäuser jeweils mit anderen Leistungsanbietern kooperieren, insbesondere mit den niedergelassenen Ärzt:innen. Dadurch entstehen Funktionszentren im ländlichen Raum, die zwar kein Krankenhaus im traditionellen Sinn mehr sind, für die Bevölkerung aber eine deutlich bessere Versorgung darstellen können als die ursprünglichen sektoralen Solitärbetriebe. Das "Integrierte Gesundheitszentrum" könnte gerade im ländlichen Raum der Standard werden.6
Aus diesen Darstellungen ergibt es sich, dass alle Lösungsversuche vor allem und zuerst im Denken der Entscheidungsträger anfangen: Wir müssen uns lösen vom "Krankenhaus als Bettenburg", wo alle Patient:innen, die es über die bildliche Mauer ins Krankenhaus geschafft haben, bestmöglich behandelt werden, während die Patient:innen außerhalb der Mauer irrelevant sind. Krankenhäuser müssen Regionalverantwortung übernehmen und die Region optimal versorgen.
Ländlicher Raum als Missio Die
Würden wir heute keine Caritas oder Diakonie in Deutschland haben, jedoch ohne Voreingenommenheit unseren Auftrag als Christen prüfen und nach Lösungen suchen, wie wir dem Ruf zur Nächstenliebe gerecht werden können, würden wir mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum ankommen: Hier leben Menschen, um die sich insbesondere die kommerzielle Konkurrenz weniger kümmert. Sie sind regelmäßig ärmer als der Durch[1]schnitt. Und sie haben häufig noch eine stärkere kirchliche Prägung und wünschen sich die Integration der seelsorgerlichen und medizinischen Dimension. Kirchliche Krankenhäuser im ländlichen Raum erfüllen die Sendung der Kirche Christi zu den Schwachen und Vergessenen.
Diese Aussage sollte uns dazu veranlassen, kirchliche Krankenhäuser im ländlichen Raum zu erhalten und zu unterstützen. Dies kann durch Kooperationen größerer städtischer Krankenhäuser mit Häusern im ländlichen Raum erfolgen. Oder auch durch kirchliche Zuschüsse. Vor allem aber sollte die Politik Rahmenbedingungen schaffen, wie die versorgungsrelevanten, kleineren Häuser erhalten werden können, um die Bevölkerung wohnortnah zu versorgen. Dies impliziert nicht, dass jede Abteilung und jede Dienstleistung (zum Beispiel Geburtshilfe) überall erhalten werden sollte, aber eine Grundversorgung wird von der Bevölkerung als unabdingbar eingestuft. Den Menschen im ländlichen Raum durch Integrierte Gesundheitszentren als Weiterentwicklung der kleinen Krankenhäuser zu dienen, könnte ein moderner Ausdruck der Nächstenliebe sein.
Anmerkungen
1. Bernard, J.; Decker, A.; Mikešová, R.; Vojtíšková, K.: Living and dealing with limited opportunities: social disadvantage and coping strategies in rural peripheries. In: Sociální studia/Social Studies 13(2) 2016, S. 29-53.
2. Flessa, S.; Greiner, W.: Grundlagen der Gesundheitsökonomie. Eine Einführung in das wirtschaftliche Denken im Gesundheitswesen. Berlin: Springer, 2013.
3. Pyykönen, A.; Gissler, M.; Jakobsson, M.; Petäjä, J.; Tapper, A.-M.: Determining obstetric patient safety indicators: the differences in neonatal outcome measures between different‐sized delivery units. In: BJOG: An International Journal of Obstetrics & Gynaecology 121(4) 2014, S. 430-437. Karalis, E.; Gissler, M.; Tapper, A.-M.; Ulander, V.-M.: Effect of hospital size and on-call arrangements on intrapartum and early neonatal mortality among low-risk newborns in Finland. In: European Journal of Obstetrics & Gynecology and Reproductive Biology 198 (2016), S. 116-119. Walther, F.; Kuester, D.; Bieber, A.; Malzahn, J.; Rüdiger, M.; Schmitt, J.: Are birth outcomes in low risk birth cohorts related to hospital birth volumes? A systematic review. In: BMC pregnancy and childbirth 21(1) 2021, S. 1-16.
4. Augurzky, B.; Hentschker, C.; Krolop, S.; Pilny, A.; Schmidt, C. M.: Krankenhaus Rating Report 2013. Heidelberg: medhochzwei Verlag, 2013. Augurzky, B.; Krolop, S.; Pilny, A.; Schmidt, C. M.; Wuckel, C.: Krankenhaus Rating Report 2017. Heidelberg: medhochzwei, 2017.
5. Flessa, S.: Kleinere Krankenhäuser im ländlichen Raum. Berlin/Heidelberg: Springer, 2019.
6. Schmid, A.; Hacker, J.; Rinsche, F.; Distler, F.: Intersektorale Gesundheitszentren: Ein innovatives Modell der erweiterten ambulanten Versorgung zur Transformation kleiner ländlicher Krankenhäuser. Berlin: Kassenärztliche Bundesvereinigung, 2018. Sturm, H.; Schmid, A.: Intersektorale Gesundheitszentren (IGZ): Knotenpunkt der integrierten Versorgung. In: kma-Klinik Management aktuell 27(04) 2022, S. 74-77.
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