Stationäre Pflegeeinrichtungen müssen auf Katastrophen vorbereitet sein
Großschadensereignisse und Katastrophen wie die Coronapandemie oder das Hochwasser in Rheinland-Pfalz und NRW im Jahr 2021 haben Einrichtungen der Langzeitpflege vor enorme Herausforderungen gestellt. Sie waren zum Beispiel mit einem erheblichen Ausfall von Personal, von Dienstleistungs- und Infrastrukturen und ungeplanten Evakuierungen konfrontiert. Beim Hochwasser 2021 mussten Menschen mit Pflegebedarf in Notunterkünften zum Teil mehrere Tage auf Feldbetten untergebracht werden, zunächst oft ohne ausreichende professionelle pflegerische Versorgung. Mit Blick auf den Klimawandel und die veränderte Sicherheitslage ist zu befürchten, dass zukünftig Großschadensereignisse eher zu- als abnehmen werden. Aus Einsätzen ist bekannt, dass Pflegeeinrichtungen oft nicht ausreichend auf Krisen und Katastrophen vorbereitet sind und dass sie häufig von einer zeitnahen Unterstützung durch den Katastrophenschutz ausgehen.1 Allerdings können Einsatzkräfte der Feuerwehr, des Technischen Hilfswerks und der Hilfsorganisationen in Großschadenslagen nicht sofort und überall helfen. Sie sind in der Regel auch nicht für die pflegerische Unterstützung von Menschen geschult. Daher sollten sich Einrichtungen der Langzeitpflege auf Krisenereignisse vorbereiten.
Mit dem seit Juli 2021 geltenden Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung wurde im § 113 SGB XI verankert, dass zum einrichtungsinternen Qualitätsmanagement auch flexible Maßnahmen zur Qualitätssicherung in Krisensituationen gehören. Seit dem 1. Juli 2022 sind Einrichtungen der stationären Pflege, seit September 2022 auch Einrichtungen der Tages- und Kurzzeitpflege entsprechend rechtlich verpflichtet, Krisenkonzepte vorzuhalten. Im Vereinbarungstext zu den "Maßstäben und Grundsätzen für die Qualität, die Qualitätssicherung und -darstellung sowie für die Entwicklung eines einrichtungsinternen Qualitätsmanagements nach § 113 SGB XI in der vollstationären Pflege" (kurz MuGs) sind in Kapitel 7 hierzu Vorgaben enthalten.2
Träger müssen Krisenkonzepte vorhalten
Danach sind Träger verpflichtet, in Absprache mit der jeweiligen Gefahrenabwehrbehörde Krisenkonzepte vorzuhalten, in denen Verantwortlichkeiten, innerbetriebliche Maßnahmen und Kommunikationswege festgelegt sind. Zudem wird eine Abstimmung und Zusammenarbeit mit weiteren Akteuren des Gesundheitswesens sowie mit zuständigen Behörden, wie den Gefahrenabwehrbehörden, und sonstigen Organisationen angeführt. Auch die Beschaffung und Bevorratung mit relevanten Sachgütern und Dienstleistungen wird genannt.
Um die Einrichtungen der Langzeitpflege der Freien Wohlfahrtspflege beim Umsetzen der Anforderungen zu unterstützen, hat die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) eine Arbeitsgruppe (AG) "Krisenkonzepte" mit dem Auftrag gebildet, entsprechende Handlungsempfehlungen zu entwickeln. Diese AG hat am 22. September 2022 ihre Arbeit aufgenommen und sich auf eine nicht zu lange, praxisnahe Handlungsempfehlung geeinigt. Diese auf die konkreten Bedingungen vor Ort anzupassen ist sinnvoll.3
Beim Erarbeiten der Handlungsempfehlung wird der aus der Katastrophenforschung bekannte "All-Gefahren-Ansatz" berücksichtigt, der alle Gefahrenarten umfasst. Sich auf alle denkbaren Gefahren vorzubereiten ist zwar nicht möglich und auch nicht sinnvoll, da Risiken regional unterschiedlich verteilt sind, wie zum Beispiel die Hochwassergefahr. Daher existieren mit Blick auf den All-Gefahren-Ansatz auch keine entsprechenden Vorbereitungsempfehlungen des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Entsprechend dem All-Gefahren-
Ansatz empfiehlt es sich jedoch, sich auf mögliche Kaskadeneffekte von Großschadensereignissen vorzubereiten, insbesondere auf Stromausfälle und Evakuierungen. Daher hat die AG Krisenkonzepte bei der Erarbeitung der Handlungsempfehlungen diese beiden möglichen Effekte besonders berücksichtigt.
Stromausfälle können durch Naturereignisse wie Stürme oder Starkschnee oder durch technische Defekte oder Sabotageakte verursacht werden. Länger andauernde, großflächige Stromausfälle sind in Deutschland unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.
Längere Stromausfälle können lebensbedrohlich sein
Welche Auswirkungen ein Stromausfall hat, ist neben seiner Dauer und Reichweite von der Jahreszeit, der Tageszeit und dem Wochentag abhängig. Bei einem Stromausfall im Winter muss zum Beispiel damit gerechnet werden, dass die Einrichtung rasch auskühlt. Erfolgt der Stromausfall an einem Wochentag, können Lieferketten unterbrochen sein. In den ersten acht Stunden nach einem Stromausfall ist in Pflegeeinrichtungen davon auszugehen, dass Kommunikationsnetze und Patientennotrufsysteme ausfallen, keine Versorgung mit Warmwasser mehr möglich ist und es zu Ausfällen in der Küche kommt. Sicherheitstüren und Aufzüge funktionieren nicht mehr. Dauert der Stromausfall länger als acht Stunden, fallen vermutlich die Heizungen, die Toiletten und die Wasserversorgung aus. Längere Stromausfälle können für Bewohner:innen von Pflegeeinrichtungen gesundheitsgefährdende oder gar lebensbedrohliche Folgen haben. Vor allem Bewohner:innen, die strombetriebene medizinische Geräte wie Beatmungsgeräte, Heparin- oder Infusionspumpen brauchen, sind gefährdet.
Können Pflegekräfte Evakuierte begleiten?
Neben Stromausfällen ist es auch sinnvoll, sich auf mögliche Evakuierungen bei Großschadenslagen vorzubereiten. Evakuierungskonzepte sind Teil des Brandschutzkonzeptes. Mit Blick auf Großschadensereignisse unterscheiden sich Evakuierungen jedoch von Evakuierungen aufgrund eines Hausbrandes. Bei einem Großschadensereignis sind viele Organisationen betroffen und Hilfe von außen ist gegebenenfalls nicht sofort möglich, so dass hilfebedürftige Menschen eventuell zunächst durch eigenes Personal in sichere Bereiche gebracht werden müssen. Zudem kann die Lage erheblich länger andauern, so dass eine Evakuierung mit einer längerfristigen anderweitigen Unterbringung der Bewohner:innen gegebenenfalls in einer Notunterkunft erforderlich wird. Wenn möglich, sollten Pflegekräfte die Bewohner:innen dorthin begleiten und bei ihrer pflegerischen Versorgung unterstützen, da die Einsatzkräfte aus dem Katastrophenschutz in den Notunterkünften dies in der Regel nicht leisten können.
Ein Krisenstab und Notfallplan sind erforderlich
Anhand der kurzen Beschreibungen wird ersichtlich, dass bei einer Vorbereitung auf Großschadenslagen oder Katastrophen verschiedene Aspekte zu berücksichtigen sind. Mit Blick auf materielle Dinge sind dies Fragen zur Notfallstromversorgung sowie die Bevorratung von Lebensmitteln, Medikamenten, Pflege-, Hygiene- und sonstigen Materialien. Wichtig ist zudem die interne Krisenkommunikation und -vorbereitung der Mitarbeitenden, die Einrichtung eines intern zu bildenden Krisenstabes sowie ein interner Notfallplan. Es ist zu klären, mit wem Pflegeeinrichtungen sich schon im Alltag vernetzen sollten, um im Falle eines Schadensereignisses für die Kontaktanbahnung keine Zeit zu verlieren und um auf ein mögliches Unterstützungsnetzwerk zurückgreifen zu können. In der im Februar 2023 finalisierten Handlungsempfehlung der AG Krisenkonzepte werden diese Aspekte berücksichtigt.
Die Krisenkonzepte werden aktuell in allen Pflegeeinrichtungen erarbeitet. Die BAGFW unterstützt seitens der Bundesebene mit der genannten Handlungsempfehlung. Jedoch sollte auch Einigkeit darüber bestehen, dass die Katastrophenvorbereitung und -bewältigung nicht allein von den Pflegeeinrichtungen gestemmt werden kann. Um die Versorgung sicherzustellen, bedarf es eines politischen Bekenntnisses einer systemisch verankerten Krisenvorsorge, um ein aus personeller und organisationaler Sicht resilienteres Pflegesystem hervorzubringen. In diesem Zusammenhang muss auch die Frage nach den bisher fehlenden Refinanzierungsmöglichkeiten angesprochen werden. Bisher bestand durch die restriktive Kostenpolitik für stationäre Pflegeeinrichtungen kaum die Möglichkeit, für eintretende Krisenfälle Vorplanungen durchzuführen und entsprechende Vorbereitungen treffen zu können.⁴ Zudem ist dringend zu klären, wer finanziell für die Krisenvorsorge verantwortlich ist. Handelt es sich um eine Aufgabe der Versichertengemeinschaft, die von der sozialen Pflegeversicherung und der Krankenversicherung zu finanzieren ist? Oder ist nicht vielmehr eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe angesprochen, die aus Steuermitteln getragen werden muss?
Als Zwischenbilanz ist festzuhalten, dass der Weg zu einem resilienten Pflegesystem noch lang ist und mit einigen Anstrengungen verbunden sein wird - sowohl seitens der Pflegeeinrichtungen als auch seitens der Politik. Es bedarf einer gemeinsamen Verantwortung im Interesse der pflegebedürftigen Menschen.
Anmerkungen
1. Vgl. Oschmiansky, H.: Katastrophenschutz und Pflege. Wie können zu Hause versorgte pflegebedürftige Menschen in Krisen und Katastrophen besser unterstützt werden? In: Bevölkerungsschutz 2/2020, S. 18-20, Kurzlink: https://bit.ly/3Kakkwu
2. Veröffentlicht am 23. Dezember 2022 im Bundesanzeiger (Kurzlink: https://bit.ly/3KlFB6v).
3. Die Handlungsempfehlung wurde mit Praxismaterialien den Verbänden der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege zur Verfügung gestellt (Download unter: www.bagfw.de, Rubrik Veröffentlichungen, Publikationen).
4. Fehrecke-Harpke, B.; Hener, C.; Molter, K.: Krankheit und Pflegebedürftigkeit hören auch in der Krise nicht auf: Versorgungssicherheit schaffen. In: Der Landkreis, Zeitschrift für Kommunale Selbstverwaltung 3/2022, S. 96 ff.
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