Wertvolle Orte, um anderen zu begegnen und sich zu informieren
Am 24. Februar 2023 hat sich der russische Angriffskrieg auf die Ukraine zum ersten Mal gejährt. Ein Datum, das für einen völkerrechtswidrigen Krieg mitten in Europa und für unermessliches Leid der ukrainischen Bevölkerung steht, das eine Fluchtbewegung von über sieben Millionen Menschen ausgelöst, die Weltordnung erschüttert und zu massiven Preissteigerungen weltweit geführt hat. Ein Ende ist aktuell nicht in Sicht.
Zugleich hat der russische Angriffskrieg eine historische Entscheidung bewirkt. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben unmittelbar nach Ausbruch des Krieges entschieden, die Richtlinie 2001/55/EG (die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie) erstmals anzuwenden. Dies ermöglicht den Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, vorübergehenden Schutz in den Mitgliedstaaten zu erhalten - ohne langwierige Asylverfahren. Auch in der Bevölkerung hat der russische Angriffskrieg eine enorme Solidarität und Unterstützungsbereitschaft bewirkt. Viele Menschen haben Geflüchtete bei sich zu Hause aufgenommen, engagieren sich ehrenamtlich als Dolmetscher:in und unterstützen sie beim Ankommen in der neuen Umgebung. Sachspenden wurden gesammelt und Transporte mit Hilfsgütern an die ukrainische Grenze organisiert. Das überdurchschnittlich hohe finanzielle Spendenaufkommen spiegelt die große Anteilnahme der Bevölkerung wider. Trotz eines Rückgangs des Engagements, wie zu erwarten, bleibt die Unterstützungsbereitschaft vergleichsweise hoch.
Auch die Caritas unterstützt und berät mit ihren Diensten und Einrichtungen die geflohenen Menschen - besonders gefragt sind hier die Migrationsdienste für Jugendliche und Erwachsene, die psychosozialen Zentren sowie Angebote für ehrenamtlich Engagierte. In Einrichtungen der Jugendhilfe, Behindertenhilfe und Altenhilfe werden Menschen mit Pflegebedarfen und Kinder und Jugendliche aus Waisenheimen betreut. Zur Deckung der Mehrbedarfe durch den Zuzug der Menschen aus der Ukraine wurden Sondermittel des Bundes zur Aufstockung der Programme bereitgestellt.
"Caritas4U" - Angebote für Geflüchtete und Ehrenamtliche
Um gezielt auf die spezifischen Bedarfe der geflüchteten Menschen aus der Ukraine reagieren zu können, hat der Deutsche Caritasverband (DCV) das Förderprogramm "Caritas4U" aus Spendenmitteln aufgelegt. Es richtet sich an 31 Diözesan-Caritas- und Bundesfachverbände, die Mittel in Höhe von jeweils 160.000 Euro für den Zeitraum vom 1. Juni 2022 bis 31. Dezember 2023 erhalten können. Die Angebote werden von Orts-Caritasverbänden und örtlichen Fachverbänden umgesetzt und vier Schwerpunkten zugeordnet, bei denen ein hoher Unterstützungsbedarf zu verzeichnen ist: Psychoedukation und psychosoziale Stabilisierung; Unterstützungs- und Lotsenfunktion privat aufgenommener Geflüchteter und deren Gastgeber:innen; Sprachlernangebote und Angebote zur Berufsintegration sowie Maßnahmen zum Empowerment und zur Vernetzung der Geflüchteten.
Aktuell werden bundesweit an 92 Standorten Angebote zur Unterstützung der Geflüchteten aus der Ukraine umgesetzt. Eine Umfrage vom November 2022 gibt Aufschluss über die Aktivitäten, den Umsetzungsstand und Herausforderungen. Es zeigt sich beispielsweise, dass 16 Prozent der Angebote aufgrund von Personalmangel nicht wie geplant beginnen konnten.
Im Bereich der psychosozialen Stabilisierung werden vorwiegend stabilisierende, niedrigschwellige Einzel- und Gruppenangebote für Kinder, Jugendliche und Frauen gemacht und Betroffene an therapeutische oder medizinische Angebote vermittelt. Darüber hinaus werden Unterstützungs- und Qualifizierungsangebote für Ehrenamtliche und Multiplikator:innen umgesetzt, zum Beispiel für Personal in Kitas. Die Rückmeldungen lassen auf hohe psychische Belastungen schließen, die Geflüchtete aufgrund der Situation und insbesondere der familiären Trennungen ausgesetzt sind. Die Angebote wirken stabilisierend auf die Psyche, insbesondere wenn Gespräche auch auf Ukrainisch oder Russisch angeboten werden.
Um auf die gestiegene Relevanz der Unterbringung von Geflüchteten in Privathaushalten zu reagieren, fördert "Caritas4U" den Aufbau von Begleit- und Unterstützungsstrukturen sowohl für die privat untergebrachten Geflüchteten als auch für die Gastgeber:innen. Die Aktivitäten in diesem Bereich umfassen den Aufbau von Anlaufstellen für die Geflüchteten und ihre Gastgeber:innen, um allgemeine Fragen der Unterbringung zu klären, an Fachdienste weiterzuvermitteln sowie Angebote der Verständigung und Konfliktbeilegung, etwa Mediation, zu machen. Die Vernetzung mit den Kommunen und anderen örtlichen Akteuren ist ein wichtiger Baustein, um die private Unterbringung zu stärken und Wohnverhältnisse aufrechtzuerhalten. Die positiven Rückmeldungen der Gastgebenden - eine neue Zielgruppe der Caritas - verdeutlichen die Relevanz dieses Angebots, da viele sich alleingelassen fühlten und mit der Aufnahme der Geflüchteten überfordert waren.
Schlüssel zur Integration: Sprachkurse und Bewerbungstrainings
Als Schlüssel für eine gelingende Integration sind niedrigschwellige Angebote zum Erlernen der deutschen Sprache und zur Berufsintegration ein Teil der "Caritas4U"-Förderung. Die Aktivitäten umfassen den Aufbau von Sprachkursen und -cafés, Angebote der sprachlichen Sozialraumerkundung sowie die Vermittlung an Integrationskurs- und Bildungsträger. An manchen Standorten werden die Angebote mit Kinderbetreuung verknüpft. Im Bereich der Berufsintegration erhalten Geflüchtete individuelle Jobcoachings, Bewerbungstrainings und Beratung zu Anerkennungsverfahren - und lernen potenzielle Arbeitgeber:innen in der Region kennen. Aus den Anmerkungen in der Umfrage ist zu entnehmen, dass die Angebote auch wertvolle Orte für Begegnung und Informationsaustausch darstellen und somit beim Ankommen und der Entwicklung einer Perspektive unterstützen.
Auch die Angebote zum Empowerment und zur Vernetzung setzen auf die Selbsthilfekräfte der Geflüchteten und schaffen Orte der Begegnung. Durch Informationsveranstaltungen, etwa zu Themen wie dem deutschen Gesundheits- oder Bildungssystem, werden Geflüchtete befähigt, selbstständig zu agieren und Entscheidungen zu treffen. Erkundungstouren und Freizeitangebote stärken das Gemeinschaftsgefühl und fördern die Selbstwirksamkeit der Teilnehmenden. In der Umfrage wird deutlich, dass viele Geflüchtete den Austausch und die Begegnungen in der Gemeinschaft sehr schätzen und sie die Sorgen um Angehörige, zumindest kurzzeitig, beiseiteschieben können.
Ein bundesweites Netz, das vor Ort wirkt
Die Ergebnisse der Umfrage spiegeln den Bedarf der Angebote deutlich wider. Die Rückmeldungen zeigen, dass die niedrigschwelligen Angebote einen bedeutenden Unterschied im Leben der Geflüchteten machen. Mit dem "Caritas4U"-Förderprogramm hat die Caritas ein bundesweites Netz für Geflüchtete aus der Ukraine und ihre Unterstützer:innen geschaffen, das an den einzelnen Standorten Wirkung entfaltet und ein Zeichen der Solidarität setzt.
Und dennoch dürfen die Schutzsuchenden aus anderen Ländern nicht in Vergessenheit geraten. Der Aufbau von temporären Angeboten für spezifische Personengruppen ist legitim, solange besondere Bedarfe abgedeckt und Regelstrukturen entlastet werden - so dass mehr Menschen Unterstützung und Beratung erfahren können. Das Ziel für dieses Jahr ist daher, wirksame Angebote, die im Rahmen der Ukrainehilfe entstanden sind, auf eine mögliche Weiterführung und Öffnung für andere Zielgruppen zu prüfen. Auch vor dem Hintergrund steigender Asylbewerberzahlen und der aktuellen Debatte um die Ungleichbehandlung von Geflüchteten ist dies eine zentrale Aufgabe.
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