Caritaswissenschaft – ein Begriff, viele Wege
In der deutschsprachigen Hochschullandschaft gibt es derzeit circa 25.000 Studiengänge. Nur zwei tragen den Namen der Caritas im Titel: Caritaswissenschaft und Ethik an der Universität Freiburg und Caritaswissenschaft und werteorientiertes Management an der Universität Passau. Beide schließen mit dem akademischen Grad des Master of Arts (M. A.) ab.
Die Geschichte der Caritas-Studiengänge reicht weit hinter die europäischen Bologna-Reformen zurück. Das Institut für Caritaswissenschaft an der Universität Freiburg hatte bereits wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg ein viersemestriges Zusatzstudium mit Abschluss Diplom auf den Weg gebracht. Ein eigenständiger Diplomstudiengang startete jedoch erst zu Beginn der 1990er-Jahre. Wenig später unterstützten Freiburger Kolleg:innen die Gründung des Passauer Studiengangs (Wintersemester 1997/1998). Im Laufe der Jahre führten strategische Überlegungen dazu, dass sich zusehends ein eigenständiger Passauer Weg in der Caritaswissenschaft abzeichnete. Nach vielen Gesprächen mit den Personalverantwortlichen und Vorständen der Verbände, Trägerschaften und Einrichtungen im Gesundheits- und Sozialwesen setzte sich die Überzeugung durch, dass ein zeitlich flexibles, berufsbegleitendes Modell zur Qualifikation von künftigen
Führungskräften angestrebt werden soll. Im Jahr 2012 startete die überarbeitete Version des Studiengangs mit den Merkmalen: Masterabschluss, Führungskräfteentwicklung, berufsbegleitend, keine Studiengebühren, kleingruppenorientiert, zugänglich für verschiedene Abschlüsse, Promotionsmöglichkeit.
Führungskräfteentwicklung auf universitärem Niveau
Die Studierenden sollen nun im Master "Caritaswissenschaft und werteorientiertes Management" auf universitärem Niveau jene Kompetenzen erlangen, die sie dazu befähigen, Führungsaufgaben in Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens sowie in Non-Profit-Organisationen zu übernehmen. Die Erfahrungen der letzten zehn Jahre haben gezeigt, dass Beschäftigungsmöglichkeiten auch weit darüber hinaus vorhanden sind. Die Mitglieder des Vereins der Freunde und Förderer des Masterstudiums Caritaswissenschaft an der Universität Passau sammeln und schildern Berufswege, die zeigen, dass viele Absolvent:innen ihre Fähigkeiten inzwischen auch in Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung, des Bildungswesens sowie in mittelständischen Unternehmen einbringen.
Am interdisziplinären Zusammenarbeiten hat sich bis heute nichts geändert: Wer bereits einen geistes-, wirtschafts-, sozial-, rechts- oder humanwissenschaftlichen Hochschulabschluss erworben hat, kann sich für den Studienstart im Wintersemester um einen Platz bewerben. Das Masterstudium lässt sich in vier Semestern absolvieren, eine Verlängerung auf sechs Semester ist möglich. Strukturiert wird der Verlauf durch sechs Modulgruppen: "Caritas theologisch denken", "Ethisch entscheiden und handeln", "Menschen führen und Organisationen entwickeln", "Qualifiziert beraten und Persönlichkeit entwickeln", "Praxis reflektieren" sowie "Caritaswissenschaftlich forschen". Diese Gruppen verteilen sich auf 17 Module, die vom betrieblichen Management und Rechtsgrundlagen über die Anwendung ausgewählter Methoden der empirischen Sozialforschung bis hin zu spiritueller Persönlichkeitsentwicklung reichen. In allen Fächern soll die Nähe zur Praxis erkennbar sein. Dementsprechend werden im Modul "Personzentrierte Gesprächsführung" unter anderem das Konzept nach Carl Rogers und insbesondere Regeln für das Führen von Mitarbeitergesprächen erlernt. Zahlreiche praktische Gesprächsübungen, in denen die Studierenden das eigene Kommunikationsverhalten reflektieren, ihre Empathiefähigkeit verbessern und einen authentischen sowie wertschätzenden Gesprächsstil entwickeln können, vertiefen das theoretisch Gelernte. Die Seminarteilnehmer:innen sollen am Ende in der Lage sein, Beratungs- und Mitarbeitergespräche qualifiziert und kompetent zu führen.
Ein anderes Beispiel für die enge Verzahnung von Theorie und Praxis findet sich in der Veranstaltung "Handlungsfelder christlicher Sozialarbeit". Vor Ort - zum Beispiel in der Kleiderkammer, der Bahnhofsmission, einer Kindertageseinrichtung, einer suchttherapeutischen Selbsthilfegruppe, einer Pflegeeinrichtung oder einem Förderzentrum - erörtern die Studierenden mit den Verantwortlichen die wichtigsten Aspekte zum Aufbau und zur Geschichte der Organisation, zu den beruflichen Qualifikationsprofilen, den Aufgaben, der Finanzierung, den aktuellen Schwerpunkten und den künftigen Herausforderungen.
Sich verändernde Situation von Kirche und Caritas
Selbstverständlich steht auch die Caritaswissenschaft inmitten von Veränderungsprozessen, die die katholische Kirche und Caritas insgesamt, aber zum Teil sehr unterschiedlich betreffen. An drei Beispielen lassen sich diese verdeutlichen:
◆ Arbeitsrechtliche Anforderungen:
Die aktuellen Debatten rund um die Änderung der Grundordnung des kirchlichen Dienstes unterstützen weitgehend einen institutions- und tätigkeitsbezogenen Ansatz, der den religiös-kirchlichen Charakter auf der Ebene der Organisation verankern will. Vor allem sind sie der Ausdruck geänderter gesellschaftlicher und arbeitsrechtlich gestützter Erwartungen an Kirche und Caritas.
◆ Beschäftigungszahlen:
Liest man die von der Deutschen Bischofskonferenz veröffentlichten Statistiken aus den 27 Bistümern, so gehen die Zahlen der in den pastoralen Berufen Tätigen (Priester, Diakone sowie Gemeinde- und Pastoralreferent:innen) seit über fünf Jahren stetig zurück. Die Zentralstatistik des Deutschen Caritasverbandes hingegen zeigt eine weitgehend stabile Zahl an Menschen, die ihrem Dienst nachgehen - übrigens mehr als dreimal so viele wie in der diözesan verfassten Kirche und den Verbänden zusammen. Die Daten lassen den Schluss zu, dass sich dieses Verhältnis auch weiterhin zugunsten der Caritas entwickeln wird. Flächendeckend wird die katholische Kirche in Zukunft noch mehr durch ihre caritativen als durch ihre pastoralen Dienste präsent sein.
◆ Gesellschaftliches Ansehen:
Das Meinungsforschungsinstitut Forsa befragte knapp 12.000 Personen im Alter zwischen 18 und 93 Jahren zum gesellschaftlichen Nutzen von deutschen sowie internationalen Organisationen und Institutionen. Veröffentlicht wurden die Zahlen zuletzt unter dem Label "GemeinwohlAtlas für Deutschland 2019". Bei der Frage, ob die jeweilige Organisation im Kerngeschäft ihre Aufgaben gut erfüllt, landet die Caritas auf Platz 13 (von 135), die katholische Kirche auf 115. Einen ähnlich großen Abstand zeigen die Ergebnisse zur Frage, ob sich die Organisation anständig verhält.
Eine Caritaswissenschaft, die sich der Qualifikation von künftigen Führungskräften im Gesundheits- und Sozialwesen verschrieben hat, steht inmitten dieser Veränderungs- und Bewertungsprozesse. Im Binnenverhältnis der katholischen Kirche deutet sich eine weitergehende Verschiebung hin zur Stärkung der caritativen Dienste im Vergleich zu den pastoralen an. Zeitgleich differenziert die gesellschaftliche Wahrnehmung deutlich zwischen den Handlungen der verfassten Kirche und der Caritas. Vor diesem Hintergrund vollzieht sich schließlich eine Akzentuierung der institutionellen Profilbildung bei gleichzeitiger, arbeitsrechtlich gestützter Pluralisierung der privaten Lebensverhältnisse und Weltanschauungen.
Ein Wissenschaftsnetzwerk Caritas
Diese Transformationen mitgestalten zu können finden viele Studierende der Caritaswissenschaft attraktiv. Im Schnitt starten die letzten Jahre jedes Wintersemester mehr als 30 Studierende mit dem Studiengang "Caritaswissenschaft und werteorientiertes Management". Wer das Studium beginnt, schließt es in der Regel auch ab. Der Master kann mit auf die höchsten Abschlussquoten an der Universität verweisen.
Nach 25 Jahren lässt ein Blick in die Zukunft folgende Entwicklungen erkennen: In der Lehre soll der Ausbau von Blended-Learning-Formaten die Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch stärker fördern. Die bisherigen Qualitätsmerkmale wie die enge Verzahnung von Praxis und Theorie und das kleingruppenorientierte Lernen sollen auch weiterhin den Studiengang prägen. In der Forschung laufen zusammen mit Kolleg:innen aus verschiedenen Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissenschaften die Planungen zu einem Wissenschaftsnetzwerk Caritas. Allein die katholischen Hochschulen in Berlin, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern verfügen über ein praxisnahes wissenschaftliches Know-how, das im Verbund nochmals gestärkt werden kann. Zudem bietet die internationale Präsenz der Caritas in über 160 Ländern vielfältige Möglichkeiten zu länderübergreifenden Kooperationen. Zur Universität Passau passt dies
allemal. Sie wurde als sogenannte Grenzlanduniversität gegründet. Die besondere geografische Lage und der neue Themenschwerpunkt "Europa und globaler Wandel" fordern die Caritaswissenschaft auf, ihr Wissenschaftsnetzwerk international auszubauen.
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