Der lange Weg zum inklusiven Arbeitsmarkt
Der Gesetzgeber hat Ende letzten Jahres einen Gesetzentwurf zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts verabschiedet, über den Mitte April 2023 in zweiter und dritter Lesung im Bundestag abgestimmt wurde. Welche Änderungen der Bundesregierung sind geplant, welche weiteren Schritte für einen inklusiven Arbeitsmarkt werden in Politik und in der Caritas diskutiert?
Der Dritte Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen hat erneut vor Augen geführt, dass die Erwerbsbeteiligung von Menschen mit Beeinträchtigungen mit 53 Prozent erheblich geringer ist als von Menschen ohne Beeinträchtigungen (81 Prozent) und die Arbeitslosenquote von 11,2 Prozent deutlich über der allgemeinen Arbeitslosenquote von 6,5 Prozent liegt. Auch wenn sich die Zahlen im Vergleich zu den Vorjahren verbessert haben,1 besteht politischer und gesetzgeberischer Handlungsbedarf.
Die Maßnahmen des vorliegenden Gesetzentwurfs zielen im Wesentlichen darauf ab, dass mehr Menschen mit Behinderung in reguläre Arbeit gebracht, mehr Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen in Arbeit gehalten werden und zielgenauere Unterstützung für Menschen mit Schwerbehinderung ermöglicht wird. Dies soll im Wesentlichen durch die folgenden Änderungen erreicht werden:
Erhöhung der Ausgleichsabgabe
Arbeitgeber entrichten eine sogenannte Ausgleichsabgabe an das zuständige Integrationsamt, wenn sie nicht die gesetzlich vorgeschriebene Zahl von schwerbehinderten Menschen beschäftigen. Nach dem Gesetzentwurf wird die Ausgleichsabgabe für Arbeitgeber bei Nichterfüllung der Beschäftigungspflicht moderat erhöht. Zudem wird eine sogenannte "vierte Staffel" der Ausgleichsabgabe eingeführt. Sie greift für Arbeitgeber, die keine schwerbehinderten Menschen beschäftigen. Gestärkt werden soll damit die sogenannte "Antriebsfunktion" der Ausgleichsabgabe zur Einstellung schwerbehinderter Menschen. Weiterhin wird deren "Ausgleichsfunktion" zur Förderung von Arbeitgebern stabilisiert, die die Beschäftigungspflicht erfüllen. Nach dem Gesetzentwurf handelt zukünftig nicht mehr ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig einen schwerbehinderten Menschen nicht beschäftigt. Begründet wird dies damit, dass die zusätzliche Sanktion nach der Erhöhung der Ausgleichsabgabe nicht mehr angemessen und ein zusätzliches Bußgeld kontraproduktiv sei.
Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt
Künftig sollen aus dem Ausgleichsfonds auch Vorhaben finanziert werden, die sich auf die Förderung der Ausbildung von nicht schwerbehinderten Jugendlichen und jungen Erwachsenen erstrecken dürfen, wenn diese Personen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten. Hintergrund ist, dass viele junge Menschen noch nicht als Schwerbehinderte anerkannt sind, ihnen aber bei fehlender Förderung eine Verfestigung von Teilhabestörungen am Arbeitsmarkt droht. Zudem wird die Möglichkeit aufgehoben, Mittel des Ausgleichsfonds zur Förderung von Einrichtungen zu verwenden, zum Beispiel für überregionale Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM). Damit werden die Mittel des Ausgleichsfonds zukünftig vollständig für Programme und Projekte auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eingesetzt. Diesen Förderungswegfall hatte der Bundesverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) in seiner Stellungnahme kritisiert. In der Praxis führt er dazu, dass der Zugang der Menschen mit Schwerst- und Mehrfachbehinderung, die in Werkstätten tätig sind, zu innovativen Übergangsprojekten abgeschnitten wird, zum Beispiel die Begleitung durch einen "Inklusionsmanager" bei Praktika und Probeeinstellungen auf dem ersten Arbeitsmarkt.
Deckelung für den Lohnkostenzuschuss aufheben
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Begrenzung des Budgets für Arbeit auf 40 Prozent der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV aufgehoben werden soll. Durch die Beschränkung des Lohnkostenzuschusses auf 40 Prozent der Bezugsgröße kamen nur bestimmte Arbeitsverhältnisse in Betracht, die sich aufgrund der Entwicklung der maßgebenden Rechengrößen der Sozialversicherung im Bereich des niedrigen Bruttoverdiensts bewegten. Die Regelung führte in der Praxis dazu, dass häufig keine Budgets für Arbeit bewilligt wurden, wenn der vom Eingliederungshilfeträger zu zahlende Lohnkostenzuschuss höher war als die bisherigen Ausgaben für die Leistungen in der WfbM. Die Aufhebung der Deckelung ermöglicht zukünftig, das Instrument besser für einen inklusiven Arbeitsmarkt zu nutzen, reicht aber nicht aus. Die bisherige Praxis zeigt, dass die Angebote der Arbeitgeber ausbleiben und die Vermittlung der Arbeitsstellen nur unzureichend durch die Bundesagentur erfolgt, zumal für die Bewilligung von Leistungen der Träger der Eingliederungshilfe zuständig ist. Es wäre daher sachgerecht, das Integrationsamt als Vermittlungsstelle einzuschalten. Hierzu wäre eine Aufgabenerweiterung erforderlich.
Wenn das Rückkehrrecht zur Rückkehrpflicht wird
Wenn es zu einem Budget für Arbeit kommt, bleibt der Budgetnehmende dauerhaft voll erwerbsgemindert und daher Rehabilitand im Sinne der Eingliederungshilfe. Dies bedeutet, dass er ein uneingeschränktes Rückkehrrecht in die WfbM besitzt. Dieses Rückkehrrecht kann de facto zur Rückkehrpflicht werden, da die Budgetnehmenden nicht in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung sind. Hintergrund dieser Regelung war, dass Menschen mit Behinderung im Falle des Scheiterns ein Rückkehrrecht in die WfbM haben und daher keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung benötigen. Dies führt aber auch zu einer Rückkehrpflicht von Menschen mit Behinderung, die auf dem Arbeitsmarkt integriert waren und aufgrund der normalen Schwankungen und Risiken am Arbeitsmarkt arbeitslos werden.
Problematisch ist zudem die zwingende Voraussetzung, dass das Eingangsverfahren, Berufsbildungs- oder Arbeitsbereich einer WfbM durchlaufen werden müssen. Dies führt zu einer Begrenzung der leistungsberechtigten Gruppe von Menschen mit Behinderung, die das Budget in Anspruch nehmen können, zum Beispiel haben Jugendliche mit seelischer Behinderung nach dem Schulabschluss keinen Zugang zum Budget für Arbeit.
Ferner wird die rechtliche Durchsetzung des Budgets dadurch erschwert, dass Menschen mit Behinderung keinen individuellen Anspruch auf die Bewilligung des Budgets für Arbeit haben, sondern letztendlich nur auf die ermessenfehlerfreie Entscheidung der Träger der Eingliederungshilfe. Gleichzeitig besteht keine Gewährleistungsverpflichtung der Leistungsträger, das heißt, die Reha-Träger sind nicht verpflichtet, das Budget für Arbeit zu ermöglichen oder entsprechende Strukturen aufzubauen. Die benötige Unterstützung bei der Suche eines Arbeitsplatzes für Menschen mit Behinderung und die Beratung des Arbeitgebers sind durch das Budget für Arbeit ebenfalls nicht abgedeckt.
Nach dem Gesetzentwurf soll zukünftig ein Antrag auf eine Leistung, auf die ein Anspruch besteht, sechs Wochen nach Eingang als genehmigt gelten, wenn das Integrationsamt bis dahin nicht über den Antrag entschieden hat und die beantragte Leistung nach Art und Umfang im Antrag genau bezeichnet ist.
Der Gesetzentwurf sieht auch ein neues Verfahren zur Einführung eines "unabhängigen Sachverständigenbeirats Versorgungsmedizinische Begutachtung" unter Einbeziehung der Menschen mit Behinderung vor und regelt dessen Tätigwerden. Damit soll künftig erreicht werden, dass die Anerkennung als schwerbehindert stärker als bisher den Anforderungen des Behinderungsbegriffs und seiner Orientierung an International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) entspricht, also stärker die Kontextfaktoren, unter anderem im Arbeitsleben, berücksichtigt.
Das Werkstattentgelt wird neu bestimmt
Ein zukunftsfähiges Entgeltsystem für Beschäftigte in der WfbM ist ein nächster Schritt zu einem inklusiven Arbeitsmarkt. Hier ist neben der Neubestimmung des Entgelts auch die Überprüfung des arbeits- und sozialrechtlichen Status der aktuell in WfbM beschäftigten Personen im Gespräch. Aktuell läuft dazu das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales beauftragte Forschungsvorhaben "Studie zu einem transparenten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Entgeltsystem für Menschen mit Behinderungen in Werkstätten für behinderte Menschen und deren Perspektiven auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt". Der Abschlussbericht wird Ende Juni 2023 erwartet, danach sind weitere gesetzgeberische Schritte geplant.
Bei allen weiteren Schritten bleibt aber zu bedenken, dass ein inklusiver Arbeitsmarkt nur gelingen kann, wenn auch in der Gesellschaft und bei den Arbeitgebern die erforderlichen Rahmenbedingungen für Menschen mit Behinderung geschaffen werden und diese für eine Neuausrichtung bestehender Strukturen bereit sind.
Anmerkung
1. Dritter Teilhabebericht 2021, Bundestags-Drucksache 19/27890, S. 215-323.
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