Starke Mütter im Beruf
Familiäre Aufgaben mit Berufstätigkeit zu verbinden ist für Eltern eine große Herausforderung. Vor besonders hohen Hürden stehen dabei Mütter mit einer Einwanderungsgeschichte. Neben den üblichen Vereinbarkeitsproblemen müssen sie spezifische Herausforderungen meistern, beispielsweise im Hinblick auf die deutsche Sprache, kulturelle Unterschiede oder die Anerkennung mitgebrachter Qualifikationen.
Das ESF-Bundesprogramm "Stark im Beruf - Mütter mit Migrationshintergrund steigen ein" will Strukturen erproben, die es zugewanderten Frauen mit Familienverantwortung erlauben, eine stabile Erwerbsbiografie zu entwickeln. Dazu werden Migrantinnen an bundesweit rund 90 Standorten, ergänzend zu den Regelangeboten von Jobcentern und Arbeitsagenturen, unterstützt - mit Erfolg, wie eine aktuelle Wirkungsanalyse des Programms zeigt.1 Entscheidend ist der Mix aus Einzelberatung und Gruppenangeboten mit durchgehender Begleitung in allen Phasen des Berufseinstiegs.
17.000 Mütter mit Migrationshintergrund wurden so seit dem Programmstart im Jahr 2015 erreicht. Durch die enge, ganzheitliche Begleitung wurden den Teilnehmerinnen bisher unterschiedliche Perspektiven eröffnet. Ein Drittel der Teilnehmerinnen, die das Programm komplett durchlaufen haben, hat den Schritt in eine Beschäftigung oder in eine Ausbildung geschafft, ein weiteres Drittel fing eine Weiterbildung an oder bekam eine Qualifizierung anerkannt.
Beruf und Familie vereinbaren
Die Caritas ist Teil dieser Erfolgsgeschichte. Unter dem Titel "Stark im Beruf - FrauenPower" setzt zum Beispiel die Caritas Ulm-Alb-Donau das Programm um. Es baut auf der jahrelangen Expertise in der Sozial- und Arbeitslosenberatung für arbeitslose und geflüchtete Menschen auf.
Schwerpunkt der Arbeit der "Stark im Beruf"-Kontaktstelle in Ulm ist es, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern. Für die praktische Umsetzung sind zwei Sozialarbeiter:innen verantwortlich, die das Programm als ein sechsmonatiges Angebot entwickelt haben. Pro Kurs werden wöchentlich elf Teilnehmerinnen in einem Einzelcoaching und einem zweistündigen Gruppenangebot betreut. Die Arbeit findet in Kooperation mit dem Jobcenter Ulm und IN VIA, die ein offenes Angebot für dieselbe Zielgruppe vorhalten, statt.
Die Frauen stammen aus verschiedenen Ländern und verfügen über sehr unterschiedliche Ressourcen. Manche haben mehrere Jahre Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt, andere gar keine. Auch ihre Bildungshintergründe sind unterschiedlich. Gemeinsam mit den Teilnehmerinnen stellen sich die Caritas-Mitarbeitenden die Frage: Welche Ressourcen sind vorhanden, welche Kompetenzen müssen erworben werden?
Inhaltlich werden Möglichkeiten erarbeitet, beruflich und persönlich Potenziale zu entfalten. Die Caritas unterstützt die Mütter dabei, ihre eigenen Stärken kennenzulernen und Selbstvertrauen zu gewinnen, auch wenn sie bisher noch keine Arbeitserfahrung vorweisen können. Die Mitarbeiter:innen planen gemeinsam mit ihnen ihren Berufsweg, helfen, sich berufsbezogene Kenntnisse anzueignen oder sich auf Praktika und Bewerbungsgespräche vorzubereiten. Anschließend steht an, die Frauen in Qualifizierungs- und Erwerbsmöglichkeiten zu vermitteln.
Darüber hinaus hilft die Caritas den Müttern bei der Alltagsbewältigung und Lebensführung. Sie erhalten Informationen zum richtigen Umgang mit Sozialleistungen, der Bearbeitung von Steuern, zur Überwindung bürokratischer Hürden, zu Sozialversicherungen sowie - und hier setzt das Programm in Ulm einen besonderen Schwerpunkt - zur Stärkung von Gleichberechtigung und Persönlichkeitsentwicklung. Die Frauen sollen ihr eigenes Rollenbild- und -verständnis kritisch reflektieren und unbezahlte Arbeit innerhalb der Partnerschaft gleichmäßig verteilen lernen. Dafür werden sie motiviert, Väter beziehungsweise Partner in den Diskurs einzubeziehen, auch um über familienbezogene Angebote externer Einrichtungen aufzuklären. Ein besonderer Fokus liegt auf der Selbstfürsorge: Die Frauen sollen aus ihrer Situation zu Hause "ausbrechen" können, sich nicht nur in der Rolle der Mutter und Hausfrau sehen, sondern als eigenständige Person mit eigenen Wünschen.
Die Coronapandemie brachte eine gravierende Veränderung. Praktika oder der persönliche Austausch mit anderen Müttern fielen weg. Der Fokus der Frauen verschob sich: weg von ihren eigenen Zielen, hin zu den Bedürfnissen der Kinder und den Herausforderungen wie der wegfallenden Kinderbetreuung, Homeschooling oder fehlenden Freizeitaktivitäten. Das Streichen von Sprachkursen verzögerte den Zugang zu arbeitsmarktrelevanten Angeboten für die Frauen noch weiter.
Vor dem Hintergrund der Wirkungsanalyse des ESF-Bundesprogramms wird deutlich: Gerade der ganzheitliche und vor allem längerfristige Ansatz von "Stark im Beruf" macht den Erfolg aus. Die Teilnehmerinnen können sehr individuell auf ihrem Weg in die Berufstätigkeit begleitet werden. In der Caritas Ulm-Alb-Donau konnte ein Drittel der Teilnehmerinnen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung oder in einen Minijob vermittelt werden. Ein Drittel begann während oder nach dem Programm eine Weiterbildung oder Umschulung, einen Sprachkurs oder konnte an einer Anschlussmaßnahme des Jobcenters teilnehmen.
80 Prozent der aktuell nicht erwerbstätigen Mütter mit Migrationshintergrund wollen arbeiten - das macht rund 1.220.000 Mütter mit Erwerbswunsch aus. Von ihnen möchten wiederum rund 580.000 Mütter "sofort" oder "innerhalb des kommenden Jahres" beruflich durchstarten.2
Realität bremst die Frauen aus
Doch Wunsch und Wirklichkeit gehen oft nicht überein, die Erwerbsneigung bleibt ohne konkrete Unterstützung meist unerfüllt. Einige Teilnehmerinnen wissen zwar, welche Berufsbilder für sie infrage kommen, kennen aber die Voraussetzungen nicht. Zum Beispiel, dass in der Industrie, in Pflegeberufen oder in der Gastronomie und Hotelbranche Schicht- oder Wochenendarbeit üblich sind. Nach einem Blick auf die realen Rahmenbedingungen verwerfen die Frauen ihre Ideen zum Teil schnell wieder, weil sie sich nicht in der Lage sehen, die Voraussetzungen zu erfüllen. Die Ziele müssen immer wieder revidiert und neu gesetzt werden.
Somit liegt eine der größten Herausforderungen in den Arbeitszeiten jener Branchen, in denen die Frauen mit ihren Ressourcen arbeiten könnten. Die Arbeitgeber, die für sie in Frage kämen und in erreichbarer Nähe wären, können meist keine passenden Arbeitszeiten am Vormittag anbieten. Deutlich wird, dass es nicht die notwendigen Strukturen gibt, um gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu bekommen. Auch die Frauen merken, dass sie an ihre Grenzen stoßen, und sind frustriert. Bei einem Bedarf von geschätzt 3,9 Millionen Fachkräften bis zum Jahr 2030 ist dies ein ungenutztes Potenzial. Regelangebote vor allem der Arbeitsmarktförderung erweisen sich als nicht ausreichend, um auf die beruflichen Perspektiven umfassend hinzuweisen und einen Berufseinstieg längerfristig zu begleiten.
Zusammenarbeit mit Partnern
Die unterschiedlichen Biografien können die Mitarbeiterinnen von Caritas Ulm-Alb-Donau und IN VIA mit ihren sozialen Partnern aufgreifen. Dazu gehören vor allem interne Beratungsstellen, wie die katholische Schwangerschaftsberatung, die Allgemeine Sozialberatung, die Arbeitslosen- sowie die Migrationsberatung direkt im Haus. Mit dem Jobcenter Ulm stehen sie in stetigem Austausch, und auch mit anderen Angeboten wie dem Frauenhaus der Caritas, der psychologischen Familien- und Lebensberatung oder der Anerkennungsberatung von IN VIA sind sie in Kontakt.
Da das Programm "Stark im Beruf" des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) Ende Juni 2022 beendet wird, läuft auch das Projekt in Ulm aus. Möglicherweise wird es noch einmalig für einen Zeitraum von sechs Monaten für die akute Betreuung von geflüchteten Frauen aus der Ukraine verlängert. Mit dem neuen Programm "My Turn", angesiedelt am Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), soll zwar eine Anschlussperspektive geschaffen werden, jedoch ist unsicher, wie es konkret für die aktuellen "Stark-im-Beruf"-Kontaktstellen weitergeht. Das neue Programm wird frühestens im Herbst 2022 gestartet, und jeder Träger muss das Antragsverfahren neu durchlaufen.
Anmerkungen
1. Siehe www.bmfsfj.de, Kurzlink: https://bit.ly/3GJeSwM
2. BMFSFJ (Hrsg.): Gelebte Vielfalt: Familien mit Migrationshintergrund in Deutschland. Berlin, 2020. Kurzlink: https://bit.ly/39Yfkeo
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