Gewalt im Netz gegen Frauen muss stärker bekämpft werden
Digitale Gewalt gegen Mädchen und Frauen ist ein weit verbreitetes Phänomen und eng verknüpft mit der Gewalt in der realen Welt. Sie umfasst Formen der Herabsetzung, Diskriminierung und Belästigung sowie des Ausspionierens, der Überwachung, der Bedrohung und Erpressung von Mädchen und Frauen mit digitalen Hilfsmitteln. Betroffene sollen diffamiert und in die soziale Isolation gedrängt werden.
Laut der aktuellen Polizeilichen Kriminalstatistik1 nimmt Gewalt in partnerschaftlichen Beziehungen zu. So sind von 2019 auf 2020 4,4 Prozent mehr Menschen Opfer von partnerschaftlicher Gewalt geworden. 80,5 Prozent der Betroffenen sind weiblich. Nach vorsätzlicher einfacher Körperverletzung stehen Bedrohung, Stalking und Nötigung an zweiter Stelle der gegen Frauen verübten Gewaltdelikte. Digitale Gewalt wird von der Kriminalstatistik nicht erfasst. Auch sonst liegen in Deutschland keine aussagekräftigen Daten vor. Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe beobachten jedoch eine ansteigende digitale Gewalt, oft im Kontext von häuslicher und sexualisierter Gewalt. Zudem ist davon auszugehen, dass sich die gegen Mädchen und Frauen gerichtete Gewalt im realen Leben im Netz fortsetzt.
Scham, Hilflosigkeit und Angstzustände sind die Folgen
Geschlechtsspezifische Gewalt erfährt durch das Internet eine neue Dimension. So werden Bilder oder Videos, in denen Frauen - oft sexualisierter - Gewalt ausgesetzt sind, oder heimlich aufgenommene beziehungsweise manipulierte Fotos im Netz einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Belästigungen sind nicht an einen bestimmten Ort gebunden. Gewalt findet rund um die Uhr statt. Sie ist immer dann präsent, wenn Mädchen oder Frauen digitale Medien nutzen. So können sich Betroffene kaum zurückziehen und in einem privaten Raum Schutz suchen.
Bei Mädchen und Frauen löst digitale Gewalt in der Regel Gefühle von Scham, Hilflosigkeit und Bedrohung aus. Zum Teil sind diese auch mit Ängsten verbunden, vor allem wenn Drohungen an konkrete Gewalterfahrungen im Alltag der Betroffenen anknüpfen. Persönliche Folgen können der Verlust des Selbstvertrauens, Schlafprobleme, Konzentrationsschwierigkeiten, Panikattacken und Angstzustände sein.
Eine oft zu beobachtende Reaktion ist, dass sich Mädchen und Frauen - aus der digitalen, aber auch in der realen Welt - zurückziehen. In der Hoffnung, dass Angreifende aufgeben, warten die meisten erst einmal ab. Erfahrungen zeigen jedoch, dass Angriffe nicht von allein aufhören, sondern Betroffene schnell Hilfe hinzuziehen müssen. Konkrete Informationen und fachlich kompetente Beratung bieten der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe/Frauen gegen Gewalt2, das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)3 sowie das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen4.
Präventiv muss in Angeboten für (junge) Frauen immer wieder die Sicherheit im Umgang mit sozialen Medien thematisiert werden. Über den Schutz von persönlichen Informationen und Daten muss dabei ebenso gesprochen werden wie über die Veröffentlichung persönlicher Fotos. Auch darüber, wie Mädchen und Frauen mit Angriffen umgehen und wie sie sich gegenseitig stärken können. Zudem müssen sie wissen, dass digitale Gewalt eine Menschenrechtsverletzung ist und sie diese anzeigen können.
Angriffe wegen der Hautfarbe oder politischen Aktivitäten
Nicht nur in ihrem nahen Umfeld werden Mädchen und Frauen Opfer von Diskriminierung und Gewalt. Oft werden sie auch aufgrund ihres Aussehens, ihrer Hautfarbe, ihrer geschlechtlichen Identität oder Orientierung oder aufgrund von Behinderungen diskriminiert, beleidigt und angegriffen. Auch Frauen, die politisch aktiv sind oder sich öffentlich positionieren, sind eine Zielgruppe für Bedrohungen im Netz. Durch systematische Angriffe sollen sie von ihren Aktivitäten abgehalten werden und sich aus dem öffentlichen Leben zurückziehen. Dass dies gelingt, zeigt eine von Hate Aid durchgeführte EU-Umfrage aus dem Jahr 2021. Danach äußern 52 Prozent der Frauen aus Angst vor Hass ihre Meinung im Internet seltener.5
IN VIA Katholischer Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit fordert, dass Social-Media-Anbieter verpflichtet werden, Hassbotschaften und Gewaltdrohungen unverzüglich aus dem Netz zu nehmen. Wenn sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen, sollen sie mit Bußgeldern belegt werden. Die dadurch gewonnenen Finanzmittel könnten zum Ausbau dringend benötigter Beratungsangebote für Betroffene eingesetzt werden.6
Software diskriminierungsfrei entwickeln
Die Diskriminierung und strukturelle Gewalt in der realen Welt setzen sich im Netz fort. Bei der Software-Entwicklung für die Auswahl von Bewerber:innen werden zum Beispiel Auswahlkriterien eingegeben und Algorithmen entwickelt, die eher den klassischen Lebens- und Berufskarrieren von Männern entsprechen. Dadurch werden Frauen indirekt diskriminiert und ausgeschlossen.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und Diskriminierungsverbot gilt auch im Netz und dessen Anwendung muss sichergestellt werden. IN VIA fordert, dass bei der Software-Entwicklung Auswahlkriterien und Algorithmen Mindeststandards entsprechen und diskriminierungsfrei programmiert werden müssen.
Digitale Gewalt ist eine Straftat
Bei den Täter:innen handelt es sich nicht nur um Unbekannte. Oft kennen betroffene Mädchen und Frauen die Täter:innen aus ihrem Familien- oder Bekanntenkreis. Meist wird davon ausgegangen, dass es sich bei den Angriffen um unüberlegte Aktionen handelt. Digitale Gewalt entsteht jedoch selten spontan. Personen oder Personengruppen werden gezielt ausgewählt und gezielt diffamiert und attackiert. Diese Angriffe wirken stark, da im Internet veröffentlichte Beschimpfungen und Drohungen sich schnell verbreiten und nur schwer wieder zurückgenommen werden können. Zudem können Täter:innen meist anonym agieren, und die scheinbare Anonymität senkt die Hemmschwelle.
Bei digitaler Gewalt handelt es sich um eine Straftat, die angezeigt werden kann. Derzeit werden An- und Übergriffe im Netz von der Polizei jedoch oft nicht als Gewalt eingestuft und somit nicht verfolgt. Zur Bekämpfung dieser Delikte im Netz fordert IN VIA, dass Schwerpunktstaatsanwaltschaften ge- schaffen werden. Auch müssen Polizei und Staatsanwaltschaften besser ausgestattet und für diesen Straftatbestand qualifiziert werden.
Im Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) wird in Artikel 1 Absatz 1 explizit gefordert, Frauen vor allen Formen von Gewalt zu schützen und Gewalt gegen Frauen zu verhüten, zu verfolgen und zu beseitigen. Mit der Ratifizierung der Konvention im Oktober 2017 hat sich Deutschland verpflichtet, Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt zu ergreifen. Dies schließt auch digitale Gewalt ein. Für ein gezieltes Vorgehen müssen in der Kriminalstatistik auch frauenfeindliche und digitale Straftaten erfasst und aussagefähige Untersuchungen in Auftrag gegeben werden. Darauf aufbauend ist eine nachhaltige Strategie für eine bedarfsgerechte Unterstützung von betroffenen Mädchen und Frauen und gegen Frauenhass und Gewalt im Netz zu entwickeln und zu etablieren.
Anmerkungen
1. Kurzlink: https://bit.ly/3ww5kl9
2. Kurzlink: https://bit.ly/3POvVld
3. Kurzlink: https://bit.ly/3yPsapF
4. www.hilfetelefon.de/gewalt-gegen-frauen/digitale-gewalt.html
5. https://hateaid.org/eu-umfrage
6. IN VIA Katholischer Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit (Hrsg.): Gerechte Chancen für Mädchen und Frauen!, Kurzlink: https://bit.ly/3NtkIEq
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