Beratung ist gut, faire Arbeit besser
Anfang 2021 suchte Vasile Stoica1, ein Rumäne, Hilfe im Solinger Arbeitslosenzentrum (SALZ), eine der "Beratungsstellen Arbeit" in NRW. Er war in einem Restaurant beschäftigt und hatte sich mit seinem Arbeitgeber auf 1200 Euro Monatslohn geeinigt. Er arbeitete sechs Tage in der Woche; manchmal 14 Stunden pro Tag. Die Lohnauszahlungen erfolgten unregelmäßig, ohne Abrechnung, in bar und in Teilbeträgen. Als Vasile Stoica trotz monatelanger Arbeit erst rund 1600 Euro erhalten hatte, forderte er seinen Arbeitgeber auf, ihm das restliche Geld auszuzahlen. Doch dieser reagierte verärgert und bedrohte Vasile Stoica, der inzwischen in großer finanzieller Not war und unter gesundheitlichen Beschwerden litt, und seine Familie. Er wandte sich an die Beratungsstelle Arbeit, die der Caritasverband Wuppertal/Solingen gemeinsam mit einem diakonischen Träger verantwortet. Dort vermittelte man ihm unter anderem juristische Unterstützung. Zudem gelang es, ihn in ein geregeltes Arbeitsverhältnis bei einem anderen Arbeitgeber zu vermitteln.
Im vergangenen Jahr meldete sich eine aus Marokko stammende Frau mit spanischem Pass beim Caritasverband Wuppertal/Solingen. Namira Berrada2 war zuvor in einem Hotel in Deutschland beschäftigt. Sie hatte dort einen Vertrag für eine dauerhafte Beschäftigung unterschrieben. Danach forderte der Arbeitsgeber sie auf, ihm 20.000 Euro für seine "Integrationsbemühungen" zu zahlen. Er drohte, andernfalls den Vertrag zu kündigen. Namira Berrada solle sich das Geld über einen Kredit holen, den sie auch erhielt. Aber die finanziellen Belastungen setzten ihr sehr zu. Nach einem Jahr verlor sie den Arbeitsplatz. Sie kam zu einer Schuldnerberatung, die die Beratungsstelle SALZ einschaltete. Auch ihr wurde anwaltlich geholfen. Ihr stehen Leistungen nach dem SGB II zu.
Gerechte Arbeitsbedingungen werden unterlaufen
Nur zwei Fälle aus einer einzigen Beratungsstelle, die zeigen, dass Armut und Not längst nicht mehr nur die Folge von Arbeitslosigkeit, sondern auch von prekärer, ausbeuterischer Arbeit sind. Der Mythos, dass jede Arbeit besser sei als keine Arbeit, ist entlarvt. Selbst wenn es in Deutschland im weltweiten Vergleich wenige ungesetzliche Arbeitsverhältnisse gibt. Gerechte Arbeitsbedingungen werden etwa unterlaufen, indem der Mindestlohn umgangen oder gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen wird, wenn Mehrarbeit nicht vergütet oder kein Lohn im Krankheitsfall gezahlt wird.
Menschen in schwierigen Beschäftigungssituationen oder in Arbeitslosigkeit finden im Erzbistum Köln in zwölf niedrigschwelligen Anlaufstellen caritativer Träger, darunter auch das SALZ, behördenunabhängige Beratung und Unterstützung. Es geht es um wirtschaftliche, psychosoziale und rechtliche Fragen, Empowerment und Bildung, um berufliche Neuorientierung, Qualifizierung und Beschäftigung. Dieses breite Spektrum entspricht der Praxis der bis Ende 2020 mit ESF-Landesmitteln geförderten Erwerbslosenberatungsstellen und Arbeitslosenzentren in NRW. Einige davon werden nun mit kommunalen Mitteln weitergefördert. Sieben arbeiten seit 2021 im neuen, ebenfalls ESF-geförderten Programm "Beratungsstellen Arbeit". Sie haben vergleichbare Aufgaben, setzen aber innovative Akzente.
Prekäre Beschäftigung ist ein vielschichtiges Phänomen. Im Erzbistum Köln ist die Situation der Männer und Frauen auf den Spargelfeldern ebenso herausfordernd wie die von Mitarbeitenden in Hotels und Gaststätten, auf dem Bau und bei Lieferdiensten, in Ausnahmen sogar von Akademiker:innen in der IT- oder Medienbranche. Besonders problematisch ist jene Arbeitsmigration, hinter der im Grunde Armutsmigration steht: Menschen aus ärmeren Staaten werden zur Arbeit in Deutschland angeworben, finden dann jedoch andere Bedingungen vor als versprochen. Meist leisten sie Basisarbeit ohne formale Qualifikation und sprechen kaum Deutsch. Sie kennen sich im komplexen Arbeits- und Aufenthaltsrecht nicht aus und werden gedrängt, ungünstige Verträge zu unterschreiben oder für sie schädliche "Vereinbarungen" zu akzeptieren.
Um die Betroffenen zu erreichen, kooperieren die Beratungsstellen Arbeit in Bonn, Köln, Leverkusen, Monheim, Erkrath, Solingen und im Rhein-Sieg-Kreis etwa mit Projekten für Arbeitnehmerfreizügigkeit, faire Mobilität und Integration, mit Fachdiensten für Integration und Migration, mit der Allgemeinen Sozialberatung und Gewerkschaften. Sie beraten persönlich, telefonisch und online. Soweit es die Pandemie zulässt, suchen sie die Menschen auch auf und laden zu niedrigschwelligen Informationsveranstaltungen ein.
Mehrere Träger kooperieren
Beratungsstellen Arbeit gibt es in allen 53 Gebietskörperschaften NRWs, oft kooperieren mehrere Träger. Das Programm ressortiert im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales und wird fachlich von der Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung begleitet, die die qualifizierte Umsetzung unter anderem mit ausgewählten Sprachmittler:innen und Rechtsberater:innen unterstützt. Die Zusammenarbeit mit der freien Wohlfahrtspflege ist konstruktiv und gut.
Dennoch ist allen Beteiligten klar: Der Kampf gegen ausbeuterische Beschäftigung wird weder in den Beratungsstellen noch mit Projekten gewonnen. Nötig ist, politisches Denken und Handeln zu ändern. Damit Gesetze eingehalten werden, muss konsequent kontrolliert werden; dazu braucht es starke Arbeitsschutzbehörden. Genauso wichtig: Arbeitslose Personen dürfen nicht länger zur raschen Arbeitsaufnahme in schlecht bezahlte Jobs gedrängt werden. Stattdessen müssen ihnen individuelle Begleitung und Qualifizierung angeboten werden, die einen Ausstieg aus prekärer und einen Einstieg in gute Arbeit ermöglichen.
Anmerkungen
1. Name von der Redaktion geändert.
2. Name von der Redaktion geändert.
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