Narkosegasfilter für den Klimaschutz
Im deutschen Klimaschutzgesetz ist die Reduktion der Treibhausgasemission zum Erreichen der Klimaneutralität sektorspezifisch und dekadengestaffelt festgeschrieben. Da der Gesundheitssektor für einen Ausstoß von rund 70 Millionen Tonnen CO2-Äqui-
valenten jährlich verantwortlich ist, sind praktische Lösungen für Klimaschutz speziell in Krankenhäusern von besonderer Relevanz.1
Narkosegase sind starke Treibhausgase2 und neben Energie, Lieferketten und Abfällen die größte CO2-Quelle in der Anästhesie.3 Sie verursachen rund die Hälfte der operationsbedingten CO2-Emissionen und bis zu einem Drittel des CO2-Ausstoßes eines Krankenhauses.4 In Deutschland werden somit durch Narkosegase rund 77.000 Tonnen CO2-Äquivalente freigesetzt, weltweit fast drei Millionen Tonnen pro Jahr.5
Narkosegase, auch Inhalationsanästhetika genannt, werden den Patient:innen während einer Operation über das Narkosegerät zugeführt, um das Bewusstsein auszuschalten. Ein Großteil der Narkosegase wird unverstoffwechselt wieder abgeatmet, am Narkosegerät über die Narkoseabsaugung aufgefangen und dann in die Atmosphäre abgeleitet. Die Inhalationsanästhetika Desfluran und Sevofluran sind Fluorkohlenwasserstoffe (FKW) und haben einen bis zu 2500-fach stärkeren Treibhauseffekt als CO2. Das Narkosegas Isofluran ist ein Fluorchlorkohlenwasserstoff (FCKW), der darüber hinaus zum Abbau der Ozonschicht beiträgt.
Filter fangen Narkosegase auf
Narkosegase können jedoch mit speziellen Filtern aufgefangen und somit deren klimaschädigende Wirkung vermieden werden. Die Narkosegasfilter (Sensoflurander Firma ZeoSys-Medical) werden direkt am "Auspuff" des Narkosegeräts (AGS-Auslass) angeschlossen und die Inhalationsanästhetika in einen Aktivkohlefilter geleitet und gebunden.
Am Filter befindet sich ein Sensor, der anzeigt, wenn der Filter gewechselt werden muss. Die vollen Filterkartuschen werden an die Firma zurückgeschickt, die die aufgefangenen Narkosegase über ein Destillations- und Aufbereitungsverfahren zurückgewinnt. Auf diese Weise können die Narkosegase erneut eingesetzt werden und zählen damit zu den ersten wiederverwendbaren Medikamenten überhaupt.
In Salem wurden 400 Tonnen CO2-Äquivalente gespart
Das Krankenhaus Salem der evangelischen Stadtmission Heidelberg hat seit Juli 2020 Narkosegasfilter in allen sieben Operationssälen eingeführt und gehört damit zu den ersten Krankenhäusern bundesweit. Die Handhabung der Filter ist intuitiv, und sie können ohne größeren technischen oder personellen Aufwand am Narkosegerät angebracht werden. Die meisten Narkosegeräte (im Passivmodus) sind mit den Filtern kompatibel. Die Sicherheit für Patient:innen und Mitarbeiter:innen wird durch die Verwendung der Narkosegasfilter nicht beeinträchtigt. Die Filter sind durchschnittlich alle sieben bis 14 Tage zu wechseln.
Man kann für jedes Narkosegas errechnen, wie viel CO2-Äquivalente durch die Freisetzung in die Atmosphäre entstehen.6 Ein Milliliter flüssiges Desfluran setzt 3,98 Kilogramm CO2-Äquivalente frei, ein Milliliter Sevofluran 0,31 Kilogramm. Pro Vollnarkose mit Narkosegasen werden somit durchschnittlich rund 60 Kilogramm CO2-Äquivalente ausgestoßen. In den zwei Jahren seit der Einführung der Narkosegasfilter im Krankenhaus Salem konnten insgesamt rund 400 Tonnen CO2-Äquivalente vermieden werden. Da die Filter direkt an die AGS-Stelle des Narkosegeräts angeschlossen sind, kann die Narkosegasabsaugung abgekoppelt werden. Dadurch reduzieren sich zusätzlich Energiekosten. Die Kosten für eine Filtereinheit mit Sensor und Halterung liegen bei einmalig circa 200 Euro, die der Filterkartuschen bei rund 20 bis 30 Euro pro Stück, so dass es sich um eine geringinvestive Maßnahme handelt.
Klimaschutz im Krankenhaus ist Patientenschutz
Durch die Verwendung von Narkosegasfiltern ist eine "klimafreundliche Narkose" möglich. Neben dem Einsatz der Filter sollte außerdem die sogenannte Niedrigflussnarkose mit Frischgasflüssen unter 0,5 Litern pro Minute zum Einsatz kommen und generell das klimafreundlichere Gas Sevofluran verwendet werden.
Der Einsatz von Narkosegasfiltern ist eine sichere, hocheffektive, geringinvestive und unmittelbar anwendbare Klimaschutzmaßnahme, weil dadurch die Freisetzung von Narkosegasen in die Atmosphäre verhindert und gleichzeitig deren Wiederverwendung ermöglicht wird. Somit können sich Krankenhäuser für eine bessere CO2-Bilanz einsetzen ("Green Hospital"7) und einen Beitrag im Sinne des Klimaschutzplans 2050 leisten. Nach Plänen der ehemaligen Wissenschaftsministerin Theresia Bauer sollen in Baden-Württemberg künftig alle Krankenhäuser Narkosegasfilter einsetzen und dafür eine finanzielle Unterstützung erhalten. Auch für ein bundesweites Verbot klimaschädlicher Gase ohne Filter wollte sie sich einsetzen. Hier zeigt sich, wie mit einer geringinvestiven, aber effizienten Klimaschutzmaßnahme die medizinische Versorgung im OP und Klimaschutz vereinbar sind. Gerade der Gesundheitssektor hat ein großes Potenzial, um gleichermaßen Verantwortung für Patient:innen und den Klimaschutz zu übernehmen.
Anmerkungen
1. The Lancet Countdown on Health and Climate Change - Policy Brief für Deutschland, November 2019. Kurzlink: https://bit.ly/3EfwWxJ
2. Siehe Özelsel T. J.-P. et al.: The future is now - it’s time to rethink the application of the Global Warming Potential to anesthesia. Can J Anesth 2019, 66: 1291-1295.
3. Siehe MacNeill, A. et al.: The impact of surgery on global climate: a carbon footprinting study of operating theatres in three health systems. The Lancet Planetary Health, December 2017, 1: e381-388, Kurzlink: https://bit.ly/3g7Ya18
4. Siehe Koch, S.; Pecher, S.: Neue Herausforderungen für die Anästhesie durch den Klimawandel. Der Anaesthesist 2020, 69, 453-462; Kurzlink: https://bit.ly/3ggL2GZ
5. Siehe Richter, H. et. al.: Der CO2-Fußabdruck der Anästhesie. In: Anästh Internsivmed 2020, 61:154-161.
6. CO2-Äquivalenzrechner des Royal College of Anaesthesists, Kurzlink: https://bit.ly/3ExWgAh
7. Das Konzept der "Green Hospitals" basiert auf nachhaltigem Wirtschaften und verfolgt das Ziel, die Gesundheit der Bevölkerung unter umwelt- und klimafreundichen Bedingungen zu fördern.
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