Energetisch modernisieren: Möglichkeiten und Kosten¹
Kliniken entdecken ein Paradethema: Klimaschutz ist Gesundheitsschutz. Der Energieverbrauch der Häuser ist riesig, die Gebäudetechnik oft betagt. Immerhin liegt der Gesundheitssektor hierzulande mit seinem CO2-Ausstoß von gut fünf Prozent der Gesamtemissionen knapp hinter der Stahlindustrie. Hier setzt ein Gutachten des Wuppertal Instituts2 im Auftrag der Krankenhausgesellschaft NRW (KGNW) an. Es untersucht, wie die Krankenhäuser an Rhein und Ruhr energetisch modernisiert werden können. Ein zweites Gutachten3 kalkuliert die voraussichtlichen Kosten.
Kliniken als Labore der Klimawende
Die Expertise des Wuppertal Instituts begreift Krankenhäuser als "Reallabore des bevorstehenden Transformationsprozesses": Von medizinischen Ressourcen über Energieversorgung, Mobilität und Ernährung bis hin zur Abfallentsorgung betreiben Kliniken einen riesigen Verwertungszyklus, dessen Nachhaltigkeit optimiert werden kann. So können bereits die Intensivstationen und OP-Bereiche eines Hauses mehr als 50 Prozent
der Treibhausgasemissionen ausmachen, Narkosegase rund 35 Prozent. Eine einzige Operation kann mehr Müll verursachen als eine vierköpfige Familie in einer Woche.
Die Wissenschaftler:innen entwerfen für die 337 Plankrankenhäuser in NRW das "Zielbild: ,Klimaneutrales Krankenhaus‘" mit drei Handlungsfeldern:
1. direkte Treibhausgasemissionen, etwa von Heizungsanlagen, Fuhrparks und Narkosegasen;
2. indirekte Emissionen aus Energiequellen wie Strom oder Fernwärme;
3. sämtliche Warenketten inklusive Arzneimittel und Speisen sowie die Mobilität von Beschäftigten, Patient:innen und Besucher:innen.
Die energetische Modernisierung bedarf steuernder Maßnahmen zur Vorbereitung und Begleitung. Dazu zählen Kommunikation nach innen und außen, Controlling und die Festlegung von Verantwortlichkeiten etwa durch ein Klimaschutzmanagement, führt die Studie aus.
Mit Baukasten zum klimaneutralen Krankenhaus
Die drei Handlungsbereiche werden baukastenartig durch zehn Maßnahmen realisiert, die dem Klimaschutz im Krankenhaus den erforderlichen Schub geben sollen (in Klammern der jeweilige Umsetzungshorizont). Die Maßnahmen im Überblick:
1. Klimaschutzmanagement (drei Jahre): Koordination sämtlicher Maßnahmen;
2. Photovoltaik (zwei Jahre): auf allen Dachflächen;
3. Wärme- und Kälteerzeugung (fünf bis zehn Jahre): mittels erneuerbarer Energien wie Geothermie, Holz, Biogas, Solarthermie;
4. Gebäudehüllensanierung (fünf bis zehn Jahre);
5. LED-Beleuchtung (zwei Jahre);
6. Heizungspumpensanierung (fünf Jahre): Ersatz von ineffizienten Zirkulations- und Umwälzpumpen für Wasser- und Heizkreisläufe durch Hocheffizienzpumpen;
7. Lüftungsanlagen (fünf bis zehn Jahre): dezentrale Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung;
8. Ohne Auto zum Krankenhaus (ein Jahr): Jobtickets mit Eigenbeteiligung, Fahrradabstellanlagen mit Ladepunkten;
9. E-Mobilität (drei Jahre): Ladeinfrastruktur für Elektro-Fahrzeuge;
10. Narkosegas (zwei Jahre): Vermeidung beziehungsweise Recycling klimaschädlicher Gase.
Gemäß der Studie geht die größte messbare Wirkung von den Maßnahmen des ersten Handlungsbereichs aus, die unmittelbar die im Klinikbetrieb entstehenden Emissionen betreffen, zum Beispiel Heizzentrale, Fuhrpark und Narkosegase. Hohe Bedeutung kommt auch der Photovoltaik zu: Diese Quelle erneuerbarer Energie könne überall in NRW effektiv ausgebaut werden. Den größten Investitionsaufwand und größten Effekt verbuchen Kliniken mit der energetischen Sanierung der Gebäudehüllen, also Dächer, Fassaden und Fenster. Als Faustformel gilt, dass sich mit Investitionskosten von 500 Euro pro Quadratmeter die benötigte Wärmeenergie halbieren lässt.
Einer Auswertung des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI)4 zufolge nutzen 92 Prozent der Kliniken Erdgas. Der durchschnittliche Gasverbrauch eines Krankenhauses beträgt jährlich rund 4,9 Millionen Kubikmeter. Angesichts der derzeitigen Energiekrise und der damit verbundenen enormen Preissteigerungen entwickelt sich dies zusätzlich zu einem großen Problem für Kliniken.
Investitionsvorhaben über 7,7 Milliarden Euro
Wenn die Maßnahmen konsequent umgesetzt werden, erreichen sie die von der Bundesregierung vorgegebenen Ziele der Treibhausgasreduktion für die Jahre 2030 (minus 65 Prozent), 2040 (minus 88 Prozent) und 2045 (Treibhausgasneutralität). Allerdings fallen hohe Kosten an. Genau damit beschäftigt sich die zweite von der Krankenhausgesellschaft NRW beauftragte Studie: Nach Berechnungen des hcb Institute for Health Care Business in Essen erfordert das für 2030 angepeilte Ziel einen Investitionsaufwand von 7,7 Milliarden Euro für die Plankliniken in NRW. Zur Erreichung der ehrgeizigen Klimaziele empfehlen die Autor:innen einen "Climate Boost" als Sofortprogramm.
Der Löwenanteil der Investitionsausgaben für das klimaneutrale Krankenhaus - 6,3 Milliarden Euro - entfällt auf die energetische Sanierung von Fassaden, Dächern und Fenstern, rechnet die Studie vor. Die Summe gliedert sich in 4,1 Milliarden Euro für den jahrelangen Modernisierungsstau und 2,2 Milliarden Euro für zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen. Die Krux: Aus der ohnehin bereits defizitären Investitionsfinanzierung zum Erhalt der Unternehmenssubstanz sind diese Mittel nicht aufzubringen, verschiedene Sondertöpfe von Ländern und Bund sind für eine klimaneutrale Krankenhausmodernisierung nicht vorgesehen.
Energiewende nur mit Klimafonds zu bewältigen
"Wir plädieren daher für einen Climate Boost, der für Krankenhäuser ein einziges administratives Verfahren schafft und der die Investitionsmittel zur Erreichung der Klimaziele zeitnah bereitstellt", besagt das Gutachten. Konkret beinhaltet der Vorschlag einen Klimafonds, der den Kliniken in NRW die erforderlichen Investitionen innerhalb von sieben Jahren zur Verfügung stellt. Die Aufgaben des Fonds sollten im Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und im Krankenhausgestaltungsgesetz NRW verankert sein. Mit dieser Bündelung, so die Expertise, sei eine unbürokratische und technologieoffene Vergabe gewährleistet.
Anmerkungen
1. Der Beitrag ist im Original in der BfS-Trendinfo 5/22 der Bank für Sozialwirtschaft, Köln, erschienen. www.sozialbank.de/news-events/publikationen/bfs-trendinfo/05-22
2. Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie: Zielbild: Klimaneutrales Krankenhaus. Abschlussbericht, Wuppertal, 2022. www.kgnw.de/download/wuppertal-institut-zielbild-klimaneutrales-krankenhaus-2022-03-30
3. HCB Institute for Health Care Business: Das klimaneutrale Krankenhaus. Finanzierungsmöglichkeiten von Umsetzungsmaßnahmen. Essen, 2022. www.kgnw.de/download/hcb-gutachten-finanzierungsmoeglichkeiten-umsetzung-klimaneutrales-krankenhaus-2022-03-30
4. Deutsches Krankenhaus Institut (DKI): Klimaschutz in deutschen Krankenhäusern: Status quo, Maßnahmen und Investitionskosten. Auswertung klima- und energierelevanter Daten deutscher Krankenhäuser. Düsseldorf, 2022. www.dkgev.de/fileadmin/default/Mediapool/1_DKG/1.7_Presse/1.7.1_Pressemitteilungen/2022/2022-07-19_DKI-Gutachten_Klimaschutz_in_deutschen_Krankenha__usern.pdf
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