Mehr Qualität für den offenen Ganztag
Bis zur Einführung des offenen Ganztags im Primarbereich im Jahr 2003 wurden Schulkinder in Nordrhein-Westfalen (NRW) in Kindertageseinrichtungen - den Horten - betreut. Dieser Entschluss der nordrhein-westfälischen Landesregierung, den offenen Ganztag einzuführen, löste damals bei der freien Wohlfahrtspflege einen Sturm der Empörung aus. Befürchtete man doch eher "Masse statt Klasse" bei diesem Modell, wenngleich die Landesregierung versprach, neben dem Ausbau an Plätzen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch die Bildungschancen von Schüler(inne)n deutlich verbessern zu wollen. Heute ist die Offene Ganztagsschule (OGS) aus der Bildungslandschaft in NRW nicht mehr wegzudenken. Fast alle Grundschulen in diesem Bundesland sind bereits Offene Ganztagsgrundschulen. Rund 80 Prozent der Plätze werden von Trägern der freien Wohlfahrtspflege unterhalten.1
Skepsis und Kritik an der qualitativen und finanziellen Ausgestaltung sind jedoch berechtigterweise geblieben. Und so macht die Caritas zusammen mit weiteren Verbänden der freien Wohlfahrtspflege seit Jahren auf eine fehlende gesetzliche Grundlage und unzureichende Regelungen zur fachlichen Qualität aufmerksam.2
Trotz dieser Mängel leisten die Träger im offenen Ganztag hervorragende Arbeit und sind verlässliche und unverzichtbare Partner. Die Kooperation von Schule und Jugendhilfe und weiteren außerschulischen Partnern wie zum Beispiel aus Kultur und Sport ist im Schulgesetz NRW und im Kinder- und Jugendförderungsgesetz verankert - bundesweit einmalig. Trotz der je anderen Ausgangslage von Jugendhilfe und Schule verfolgen beide Systeme das gemeinsame Ziel, qualitativ gute Angebote zu entwickeln und Bildung, Erziehung und Betreuung für alle Kinder zu ermöglichen.
Caritas in NRW fordert detailliertes Konzept
Für den Kitabereich wurden in NRW Bildungsgrundsätze für Kinder von null bis zehn Jahren entwickelt. Aus Sicht der Caritas sollte die OGS hier andocken. Eltern brauchen auch im Anschluss an den Kindergarten ein verlässliches und qualitativ gutes Angebot.
Die Vermittlung von non-formaler und informeller Bildung sollte Teil des Bildungsauftrags der OGS
sein. Zugleich muss es darum gehen, Teilhabe für Kinder zu ermöglichen und Bildungschancen zu verbessern.
Es gibt zurzeit nicht "das" Konzept des offenen Ganztags in NRW. Der Ganztagserlass sieht lediglich vor, dass sich der Zeitrahmen offener Ganztagsschulen im Primarbereich (§ 9 Abs. 3 Schulgesetz) an den Unterrichtstagen von spätestens 8 Uhr bis 16 Uhr (bei Bedarf auch länger), mindestens aber bis 15 Uhr erstreckt - einschließlich der allgemeinen Unterrichtszeit.3 Verbindliche Aussagen zu Gruppengröße, Raumgestaltung, Fachkraft-Kind-Schlüssel und generell zum Fachkräftegebot gibt es nicht; sie werden aber schon seit Jahren von der Caritas in NRW gefordert und sind in weiten Teilen deckungsgleich mit den Forderungen des Bundesverbands Caritas Kinder- und Jugendhilfe (BVkE).
Finanzierung nach Kassenlage führt zu Unterschieden
Finanziert wird der offene Ganztag durch Land und Kommunen sowie Elternbeiträge. Die Kommunen haben die Möglichkeit, die Elternbeiträge entweder als ihren Eigenanteil einzusetzen oder sie "on top" hinzuzufügen und je nach Kassenlage noch zusätzlich freiwillige Leistungen pro Platz und Jahr zu zahlen. Dadurch ergeben sich sehr uneinheitliche Finanzierungsstrukturen und damit große Unterschiede in der Qualität der OGS. Seit Jahren fordert die Caritas das Land NRW auf, eine angemessene Finanzierungsgrundlage für den offenen Ganztag zu gewährleisten - unabhängig vom jeweiligen Finanzstatus der Kommunen beziehungsweise der Kreise. Aufgrund der durch die Pandemie verursachten Kosten müssen und werden viele Kommunen in den kommenden Monaten sparen. Dies macht eine einheitliche gesetzliche Regelung seitens des Landes noch dringlicher.
Besorgniserregend ist zudem das Vorgehen der Gemeindeprüfungsanstalt NRW, die vermehrt Kommunen dahingehend berät, OGS-Verträge mit freien Trägern aus Kostengründen zu kündigen und neu auszuschreiben. Sollte diese Ausschreibungspraxis fortgeführt werden, wird dies für die Träger des offenen Ganztags zu kompletter Planungsunsicherheit führen und gleichzeitig einen Qualitätsverlust nach sich ziehen.
Als Anfang September 2021 nach dem Bundestag auch der Bundesrat grünes Licht für das Ganztagsförderungsgesetz gab, ist es noch zum Ende der bisherigen Legislaturperiode in Kraft getreten. Die Caritas in NRW begrüßt dies sehr, weil damit auch die Hoffnung auf vergleichbare Lebens- und Lernbedingungen für Kinder und eine qualitative Verbesserung der Ganztagsangebote in NRW mit festzulegenden Standards verbunden ist. Neben einer Verankerung im SGB VIII braucht es auf Länderebene jeweils Ausführungsgesetze. Den offenen Ganztag weg vom projektbezogenen Erlass zu einer gesetzlichen Grundlage zu überführen ist daher schon seit langem eine zentrale Forderung von Caritas und freier Wohlfahrtspflege. Nachdem nun der Rechtsanspruch gekommen ist, braucht NRW eine Vorlaufzeit, diesen umzusetzen. Noch fehlen Plätze, es fehlen Räume, die sich an den Bedürfnissen von Kindern orientieren, und es fehlt vor allem an Personal.⁴
Gerade während der Pandemie hat sich gezeigt, wie sehr Eltern und Kinder Angebote des offenen Ganztags schätzen und brauchen. Auch unter schwierigen Bedingungen haben die Mitarbeitenden mit viel Engagement die Arbeit vor Ort aufrechterhalten und bewiesen, dass sie in der Lage sind, sich auf aktuelle Notwendigkeiten und Entwicklungen einzustellen. Doch damit Kinder langfristig der Bildungsarmut entfliehen können und verbesserte Teilhabechancen keine Leerformel bleiben, braucht es ganzheitliche Bildungskonzepte, gut ausgebildete Mitarbeiter(innen) und für die Träger eine verlässliche Finanzierung.5
Anmerkungen
1. Bildungsberichterstattung Ganztagsschulen NRW, 2018. Download per Kurzlink: https://bit.ly/3tIEjIm
2. Siehe Positionspapier der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege zum Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung für Grundschulkinder, 2020. Download per Kurzlink: https://bit.ly/3lwl2WF
3. Bereinigte Amtliche Sammlung der Schulvorschriften NRW (BASS) 12-63 Nr. 2. RdErl. d. Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom 23. Dezember 2010, Download:
https://bass.schul-welt.de/11042.htm
4. Positionspapier der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege NRW, a. a. O., S. 4.
5. Der Artikel ist im BVkE-Info 3/2021 erschienen.
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