Klimatransformation der Caritas: Der Startschuss ist gefallen
Unter Klimawissenschaftler(inne)n herrscht seit 30 Jahren Einigkeit: Die Treibhausgasemissionen müssen drastisch sinken, und zwar - angesichts der bisherigen Ergebnisse - in kaum vorstellbarem Tempo. Wurden in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten die Emissionen jährlich um circa acht Millionen Tonnen CO2 verringert, so müssen die Reduktionen in den kommenden Jahren auf jährlich 70 Millionen Tonnen CO2 mehr als verachtfacht werden. Denn "mit Physik kann man nicht verhandeln", so die klare Aussage des renommierten Klimawissenschaftlers Mojib Latif. Die Klimakrise ist längst spürbar - nicht mehr nur in Ländern des globalen Südens. Und dennoch erleben wir nach wie vor ein manifestes Ambitions- und Umsetzungsdefizit. Die Delegiertenversammlung des Deutschen Caritasverbandes (DCV) im Jahr 2020 erkannte dieses Ambitionsdefizit und fasste den Beschluss, in den Bereichen Gebäude, Beschaffungswesen, Mobilität und Finanzanlagen bis zum Jahr 2030 Klimaneutralität zu erreichen (siehe neue caritas Heft 19/2020). Nun gilt es, das auch in den Reihen der Caritas wahrnehmbare Umsetzungsdefizit aufzulösen. Erforderlich ist ein systematischer Vorstoß, der auf die Reduzierung von Treibhausgasemissionen, aber auch auf die Veränderung von Bewusstsein, Strukturen, Abläufen, finanziellen Rahmenbedingungen und den Aufbau des erforderlichen Know-hows abzielt.
Was bisher geschah
Gut besuchte, knapp gehaltene, informative virtuelle Fortbildungsveranstaltungen in den Bereichen Gebäude, Mobilität, Finanzierung, Photovoltaik-(PV)-Anlagen, Klimabilanzierung oder Klimamanagement legten inhaltliche Grundlagen und sorgten für erste Vernetzungen zwischen unterschiedlichen Standorten und Verbänden nicht nur in der Caritas. Auf www.klima.caritas.de sowie im Carinet werden Informationen geteilt, über den Newsletter beworben. Um den fachspezifischen Austausch zu stärken, finden zu den einzelnen Themen - etwa im Achtwochenabstand -regelmäßige Netzwerktreffen statt, jeweils angereichert mit externem Input. Die Resonanz ist überaus positiv, ein ermutigendes Signal, diesen Weg weiterzugehen.
Caritas und Diakonie planen Klimaschutz-Projekt
Darüber hinaus sollen jeweils 50 Standorte im Rahmen des Projekts "Klimaschutz in Caritas und Diakonie" auf ihrem strategisch angelegten und systematisch auszuarbeitenden Weg zur Klimaneutralität begleitet werden.1 Fachliche Unterstützung erhalten die Standorte durch die Kooperationspartner Öko-Institut und die Agentur "KATE" (siehe Artikel von König/Vötsch, S. 14 ff. in diesem Heft). Geplanter Projektstart ist der 1. Juli 2022 mit einer Laufzeit von drei Jahren.
Die 100 Piloteinrichtungen werden intensiv dabei unterstützt, ein betriebliches Klimamanagement einzuführen (Strategie, Qualifizierung, Umsetzung, Datenmessung). Die Begleitung der Piloteinrichtungen dient auch dazu, Materialien und Instrumente zu entwickeln und Erkenntnisse für eine Gesamtstrategie in den beiden Verbänden abzuleiten. Dazu gehören ein Online-Klimaportal für klimaschutzrelevante Daten, Online-Qualifizierungen und der Aufbau und die Pflege eines Portals rund um das Thema Klimatransformation. Auf diese Weise wird das Ziel der Klimaneutralität verbändeweit verankert und die weitere Skalierung der Methoden und Instrumente ermöglicht.
Die Resonanz auf das Interessensbekundungsverfahren überraschte. 100 Verbände, Träger und Einrichtungen der Caritas bewarben sich als Projektstandort, teilweise fungieren sie als Multiplikator für eine Anzahl weiterer Einrichtungen. Zusammen arbeiten bei ihnen rund 70.000 Beschäftigte. Nicht alle Interessent(inn)en können Projektstandort im engeren Sinne werden, da Einzelberatungen nur für die jeweils 50 Standorte im Projekt refinanziert und personell leistbar sind. Skalierbare Hilfen wie Materialien, Arbeitshilfen oder Austauschformate werden hingegen allen interessierten Standorten zur Verfügung gestellt. Geprüft wird zudem die Möglichkeit eines gegebenenfalls kostenpflichtigen Zugangs zum Online-Klimaportal, um den Wissenshub nutzen zu können, Klimadaten zu erfassen und Online-Qualifizierungen anzubieten.
Vielerorts wird das Thema in die Zukunft verschoben
Die positive Resonanz aus dem Verband und die damit verbundene Aufbruchstimmung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass mitnichten an allen knapp 25.000 Standorten die Veränderungstiefe sowie die erforderliche Geschwindigkeit hin zur Klimaneutralität erkannt wurde. An allzu vielen Standorten wird die Transformationsherausforderung als "optional" qualifiziert oder in die Zukunft verschoben. Doch weiteres Abwarten ist weder ethisch vertretbar noch betriebswirtschaftlich vernünftig. Steigende Energie- und Emissionspreise, verschärfte Standards in Bezug auf Gebäudebeschaffenheit oder Fahrzeugflotten werden auch die Budgets der Dienste und Einrichtungen der Caritas zunehmend tangieren. Nichtstun ist volks- wie betriebswirtschaftlich auf mittlere Sicht die teuerste Variante. Doch die Herausforderung bleibt riesig, eine breitenwirksame Sensibilisierung und Mobilisierung insbesondere von Führungskräften in der Caritas zu erreichen, damit der Beschluss der Delegiertenversammlung Wirklichkeit wird. Stärkerer finanzieller Rückenwind seitens der Politik wird nötig sein. So setzt sich der DCV gemeinsam mit den anderen Wohlfahrtsverbänden zum einen für die deutliche Ausweitung der Klimaschutzförderung ein, um den gewaltigen Investitionsstau im Bereich energieeffizienter Gebäudemodernisierung aufzulösen, und zum anderen für die finanzielle Anerkennung von klimagerechtem Handeln in den Entgelt- und Zuwendungsverhandlungen mit den Kostenträgern (vor allem in den Sozialgesetzbüchern).
Die Vielfalt in der Caritas ist Herausforderung und Inspiration zugleich. Wiewohl es keinen Verband und keinen Akteur gibt, der die Klimatransformation bisher systematisch in allen relevanten Bereichen auf den Weg brachte, gibt es doch in allen Themenfeldern gute Beispiele, die es zu kopieren lohnt. Eine kleine Auswahl:
Prozessmanagement: Diözesan-Caritasverband Limburg
Mit dem Programm "Klimastarter 22" begleitet der Diözesan-Caritasverband (DiCV) Limburg 22 Standorte mit insgesamt 100.000 Euro bei den ersten Schritten zu mehr Klimaschutz - ganz konkret mit der Erstellung einer ersten Klimabilanz und eines ersten Klimaprogramms mit Zielen und daraus abgeleiteten Maßnahmen.
Gebäudesanierung: Stabsstelle Bauwesen des DiCV Münster
Seit Anfang vergangenen Jahres gibt es eine Beratungsstelle beim DiCV Münster, die allen seinen Mitgliedern für Beratung und Projektbegleitung bei Neu-, Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen subsidiär zur Verfügung steht. Es geht um Ressourcenschonung durch optimierten Materialeinsatz, Effizienzsteigerung, Austausch von alten Wärmeerzeugern gegen hocheffiziente Technik und vieles mehr.
Photovoltaik: DiCV Fulda
Im DiCV Fulda gibt es kaum ein Dach ohne PV-Anlage. Möglich gemacht hat dies ein Einrichtungsleiter, der die klimarelevanten wie auch finanziellen Vorteile systematisch zu nutzen weiß. Mit den Mehreinnahmen aus der Einspeisevergütung werden soziale Projekte finanziert, für die es keine Refinanzierung gibt. Auch der DiCV Hildesheim baut auf eigenen wie gepachteten Dächern Photovoltaikanlagen.
Mobilität: Caritas Paderborn
Eine Mobilitätswende ist in Bereichen, die bisher stark vom motorisierten Individualverkehr (MIV) abhingen, wie beispielsweise Sozialstationen, nicht trivial. Der Caritasverband Paderborn geht das Thema systematisch an, verändert Dienstpläne, damit die Touren auch mit E-Bikes bewältigbar sind, und nutzt den eigenen PV-Strom für die Aufladung der E-Auto-Flotte.
Beschaffung: Landes-Caritasverband (LCV) für Oldenburg
Der Verband erhielt im Jahr 2020 das Zertifikat "Zukunft einkaufen - Glaubwürdig wirtschaften im Bistum Münster" sowie den damit verbundenen Titel "Öko-Faire Einrichtung". Die Bereiche Beschaffung, Bewirtung, Ausstattung, Reinigung und Entsorgung wurden nach umweltverträglicheren Kriterien neu organisiert.
Exkurs: Was machen die anderen Wohlfahrtsverbände?
Die Caritas ist nicht der einzige Verband, der sich auf dem Weg zur Klimatransformation befindet. Die Diakonie will mit ihren 5000 Rechtsträgern bis zum Jahr 2035 klimaneutral werden, die AWO vor dem Jahr 2040. Im Projekt "klimafreundlich pflegen" untersuchen sie exemplarisch den erfolgversprechendsten Weg am Beispiel von Pflegeeinrichtungen. Sie gelangten zur überaus hilfreichen Erkenntnis, dass durch einen Pflegeheimplatz im Durchschnitt acht Tonnen CO2 pro Jahr emittiert werden, die Hälfte davon ist auf die Verpflegung zurückzuführen. Der Ausstoß von einer Tonne CO2 gilt als klimakompatibel.
Der Paritätische Gesamtverband begleitet im Rahmen des Projekts "Klimaschutz in der sozialen Arbeit stärken" Mitgliedsorganisationen dabei, ihren CO2-Fußabdruck zu analysieren, Reduktionsmöglichkeiten zu identifizieren und umzusetzen. Klima-Scouts in jeder Einrichtung treiben den Prozess voran. Das DRK engagiert sich neben internationalem Klimaschutz bei der Klimaanpassung in der Kindertagesbetreuung, vornehmlich durch Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit.
Wie weiter?
Der Startschuss ist gefallen. Nun geht es darum, den Marathon zu laufen und bis 2030 erfolgreich zu beenden. Entscheidungen der jeweiligen Führungskräfte, entsprechendes Projektmanagement an den Standorten, starke (Austausch-)Netzwerke im Verband, strategische Weitsicht, Kommunikation, Wissensgenerierung und Konsequenz, auch wenn andere Themen die Agenda bestimmen, sind die "Energizer", die es hierfür braucht.
Anmerkung
1.Vorbehaltlich der noch ausstehenden Bewilligungdurch das Bundesumweltministerium (BMU) im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative (NKI).
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