Kirchliches Arbeitsrecht braucht positive Perspektiven
Redet man über die Reform der Grundordnung (GrO), so stellt sich vorrangig die Frage, was "katholisches" Arbeitsrecht überhaupt leisten kann, wenn es religionsspezifische Abweichungen vom allgemeinen Arbeitsrecht festlegt. Dazu ist zunächst die Philosophie der GrO zu studieren, um dann die Instrumente des Arbeitsrechts zu analysieren und sie mit dem konkret juristischen, das heißt arbeitsrechtlichen Gehalt der GrO zu vergleichen.
Aus der Präambel der Grundordnung geht hervor, dass "außer den Erfordernissen, die durch die kirchlichen Aufgaben und Ziele gegeben sind", man "auch den Grundnormen gerecht werden" müsse, "wie sie die katholische Soziallehre für die Arbeits- und Lohnverhältnisse herausgearbeitet hat". Das sind hehre Worte, die das normale Arbeitsrecht gewissermaßen theologisch-philosophisch überwölben, ohne dass ganz klar wird, wie sich dadurch das - wohlgemerkt weltliche - Arbeitsverhältnis für normale Beschäftigte in der Kirche und ihren Einrichtungen verändern sollte. Um "echtes" Kirchenrecht geht es hier gerade nicht - dieses gilt ja hauptsächlich für die Beschäftigung der Priester - verkörpert durch den Canon Iuris Canonici (CIC).1 Das Gegenteil lässt die ausufernde Kündigungs-Regelung des Art. 5 GrO vermuten: Anscheinend müssen Beschäftigte im kirchlichen Arbeitsverhältnis einige Zumutungen im Hinblick auch auf ihr Privatleben schlucken, liest man diese Norm genauer.
Philosophie der Grundordnung - ein Salto rückwärts
Anders könnte man die Grundordnung
verstehen, wenn nur die "Grundprinzipien" des kirchlichen Dienstes und die Legaldefinition der sogenannten "Dienstgemeinschaft" in Art. 1 GrO betrachtet werden. Beachtlich ist hier die Betonung des sogenannten "Sendungsauftrags", der durch alle in der katholischen Einrichtung Tätigen "ohne Rücksicht auf die arbeitsrechtliche Stellung" in je unterschiedlicher Weise verwirklicht werde - also jede(r) nach ihren/seinen Fähigkeiten und Kräften. Das klingt gut. Damit wird eine scheinbare Homogenität kirchlicher Arbeitsverhältnisse als Basis und Grund des Sendungsauftrags betont. Der zweite Satz lädt dann aber zu Überhöhungen der Dienstgemeinschaft ein: Denn nichts weniger als "Zielsetzung und Tätigkeit, Organisationsstruktur und Leitung der Einrichtung" hätten sich vor allem zu orientieren an der Glaubens- und Sittenlehre ebenso wie der Rechtsordnung der katholischen Kirche. Also doch das Primat der Theologie? Hier bleibt rätselhaft, was diese Sätze konkret sagen wollen, befasst sich die GrO ja bekanntlich mit kirchlichen Arbeitsverhältnissen in einem weltlichen Umfeld auf der Basis weltlichen Arbeitsrechts. Der Salto in Art. 1 Satz 2 GrO möchte möglichst alle katholischen Prinzipien2 mit den weltlichen Prinzipien des Arbeitsrechts versöhnen - da kann eine Landung schon mal misslingen, zumal nicht klar ist, wo derartige Prinzipien niedergelegt sind - also ein Salto rückwärts.
Konfliktlösung als Aufgabe des Arbeitsrechts
Das Arbeitsrecht im eigentlichen Sinn kennt demgegenüber weniger philosophische Überhöhungen als eine Vielzahl von Rechtsregeln, die sich mit den Bedingungen abhängiger Beschäftigung befassen und dabei die "persönliche Abhängigkeit" der Arbeitnehmer(innen) vom Arbeitgeber durch ausgefeiltes Schutzrecht zu kompensieren suchen. Dazu gehört insbesondere ein starker Kündigungsschutz, der in § 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) nur generalklauselartig geregelt ist, jedoch den Schwerpunkt der arbeitsgerichtlichen Streitschlichtung beziehungsweise -entscheidung ausmacht. Als Dauerschuldverhältnis verfügt das Arbeitsverhältnis über eine besondere Zeit- und Pflichtenstruktur, gekennzeichnet durch besonders intensive Verhaltenspflichten, die man früher einfach "Treuepflichten" nannte (erst recht, wenn religiöse Gesinnung als Geschäftsgrundlage galt). Die ökonomische Theorie spricht von einem "unvollständigen" beziehungsweise "offenen" Vertrag, der wegen seiner langen Dauer die ständige Anpassung an wechselnde Bedürfnisse erfordert. Juristische Ressourcen stützen dabei in der Regel einseitig den Arbeitgeber. Mit Hilfe von Fachanwält(inn)en, die sich um Restrukturierung (= Personalabbau), Transaktionen (= Betriebsübergang mit gegebenenfalls schlechteren Bedingungen) oder "Low Performer" (= wie kann denen gekündigt werden?) kümmern, wird das Feld der Konfliktprävention, Personalführung und innerbetrieblichen Schlichtung regelmäßig vom Arbeitgeber beherrscht. Aber immerhin gibt es - in viel zu wenig Unternehmen - noch Betriebsräte, die dem Arbeitgeber Kompromisse abverlangen. Zudem zeigt die wichtige Einigungsstelle in Unternehmen mit Betriebsrat den rechten Weg für eine redliche Konfliktaustragung und -lösung.
Einen positiven Kontrapunkt setzt der kirchliche Bereich insoweit, als dort ein deutlich dichteres Netz von Mitarbeitervertretungen als bei den Betriebsräten dank der zwingenden Norm des § 1 a Abs. 1 MAVO geknüpft werden konnte.
Konfliktprävention sollte Juristen allein nicht überlassen werden
Wenn wir aber von vorsorgender Konfliktprävention sprechen, ist das Arbeitsrecht eigentlich (noch) nicht gefragt. Vorzugsweise sollte besonders in kirchlichen Einrichtungen eine "Unternehmensethik" verankert sein, die es ermöglichen könnte, harte arbeitsrechtliche Maßnahmen schon im Vorfeld zu vermeiden. Allerdings kann dies auch eine Grundordnung nicht "verordnen", obschon in Art. 5 Abs. 1 GrO lobenswerterweise dargelegt wird, dass die Krisen-Beratung Vorrang vor der Abmahnung hat. Gerade das wird caritativen Einrichtungen mit zum Beispiel erzieherischer, psychologischer oder medizinisch-pflegerischer Zielsetzung sehr nahe liegen, wird man dort nicht nur mit Schüler(inne)n, Klient(inn)en und Patient(in-
n)en nach den Regeln ihrer Kunst sach- und menschengerecht umgehen, sondern ganz genauso auch im inneren Kreis mit Kolleg(inn)en.
Welche Funktion hat die Grundordnung wirklich?
Misst man die Grundordnung an ihrem juristisch "harten" Gehalt, dann zeigen sich neben der Geltungsfrage ("Ob"-Frage, vgl. Art. 2) vorrangig Regelungen zum einzelnen Arbeitsverhältnis ("Wie"-Frage, vgl. Art. 3 bis 5), also Einstellungs- und Kündigungsnormen sowie besondere Verhaltensnormen ("Loyalitätsobliegenheiten"). Die weiteren Normen verstehen sich als Hinweise vor allem auf besondere Regelungen des kollektiven Arbeitsrechts, die von Kommissionen ("KODA") als Quasi-Tarifkommissionen beziehungsweise von Mitarbeitervertretungen als Betriebspartnern (mit-)gestaltet werden (Art. 6 bis 8). Das sind "echte" kirchliche Besonderheiten im Arbeitsrecht. Bemerkenswert bleibt aber für potenzielle Bewerber(innen), dass der schon textlich übermäßig aufgeplusterte Kündigungs-Artikel 5 eine "Drohkulisse" aufbaut, die eigentlich nur dann sinnvoll erschiene, wenn es entsprechend häufig vom rechten Weg abirrende Mitarbeitende gäbe, denen eine Warnung mit auf den Weg gegeben werden soll. Doch dem ist in Wirklichkeit nicht so. Schon die kirchenkritische Öffentlichkeit in Gestalt "besorgter" Medien konnte in den letzten circa zehn Jahren keinen einzigen "Skandal" mehr vermelden. Eine interne Umfrage des Verbandes der Diözesen Deutschlands (VDD) hat dies dem Vernehmen nach bestätigt. Was bedeutet das? Braucht es diese "Kündigungs-Orgie" in Art. 5 GrO also wirklich?
Die Antwort heißt klar: nein. Das weltliche Arbeitsrecht begnügt sich hier mit einer Generalklausel ohne jede Drohkulisse. Erst recht sollte dies eine kirchliche Ordnung vermitteln. Die Absätze 2 bis 5 des Art. 5 GrO sollten, wenn nicht gestrichen, wenigstens deutlich entschärft und gekürzt werden. Katholische Mitarbeiter(innen) dürfen hier auch nicht anders behandelt werden als nichtkatholische. Die feineren Abwägungsfragen, die jeder Kündigungsprüfung immanent sind, müssen nicht in dieser Ausführlichkeit in der Grundordnung aufscheinen, sind sie doch Allgemeingut der richterlichen Praxis.
Positive Perspektiven entwickeln
So ist es nicht abwegig, wenn hier - ausgehend von der Bergpredigt - verhaltenssteuernde Regeln in dem Sinne angeregt werden, der in Art. 5 Abs. 1 GrO aufscheint und bekenntnisgemäß der sogenannten "Goldenen Regel" (Matth. 7, 12) im Vorfeld des Arbeitsrechts Raum verschaffen kann: "Behandle deine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stets so, wie du selber von ihnen behandelt werden möchtest."
Anmerkungen
1. Wobei der CIC aber auch Mitarbeiter(innen) im "besonderen kirchlichen Dienst", zum Beispiel Pastoralreferent(inn)en und Religionslehrer(innen) kennt (c. 146 beziehungsweise 147 CIC), die ja ein Kirchenamt versehen. Dagegen werden die einfachen Mitarbeitenden im allgemeinen kirchlichen Dienst gemäß c. 1286 CIC angehalten, das weltliche Arbeitsrecht "genauestens gemäß den von der Kirche überlieferten Grundsätzen zu beachten".
2. Dazu kann man in der Enzyklika "Laborem exercens" von Johannes Paul II. (1981) allgemeine Hinweise zum Beispiel über die Personwürde des arbeitenden Menschen finden, doch bezieht sich das wie sonst auch auf die Gestaltung des Arbeitsrechts ganz allgemein; ein spezifisches Kirchenarbeitsrecht wie in der GrO findet sich nur in Deutschland.
Grundordnung: Korsett lockern
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