Engagement von Geflüchteten fördert Zusammenhalt
Ich möchte etwas von der Unterstützung, die ich in Deutschland erfahren habe, zurückgeben." Dieser Wunsch ist Ausdruck einer Engagementbereitschaft von Menschen mit Fluchtgeschichte, die in den vergangenen Jahren an vielen Standorten der Caritas deutlich geworden ist. Menschen, die selbst als Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind und unterstützt wurden, setzen ihre Potenziale und Erfahrungen ein, um zu helfen und sich ehrenamtlich zu engagieren.
Die zunehmende Bedeutung von ehrenamtlichem Engagement von Menschen mit Fluchterfahrung ist vor allem im Zuge der Coronapandemie noch deutlicher zum Vorschein gekommen. Hier unterstützten jüngere geflüchtete Menschen ältere Menschen aus Risikogruppen. Sie übernahmen zu Beginn der Pandemie zum Beispiel Einkaufsdienste, nähten Stoffmasken, schrieben Briefe oder verschickten Aufmerksamkeiten an Menschen, die aufgrund des Lockdowns zu Hause bleiben mussten.1 Geflüchtete treten also nicht nur als Empfänger(innen) von Unterstützung, sondern vermehrt auch als Engagierte in Erscheinung. Engagement im Bereich Flucht und Asyl ist also längst nicht mehr nur ein Engagement "für" Geflüchtete, sondern vermehrt auch ein Engagement "von" Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte.
Chancen, in der Gesellschaft
anzukommen
Diese Beobachtung einer erhöhten Engagementbereitschaft deckt sich auch mit Datenerhebungen aus entsprechenden Studien.2 In Auswertungen des Bundesfreiwilligensurvey von 2014 zeigte sich bereits, dass die Engagementbereitschaft unter den befragten Menschen mit Zuwanderungserfahrung sowie deren Nachkommen im Vergleich zu den Befragten ohne solchen Hintergrund sogar höher ist3, besonders unter den Befragten mit eigener Zuwanderungserfahrung und ohne deutsche Staatsangehörigkeit.
Worauf lässt sich diese erhöhte Motivation zurückführen? Warum möchten sich Menschen mit Migrations- oder Fluchterfahrung engagieren? Sowohl bisherige Studien als auch Erfahrungen aus der Projektarbeit deuten auf eine Kombination unterschiedlicher Gründe hin. Zunächst einmal kann die hohe Motivation als Zeichen für den starken Wunsch angesehen werden, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und dieses mitzugestalten. Engagement bietet gleich auf mehreren Ebenen Chancen, in einer Gesellschaft anzukommen. Zum einen bietet es die Möglichkeit, Menschen außerhalb der eigenen Community kennenzulernen und soziale Kontakte zu knüpfen.4
Ein weiterer motivierender Faktor ist das Gefühl der Selbstwirksamkeit.5 Viele Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, haben aufgrund der Flucht nicht nur Materielles verloren, sondern auch ihren sozialen Status und die damit verbundene gesellschaftliche Anerkennung. In vielen Fällen können sie ihren erlernten Beruf zunächst nicht ausüben. Ein Engagement kann ihnen das Gefühl vermitteln, wieder Einfluss auf das eigene Leben nehmen zu können. Es bietet die Chance, die eigenen Stärken und Fähigkeiten sinnvoll einzusetzen. Langfristig kann dadurch auch das Gefühl von Zugehörigkeit und die Identifikation mit dem Gemeinwesen gestärkt werden.
Ein dritter Faktor, der bei der Engagementbereitschaft von Menschen mit Migrationsgeschichte eine Rolle spielt, ist der Erwerb von Kompetenzen und Fähigkeiten, die insbesondere auf dem Arbeitsmarkt relevant sein können. So können sie nicht nur ihre deutschen Sprachkenntnisse verbessern, sondern beispielsweise auch Teamfähigkeit oder Empathie unter Beweis stellen. Sie können etwa muttersprachliche Fremdsprachenkenntnisse oder eigene Erfahrungen im Umgang mit Behörden oftmals gewinnbringend einsetzen. Gerade im Bereich Flucht und Migration können sie als Multiplikator(inn)en oder Vermittler(innen) agieren und mit ihrem Wissen andere Menschen beim Ankommen unterstützen. Insofern kann Engagement nicht nur ein Mehrwert für die Geflüchteten sein, sondern durch das Einbringen neuer Ideen, Kompetenzen und Erfahrungen auch für die Gesellschaft.
Traditionelles Engagement
weniger stark ausgeprägt
Trotzdem ist das (traditionelle) freiwillige Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund im Vergleich zu Menschen ohne Migrationshintergrund weniger stark ausgeprägt. Laut Freiwilligensurvey des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) 20196 engagierten sich 2019 27 Prozent der Personen mit Migrationshintergrund und 44,4 Prozent ohne Migrationshintergrund. Auch bei den Personen mit Migrationshintergrund gibt es große Unterschiede (s. Tabelle unten).
Es scheint, dass Gründe, die einem Engagement von Geflüchteten oder von Menschen mit Migrationshintergrund allgemein entgegenstehen, über die Zeit abgebaut oder weniger gewichtig werden. Zur Einordnung dieser Daten muss beachtet werden, dass es neben dem Faktor "Migrationshintergrund" viele weitere Faktoren gibt, die mit niedrigerem Engagement einhergehen. Darunter fallen zum Beispiel ein geringeres Bildungsniveau, Erwerbslosigkeit oder ein geringeres Haushaltseinkommen. Diese Faktoren sind wiederum mit dem "Migrationshintergrund" verbunden, so dass hier eine Gemengelage von Lebenslagen entscheidend sein dürfte. Zum anderen spielen möglicherweise informelle Engagementformen eine große Rolle, wie die gegenseitige Unterstützung innerhalb von "Communitys", die außerhalb von organisiertem Engagement stattfindet und so seltener statistisch erfasst wird.
Mögliche Barrieren identifizieren
Studien, die sich mit den Gründen für ein geringeres Engagement befassen7, benennen häufig: sprachliche Barrieren, fehlende finanzielle Ressourcen und prekäre Erwerbslagen. Davon betroffene Menschen haben notgedrungen häufig andere Prioritäten: die Sicherung der Existenz, die Suche nach einem Arbeitsplatz, möglicherweise nur kurzfristige Planungssicherheit, das Erlernen der Sprache, das Kennenlernen der neuen Umgebung etc. Auf der anderen Seite werden "fehlende Gelegenheiten" als mögliche Barrieren identifiziert - etwa dann, wenn es darum geht, ob die Engagementmöglichkeiten bekannt, erreichbar und finanzierbar sind, welche persönlichen Voraussetzungen dafür notwendig sind oder ob die Engagementstrukturen (Vereine, Verbände etc.) und ihre Akteure für Menschen in verschiedenen Lebenslagen offen sind.
Erfahrungen zeigen, dass die Hemmnisse, die einem Engagement von Geflüchteten entgegenstehen, oft auch Probleme bereiten können, wenn Engagement zustande kommt. So sind bei geringen deutschen Sprachkenntnissen nicht alle Formen des Engagements geeignet und/oder es braucht eine niedrigschwellige Heranführung. Gleichzeitig ist es wichtig, dass ein möglicherweise vorzeitig beendetes Engagement von Geflüchteten nicht dazu führt, dass Stereotype und Vorurteile bedient werden.
Dies macht klar, wie wichtig eine gezielte und bedarfsgerechte Förderung und Begleitung des Engagements ist, um Menschen mit unterschiedlichem Erfahrungshintergrund dafür zu gewinnen. Zentral scheint dabei die persönliche Ansprache, die Möglichkeiten des Engagements aufzeigt und Raum für das Einbringen eigener Ideen lässt. Gelingt eine solche Förderung des Engagements, so kann dies einen wertvollen Beitrag leisten, um Zusammenhalt und Solidarität in einer von Vielfalt geprägten Gesellschaft zu stärken.
Anmerkungen
1. Siehe auch: Dihle, H.: Corona: Engagement von Ge-
flüchteten. In: Sozialcourage Heft 4/2020, Migrationsmagazin, S. 1.
2. Simonson, J.; Vogel, C.; Tesch-Römer, C. (Hrsg.): Freiwilliges Engagement in Deutschland - der Deutsche Freiwilligensurvey 2014. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2016.
3. Laut Befragung gaben 13,6 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund an, sich "sicher engagieren" zu wollen, während der Anteil bei Menschen ohne Migrationshintergrund nur bei 10,8 Prozent lag. Ebd., S. 595.
4. Siehe auch: Vogel, C.; Simonson, J.; Tesch-Römer, C.: Freiwilliges Engagement und informelle Unterstützungsleistungen von Personen mit Migrationshintergrund. In: Simonson, J. et al. (Hrsg.): Freiwilliges Engagement in Deutschland, Empirische Studien zum bürgerschaftlichen Engagement. 2017, S. 602.
5. Speth, R.: Engagiert in neuer Umgebung: Empowerment von geflüchteten Menschen zum Engagement. (Opuscula, 108). Berlin: Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft, 2018. Kurzlink: https://bit.ly/3sJ1Om2
6. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Freiwilliges Engagement in Deutschland. Zentrale Ergebnisse des Fünften Deutschen Freiwilligensurveys. FWS, 2019. Freiwilliges Engagement in Deutschland (bmfsfj.de) sowie in der Langfassung unter Kurzlink: https://bit.ly/3sHYMOL
7. Für eine Übersicht siehe den Abschlussbericht der Fachkommission Integrationsfähigkeit 2021 unter dem Kurzlink: https://bit.ly/3HnxG3U
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