Wirken sich Investitionen in Neubauten auf das Befinden der Klienten aus?
Das Projekt Wirkungskontrolle der St. Augustinus-Behindertenhilfe gGmbH in Neuss zielt darauf ab, die Auswirkungen von Neubauprojekten auf die Klient(inn)en zu erfassen und zu prüfen, ob die Investitionen das angestrebte Ziel bewirken. Die Einrichtung der Behindertenhilfe bietet professionelle Dienstleistungen zur Teilhabe, Selbstbestimmung und Zufriedenheit der Klient(inn)en im Rahmen der vereinbarten Leistungen (im individuellen Hilfeplan beziehungsweise Bedarfserhebungsinstrument NRW).
Das mit Fördergeldern finanzierte Projekt des Neubaus eines Wohnheims wurde mit einem Fragebogen begleitet, um Teilhabe, Selbstbestimmung und Zufriedenheit der Klient(inn)en zu erfassen. Dies wurde dreimal erhoben, vor dem Einzug sowie ein halbes und 2,5 Jahre nach dem Einzug. Der Fragebogen wurde in Anlehnung an das Konstrukt Lebensqualität1 entwickelt. Erfasst wurden Alter und Geschlecht (unabhängige Variablen) sowie die Angebotsnutzung, benötigte Unterstützungsbereiche, Unterstützungssysteme (wer die Unterstützung erbringt), die wahrgenommene Selbstbestimmung, die wahrgenommene Zufriedenheit und die Zufriedenheit mit dem neuen Haus. Entweder wurden die Klient(inn)en selbst oder deren Angehörige befragt, gegebenenfalls mit Unterstützung von Mitarbeitenden. Eine zweite Variante waren Gruppeninterviews mit vier bis fünf Klient(inn)en, unterstützt von zwei bis drei Mitarbeitenden.
Unterschiedliche Fragebögen
Der erste Fragebogen besteht aus drei Teilen auf fünf Seiten. Im ersten Teil werden 42 Fragen zur Nutzung von Angeboten der Gemeinde/Kommune mit einer Unterteilung der Nutzung mit oder ohne Hilfen gestellt. Im zweiten Teil werden anhand verschiedener Tätigkeiten/Themen (49 Items) erfragt,
◆ ob grundsätzlich ein Unterstützungsbedarf besteht,
◆ wer die Unterstützungsleistung erbringt,
◆ ob diese Hilfe als selbstbestimmt erlebt wird,
◆ wie die Zufriedenheit mit der Unterstützungsleistung bewertet wird.
Im letzten Teil wird die Zufriedenheit mit den subjektiven und objektiven Faktoren mit dem Leben im neuen Haus erfasst (14 Fragen).
Nach der zweiten Befragung wurde der Fragebogen inhaltlich angepasst. Die Themen blieben gleich, aber die Fragen waren übergreifend und nicht mehr detailliert formuliert. Der überarbeitete Fragebogen umfasst noch drei Seiten.2
Weniger Bereiche mit
Barrieren wahrgenommen
Die 16 Befragten waren in der Mehrheit weiblich (10). Der Altersdurchschnitt lag bei 35,4 Jahren. Die Auswertung ergab, dass die wahrgenommene beziehungsweise beschriebene Selbstbestimmung stark zwischen den Maximalwerten variiert und ansteigt (2018: 2,8; 2019: 2,5; 2021: 1,7)3. Es gab einen deutlichen Sprung von 2019 zu 2021 (eineinhalb zu zweieinhalb Jahren nach Einzug). Die wahrgenommene Zufriedenheit steigt ebenfalls im Durchschnitt (2018: 1,9; 2019: 1,7; 2021: 1,1)3. Die Streuung ist hier gering. Die Angaben zur Teilhabe sind nur für 2018/2019 vergleichbar. In der Wahrnehmung sind weniger Bereiche mit Barrieren vorhanden. Manche Bereiche sind für die Klient(inn)en nicht relevant (zum Beispiel Theater oder Kirchen). Der veränderte Fragebogen beinhaltet für 2021 nur noch die Kategorien zur Teilhabe (medizinische Versorgung oder ÖPNV statt die Auflistung Bus, Straßenbahn, Zug).
Die Befragung zur Zufriedenheit mit dem Haus erfolgte ab dem Einzug und liegt daher für die Befragungen 2019 und 2021 vor. Zuvor haben die Klient(inn)en bei den Eltern oder in einer anderen Einrichtung gewohnt. Die Klient(inn)en sind weitestgehend zufrieden mit dem neuen Haus, der Lage etc. Die Zufriedenheit ist leicht gestiegen.
Vergleicht man die Befragungsergebnisse zu verschiedenen Zeitpunkten, so zeigt sich:
◆ Der Hilfebedarf vor und nach dem Einzug wurde sehr ähnlich eingeschätzt.
◆ Die Anzahl der Bereiche steigt, in denen andere als die Hauptunterstützer tätig sind.
◆ Das Unterstützungssystem wurde mit dem Einzug größer.
◆ Die Selbstbestimmung und die Zufriedenheit wurden größer.
Kritische Aspekte
Die Befragung hält wissenschaftlichen Maßstäben nicht stand (unterschiedliche Befrager, zwischenzeitliche Anpassung des Fragebogens, Klientenwechsel, keine klassische Testvalidierung, keine gruppendynamische methodenkritische Auseinandersetzung etc.). Mit Beginn der Coronapandemie zur dritten Befragungsphase war die Teilhabe eingeschränkt. Die Orientierung an einer praxistauglichen Entwicklung und Umsetzung eines Evaluationsinstruments rechtfertigen jedoch die Abweichung von harten, wissenschaftlichen Standards.
Die Befragungsreihe zeigt folgende Ergebnisse:
◆ Sowohl Selbstbestimmung als auch Zufriedenheit, Teilhabe und Anzahl der Unterstützungssysteme nehmen zu. Je nach Leistungsvermögen der Einrichtung kann dies auch beim Einzug in eine Einrichtung zu mehr Teilhabe führen. Institutionalisierung und Fremdbestimmung müssen folglich nicht automatisch mit dem Einzug in eine Einrichtung einhergehen.
◆ Der Umzug in eine Einrichtung bedeutet, dass professionelle Assistent(inn)en einen zusätzlichen und zumeist anderen Blick als die Angehörigen auf die Klient(inn)en haben. Der Hilfebedarf wird zunächst ähnlich eingeschätzt. Die Selbstbestimmungsmöglichkeiten der Klient(inn)en werden von den Mitarbeitenden höher eingeschätzt als von den Angehörigen. Dies könnte in der fachlichen Unterscheidung zwischen Selbstbestimmung (Regiekompetenz) und Selbstständigkeit (Autonomie) liegen.
Die Befragungsergebnisse legen nahe, dass scheinbar der Fokus auf die Selbstbestimmungsmöglichkeiten der Klient(inn)en im Verlauf des Einzugs verstärkt wurde. Die Teilhabemöglichkeiten wurden erweitert, da nun mehr Unterstützungssysteme und mehr Kontakte zu unterschiedlichen Personen vorhanden sind. Die Klient(inn)en erhalten von verschiedenen Personen in unterschiedlichen Bereichen Assistenz. Zudem werden durch die professionellen Mitarbeitenden Ressourcen und Barrieren wahrgenommen, analysiert und ihre Nutzung beziehungsweise Vermeidung in den Alltag einbezogen. Folglich ist es sinnvoll, bei einem Neubauprojekt systematisch die Auswirkungen auf die Klient(inn)en zu ermitteln. Das hier eingesetzte Instrument scheint den inhaltlichen Anforderungen gerecht zu werden und in der Praxis umsetzbar zu sein. Es unterstützt die professionelle Sicht der Selbstbestimmung und der Sozialraumorientierung aufseiten der Klient(inn)en und der Mitarbeitenden.
Anmerkungen
1. Das Konstrukt der Lebensqualität umfasst objektive (z. B. Wohnraum, Infrastruktur) und subjektive Kriterien (Werte, Ziele) der Lebensumstände.
2. Arbeitsaufwand in Stunden für die Organisation, Durchführung und Auswertung der Befragungen: Referentin der Geschäftsführung: 10, Qualitätsmanager: 40, Bereichsleitung: 35, Mitarbeitende: 70, Klienten 100.
3. Die Kodierung der Variablen ist negativ, d. h. je geringer der Wert, desto "besser".
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