Europas Klimaprogramm „Fit for 55“ muss sozial gerecht sein
Jährlich neue Hitzerekorde, Hochwasser und Flutkatastrophen wie letztes Jahr im Ahrtal zeigen: Die Klimakrise ist auch in Deutschland und Europa angekommen. Während einkommensstarke Haushalte einen deutlich größeren CO2-Fußabdruck haben als einkommensschwache, sind es die Letztgenannten, Ältere sowie Kinder und Jugendliche, die von den Folgen der Klimakrise am stärksten getroffen werden. Bei der Bekämpfung des Klimawandels und seiner Folgen kommt der Europäischen Union eine besondere Rolle zu: Nur gemeinsam und koordiniert kann diese Herausforderung angegangen werden. Bereits im Dezember 2019 stellte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den "European Green Deal"1 vor. Hier hat sich die EU mit dem Europäischen Klimagesetz das verbindliche Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2050 Klimaneutralität zu erreichen (zum Europäischen Green Deal siehe neue caritas Heft 16/2020, S. 9 f.).
Als Zwischenschritt auf dem Weg zur Klimaneutralität hat die EU für das Jahr 2030 ihre Ziele verschärft und sich dazu verpflichtet, ihre Emissionen bis dahin um mindestens 55 Prozent zu reduzieren. Das umfangreiche, aus 14 Novellierungen oder neuen Richtlinien und Verordnungen bestehende Paket "Fit for 55"2 unterlegt die verabschiedeten Treibhausgasemissionsziele mit konkreten gesetzgeberischen und evaluierbaren Maßnahmen für die Europäische Union für die Jahre bis 2050. Diese werden aufgrund konkreter Vorgaben die nationalen Klimapolitiken der EU-Mitgliedstaaten entscheidend beeinflussen und zudem wichtige Auswirkungen auf die globale Klimapolitik haben.
Der Deutsche Caritasverband und die Diakonie Deutschland begrüßen in einer gemeinsamen Stellungnahme3 die klimapolitischen Vorhaben der EU-Kommission wie das "Fit for 55"-Paket. Wichtig ist den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden dabei, dass alle Schritte den Klimaschutz substanziell in Richtung Ziel des Pariser Klimaabkommens voranbringen und gleichzeitig soziale Gerechtigkeit befördern. Gerade aus der christlichen Überzeugung heraus erscheint es unabdingbar, soziale Gerechtigkeit stärker als bisher mit den Notwendigkeiten des Klimaschutzes zu vereinbaren.
Aus dem Blickwinkel der Caritas sind zwei Gesetzesvorhaben aus dem "Fit for 55"-Paket besonders wichtig, da sie direkte Auswirkungen auf deren Klient:innen haben: zum einen, dass der Emissionshandel europaweit auf Gebäude und Straßenverkehr ausgeweitet werden soll. Zum anderen, dass ein Klima-Sozialfonds geplant ist, um die Auswirkungen des Emissionshandels für Gebäude und Verkehr auf von Energie- und Mobilitätsarmut betroffene Personen abzufedern.
Europaweites Emissionshandelssystem für Gebäude und Verkehr
Mit dem Ziel, Treibhausgasemissionen zu verringern, soll ein europaweit einheitliches Emissionshandelssystem für den Gebäudesektor und den Straßenverkehr eingeführt werden. Gerade in diesen beiden Sektoren konnte bisher der Ausstoß von Treibhausgasen nicht oder nur in sehr geringem Umfang reduziert werden. Durch eine Verteuerung des Ausstoßes von Treibhausgasen sollen Konsument:innen dazu bewegt werden, CO2 einzusparen und zu klimafreundlicheren Alternativen zu wechseln ("Lenkungswirkung"). Für die Caritas macht ein solches Emissionshandelssystem aus ökonomischer und klimapolitischer Sicht durchaus Sinn; dieses muss aber unbedingt sozialpolitisch flankiert und durch ordnungsrechtliche Instrumente, Förderprogramme, öffentliche Investitionen in Infrastruktur, steuerrechtliche Maßnahmen sowie durch den Abbau klimaschädlicher Subventionen ergänzt werden.
Der Preis pro Tonne CO2 soll europaweit gleich sein. Dies verhindert einerseits sogenanntes "Carbon Leakage", also die Verlagerung emissionsintensiver Produktionen in Regionen ohne Auflagen. Gleichzeitig führt dies jedoch dazu, dass beispielsweise eine Reinigungskraft in Rumänien den gleichen Preis zahlen muss wie eine Managerin in Luxemburg. Der Emissionshandel in Bereichen, die Endverbraucher:innen betreffen, hat also eine starke regressive Verteilungswirkung.
Auch innerhalb der deutschen Gesellschaft ist eine solche regressive Wirkung zu beobachten: Einkommensärmere Haushalte müssen trotz ihres geringeren Verbrauchs für Energie einen höheren und steigenden Prozentsatz ihres Einkommens aufwenden. Dadurch werden einkommensschwächere Haushalte relativ betrachtet stärker belastet als einkommensstarke Haushalte, obwohl einkommensschwächere Haushalte weniger und einkommensstarke überproportional mehr zur Klimakrise beitragen.
Aus sozialer Sicht ist das Emissionshandelssystem für die Sektoren Straßenverkehr und Gebäude daher nur tragbar, wenn die Einnahmen als sozialer Ausgleich an die Bevölkerung zurückfließen. Keinesfalls darf ein solches regressives System unspezifisch Einkommen für den Staat generieren, dies wäre sozial höchst ungerecht.
In Deutschland wird daher intensiv diskutiert, ein Klimageld einzuführen. Damit werden die Einkommen aus dem Emissionshandelssystem bürokratiearm und akzeptanzstärkend direkt zurückgezahlt. Auch Caritas und Diakonie schlagen ein solches Klimageld vor, vorzugsweise mit einer sozialen Staffelung.
Der Klima-Sozialfonds als europäisches Ausgleichsinstrument
Da auch der EU-Kommission die regressive Wirkung ihres Vorschlags für ein Emissionshandelssystem für Gebäude und den Straßenverkehr bewusst ist, hat sie einen Klima-Sozialfonds als Ausgleichsmechanismus vorgeschlagen. Mit diesem Klima-Sozialfonds, in den laut Kommissionsvorschlag 25 Prozent der Einnahmen des Emissionshandelssystems für Gebäude und Straßenverkehr fließen sollen, sollen finanziell schwächere Haushalte, Kleinstunternehmen und Verkehrsnutzer:innen durch Investitionen oder durch befristete, direkte Einkommensbeihilfen unterstützt werden. Zudem sollen ärmere EU-Mitgliedstaaten mehr Gelder aus diesem Fonds erhalten als reichere.
Bei der Frage, wie von den Preissteigerungen besonders betroffene Haushalte am besten unterstützt werden, unterscheiden sich die Diskussionen in Deutschland und dem europäischen Ausland stark. Während in Deutschland vor dem Hintergrund der Erfahrungen der 1999 eingeführten und kurz darauf eingefrorenen Ökosteuer vor allem ein Klimageld diskutiert wird, konzentrieren sich die meisten anderen EU-Mitgliedstaaten darauf, mit den Einnahmen aus dem neuen Emissionshandelssystem in die Infrastruktur zu investieren. Dies entlastet ärmere Haushalte, beispielsweise, indem der ÖPNV ausgebaut oder Sozialwohnungen gedämmt werden.
Auch auf Ebene der europäischen Institutionen werden eher längerfristige Investitionen in den Blick genommen. So fordern sowohl das Europäische Parlament als auch der Rat eine Deckelung von direkten Einkommensbeihilfen für die betroffenen Haushalte auf 40 beziehungsweise 35 Prozent der einem Mitgliedstaat zustehenden Mittel aus dem Klimasozialfonds. Fraglich bleibt, wie die beiden Diskussionsstränge mittelfristig zusammengeführt werden können.
Caritas und Diakonie befürworten aus den oben genannten Gründen die Rückzahlung der regressiv erhobenen Einnahmen an die Bürger:innen. Gleichzeitig ist den Wohlfahrtsverbänden bewusst, dass in anderen EU-Mitgliedstaaten progressiv erhobene Mittel nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen, um in die Infrastruktur in Bereichen wie zum Beispiel den Ausbau des ÖPNV oder die Sanierung von Sozialwohnungen klimaschonend zu investieren. Caritas und Diakonie schlagen daher vor, dass die Mitgliedstaaten selbst entscheiden können, ob sie ein Klimageld einführen oder in Infrastruktur investieren möchten, die einkommensschwachen Haushalten zugutekommt.
EU-Rat und -Parlament liegen in ihren Vorstellungen auseinander
Damit die vorgestellten Vorschläge als Gesetze beschlossen werden, müssen nun EU-Parlament und Rat zustimmen. Beide EU-Institutionen haben im Juli ihr Verhandlungsmandat beschlossen, liegen in ihren Positionierungen jedoch noch weit auseinander. Sie werden nun in die informellen Trilog-Verhandlungen einsteigen, um zu einem Kompromiss zu finden. Haben sowohl Rat als auch EU-Parlament die Vorschläge beschlossen, werden die Mitgliedstaaten diese umsetzen und unter anderem nationale Klima-Sozialpläne entwickeln, in denen die Vorhaben beschrieben werden, die aus dem Klima-Sozialfonds finanziert werden sollen. Der Deutsche Caritasverband wird sich weiterhin aus europäischer und deutscher Ebene an den Diskussionen beteiligen und sich für einen sozial gerechten Klimaschutz einsetzen.
Anmerkungen
1. Der europäische Grüne Deal: COM(2019) 640 final vom 11. Dezember 2019.
2. Ausführliche Informationen zum Europäischen Green Deal: Kurzlink: https://bit.ly/3cvuSaq
3. Die vollständige Stellungnahme ist unter www.caritas.de abrufbar, Kurzlink: https://bit.ly/3RNtNev
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